# taz.de -- Kältebahnhof Moritzplatz: Ein warmes So-als-Obdach | |
> Der Kältebahnhof Moritzplatz für Obdachlose bleibt nun wieder | |
> verschlossen. Als Ersatz aufgestellte Container bieten keine | |
> Schlafplätze. | |
Bild: Ein nicht mehr ganz so niedrigschwelliges Angebot: die Container am Morit… | |
Die meisten Bewohner*innen des U-Bahnhofs Moritzplatz sind bereits | |
weitergezogen. Eine Frau liegt, unter einer dünnen Decke versteckt, noch | |
zitternd neben einem Mülleimer, ansonsten ist die Zwischenebene des | |
Bahnhofs an diesem Sonntagabend schon komplett verlassen. Der Geruch von | |
Urin hängt in der Luft; vereinzelte Müllreste sind übrig geblieben, wo | |
Obdachlose auf dem grauen Betonboden ihre Nachtlager errichtet hatten. In | |
wenigen Stunden wird der Bahnhof abgeschlossen werden – das erste Mal in | |
diesem Winter. | |
„Wir wissen nicht genau, wo die Obdachlosen jetzt sind“, sagt Matthias | |
Fischer ein wenig besorgt. „Als ihnen gesagt wurde, dass der Bahnhof | |
Sonntag geschlossen wird, sind sie freiwillig gegangen.“ | |
Der 57-Jährige ist Streetworker bei der [1][Berliner Stadtmission]. Mit | |
zwei Kolleg*innen betreut er den Kältebahnhof am Moritzplatz, einer von | |
zwei U-Bahnhöfen, die die BVG in diesem Winter bislang durchgängig offen | |
ließ, damit Obdachlose hier übernachten können. Die Streetworker reden mit | |
den Obdachlosen, versorgen sie mit heißen Getränken, Isomatten und | |
Schlafsäcken. Bei Bedarf fahren sie sie mit dem Kältebus in eine | |
Notunterkunft. Und eigentlich sollte das auch noch bis zum 30. April so | |
bleiben. Aber vergangene Woche beschlossen BVG und Senat, den Bahnhof | |
vorzeitig nachts wieder zu schließen. | |
## Aufwärmen im Sitzen | |
Stattdessen wurden auf dem benachbarten Gelände der Prinzessinnengärten vom | |
Senat zwei Container aufgestellt, die eigentlich Platz für zwanzig Menschen | |
bieten sollen. „Im Liegen passen hier maximal 14 Leute rein“, schätzt | |
Matthias Fischer jedoch. Zuletzt haben nach Angaben der BVG täglich bis zu | |
30 Menschen in dem Bahnhof übernachtet. Die Container seien aber nur als | |
„Warte- und Schutzraum“ konzipiert, in dem sich die Menschen im Sitzen | |
aufwärmen können. Sie sind zwar beheizt, aber bis auf ein paar | |
Sitzmöglichkeiten gibt es keine Einrichtungen wie Matratzen oder Decken. | |
Auch Isomatten werden nicht ausgegeben. „Aber wir werden niemanden | |
rausschmeißen, der sich auf den Boden legt und einschläft“, sagt Fischer. | |
Issa ist einer der ersten Gäste heute Abend. Er sitzt im Vorraum der | |
Container und trinkt einen Kaffee. „Ich finde es gut hier“, sagt er knapp. | |
Vorher habe er im U-Bahnhof geschlafen, heute will er die Nacht hier | |
verbringen. Viele andere seien aber zum Ostbahnhof gegangen, sagt er. Eine | |
Kollegin betritt den Vorraum in Begleitung der Frau, die gerade noch in der | |
Bahnhofshalle neben dem Mülleimer lag. Die Obdachlose bittet um Tee. | |
Fischer greift einen Pappbecher, füllt ihn mit einem Teebeutel und heißem | |
Wasser und reicht ihn der jungen Frau, die sichtlich mitgenommen aussieht. | |
Wortlos nimmt sie den Tee und verschwindet in einem der Container. | |
Viele der Obdachlosen hier sind suchtkrank. Drogenkonsum ist in den | |
Containern aber nicht gestattet. Ein weiterer Grund, warum heute Abend | |
bisher nur sechs Menschen hergekommen sind, mutmaßen die | |
Sozialarbeiter*innen. | |
## Hotspot Drogenszene | |
„An der U8 kannst du quasi an jeder Station Drogen kaufen“, erklärt | |
Fischer. In Kombination mit seiner Funktion als Kältebahnhof habe sich der | |
Moritzplatz so zum einem Hotspot der Drogenszene entwickelt. Oftmals gab es | |
dadurch Konflikte zwischen den Obdachlosen am Bahnhof. „Manchmal ist die | |
Situation eskaliert wegen einem Stück Alufolie.“ Zuletzt seien immer mehr | |
gekommen, die sich dauerhaft im U-Bahnhof eingerichtet hätten. „Vor drei | |
Wochen kamen dann Leute, die auch tagsüber blieben“, berichtet Fischer, „so | |
10 bis 12 Menschen waren ständig da.“ Das habe dann wohl zu massiven | |
Beschwerden von Anwohner*innen geführt, vermutet er. | |
Die Beschwerden habe es zwar gegeben, sie seien aber nicht ausschlaggebend | |
für die Schließung des Bahnhofs gewesen, erklärt BVG-Sprecher Markus | |
Falkner der taz. „Wir haben immer gesagt, das ein Bahnhof kein geeigneter | |
Platz zum Schlafen ist, auch nicht für Obdachlose.“ Mit den Containern sei | |
jetzt eine bessere Alternative geschaffen worden. Die Entscheidung wurde am | |
Dienstag vergangener Woche einvernehmlich vom Senat, der BVG und der | |
Stadtmission getroffen. Auch der Bahnhof in Lichtenberg wird nun tagsüber | |
geräumt, nachts bleibt er aber weiterhin geöffnet. | |
Kältebahnhöfe sind als niedrigschwelligstes Angebot der Kältehilfe gedacht | |
– hier kommen Menschen unter, die nicht in den Notunterkünften übernachten | |
können oder wollen. Anders als dort müssen sie hier keine Regeln beachten, | |
können Haustiere mitbringen, können Alkohol und Drogen konsumieren. | |
„Kältebahnhöfe sind der letzte Notnagel“, formulierte es eine Sprecherin | |
der BVG schon im Januar gegenüber der taz – für Menschen, die nirgendwo | |
sonst unterkommen und Gefahr laufen, draußen zu erfrieren. In diesem Jahr | |
gab es bereits zwei Kältetote in Berlin: ein 55-jähriger Mann, der im | |
Januar auf einer Parkbank im Humboldthain erfroren ist, und ein | |
51-Jähriger, der nur eine Woche später tot in der Ruine des ehemaligen | |
Spaßbads Blub aufgefunden wurde. | |
Vergangenen September sorgte die Ankündigung der BVG-Chefin Sigrid Nikutta | |
für Aufregung, die Bahnhöfe für diese Saison entgegen jahrelanger Praxis | |
nicht mehr zu öffnen. Als Hauptgrund wurden damals Sicherheitsbedenken | |
angeführt. Nach einem öffentlichen Aufschrei und der Intervention der | |
Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke), kam man überein, auch in diesem | |
Winter wieder zwei Bahnhöfe zu öffnen. | |
Man einigte sich dafür auf ein neues Konzept, zu dem das Bereitstellen von | |
Toiletten, Wärmeräumen und der Einsatz von Streetworkern gehörte. Diese | |
sollten die Obdachlosen überzeugen, in die Notunterkünfte zu gehen. „Das | |
hat in den wenigsten Fällen geklappt“, berichtet Fischer, lediglich sieben | |
Mal sei das in diesem Winter vorgekommen. Viele Obdachlose meiden die | |
Massenunterkünfte aufgrund schlechter Bedingungen, Angst vor Diebstahl, | |
mangelnder Privatsphäre und eigener psychischer Probleme. | |
Ob es die Kältebahnhöfe im nächsten Winter wieder geben wird, ist ungewiss. | |
„Wir sind froh, dass wir das in diesem Jahr noch machen konnten“, sagt | |
Regina Kneiding, Sprecherin der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration | |
und Soziales. Auch die BVG hält sich auf die Frage hin bedeckt: „Das Gute | |
ist, das ein breiter Dialog in Gang gekommen ist“, so BVG-Sprecher Falkner. | |
Kneiding erklärt, zwar habe es in diesem Jahr so viele Kältehilfeplätze | |
wie noch nie zuvor gegeben, aber um den Menschen effektiv helfen zu können, | |
müssten die Angebote spezifischer werden. „Wir brauchen mehr Plätze für | |
Menschen mit Hunden, für Rollstuhlfahrer, und wir müssen mit der | |
Drogenhilfe kooperieren“, so die Sprecherin der Sozialsenatorin. | |
Auch Matthias Fischer wünscht sich mehr reguläre Notübernachtungsplätze, | |
besonders welche, die täglich geöffnet haben: „Viele kirchliche | |
Einrichtungen haben heute geschlossen“, erklärt er. „Sonntags ist es | |
besonders schlimm.“ | |
5 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.berliner-stadtmission.de/ | |
## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
Kältehilfe | |
Moritzplatz | |
Elke Breitenbach | |
Wohnungslosigkeit | |
Obdachlose | |
ITB Tourismus Börse | |
Obdachlose | |
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
Obdachlosigkeit in Hamburg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wohnungslosen-Nothilfe: Senat zählt im Januar Obdachlose | |
Erhebung soll endlich für verlässliche Daten sorgen. Sozialsenatorin | |
kündigt zudem Übergangswohnplätze in kleinen Holzhäusern an. | |
Zeltstädte für Obdachlose in Berlin: Als Übergangslösung okay | |
Sozialsenatorin denkt an Zeltstädte für Obdachlose. Was daran gut ist: Man | |
sollte die Hilfe dorthin bringen, wo die Menschen sind. | |
Staatlich organisierte Obdachlosen-Camps: Mehr Zeltlager wagen | |
Die Linke will in Berlin staatlich organisierte Obdachlosen-Camps schaffen. | |
Vorbild dafür ist Seattle, wo legale Zeltstädte für Wohnungslose bereits | |
gibt | |
Tourismusmesse ITB in Berlin: Dauerbeschallung gegen Obdachlose | |
Die Messe Berlin hat in einer Unterführung Lautsprecher angebracht, die | |
Obdachlosen den Schlaf rauben – damit Messebesucher*innen sich wohlfühlen. | |
Eine Nacht am Kältebahnhof Lichtenberg: Im Vorbeigehen pöbeln die Passanten | |
An zwei Kältebahnhöfen in Berlin werden Obdachlose nicht vertrieben. | |
Unbehelligt bleiben sie dort trotzdem nicht. | |
Obdachlosen-Helferin über Räumungen: „Manchmal gibt es Schikanen“ | |
In Berlin wurde eine Obdachlose gefesselt und geräumt. Werena Rosenke von | |
der BAG Wohnungslosenhilfe kritisiert, dass oft ohne begleitende Hilfe | |
geräumt wird. | |
Kältebus-Fahrer über seine Erlebnisse: „Da ist jemand, der guckt“ | |
Seit Samstag fährt der Kältebus der Alimaus und kümmert sich um Obdachlose | |
in Hamburg. Ein Gespräch mit einem der Fahrer über seine nächtlichen | |
Erlebnisse. |