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# taz.de -- Australischer Post-Vietnamkriegs-Roman: Maßlose Wut
> Josephine Rowes Roman „Ein liebendes, treues Tier“ zeigt die tiefen
> Wunden, die der Vietnamkrieg in einer australischen Familie hinterlassen
> hat.
Bild: Der Panther reißt den Hund, das Familienleben gerät aus den Fugen
Ein B-52-Bombenkrater, 42 Leichen auf dessen Grund, australische
Vietnamkämpfer stehen davor, erschöpft, erschlagen vom Anblick dieses
Gräuelszenarios. Eine der namenlosen Grausamkeiten des Vietnamkriegs bildet
die Leerstelle, um die herum der Roman „Ein liebendes, treues Tier“ erzählt
wird. Es ist der Schrecken, an den man sich nicht zu rühren traut. Mehrfach
nähert sich ihm die Autorin Josephine Rowe, kapituliert aber aus gutem
Grund immer wieder vor seiner Beschreibung. Sinnigerweise sind die davon
erhaltenen Fotos vollkommen überbelichtet und zeigen fast nichts, so als
wäre selbst das Filmmaterial überfordert durch diesen Realitätsübergriff.
Die dabei waren, sind es auf jeden Fall.
Einer von ihnen, Jack, lebt zwanzig Jahre danach in einer
heruntergekommenen Kleinstadt im Südwesten Australiens, am Rande des
Dschungels. Er hat den „Krieg mitgebracht, wie eine latente, krebsartige
Erkrankung, die sich tief unten auf der Ebene der Zellen, durch seinen
Organismus fraß“.
Psychisch ein Wrack, schlägt er seine Frau, vernachlässigt seine beiden
Töchter und verschwindet immer wieder für Wochen von der Bildfläche,
verliert sich im Drogendelirium. Kurz vor Weihnachten zerfetzt ein Panther
den Familienhund, das titelgebende liebende, treue Tier. Was Jack hier zu
sehen bekommt, im eigenen Vorgarten, kennt er offenbar nur zu gut, und
jetzt verlässt er für immer seine Familie.
Josephine Rowe erzählt die kurze Zeit um den Jahreswechsel, in der die
Familie endgültig auseinanderbricht aus mehreren Perspektiven. Nicht nur
Jack, er bekommt noch am wenigstens Raum, auch den beiden Töchtern Ruby und
Lani, seiner Frau Evelyn und Jacks Halbbruder Les – ihnen allen widmet die
Autorin Kapitel, in denen sie ihre Sicht der Dinge vorführen dürfen. Ihre
Erlebnisse, ihre Strategien, wie sie mit den Zurückweisungen und
Enttäuschungen innerhalb dieser kaputten Familie umgehen, wie sie sich
trotzdem irgendwie einzurichten versuchen in ihrem Unglück, Normalität
herstellen wollen.
Evelyn flüchtet sich in Selbstmitleid und trauert einem ungelebten Leben
nach. Sie neidet ihrer Tochter Lani die Jugend, steigert sich in eine
maßlose Wut hinein, die Lani bald aus dem Haus treiben wird. Bis dahin aber
spielt diese das wilde Ding, das vieles ausprobiert und, um sich den Spaß
leisten zu können, auf Partys die Psychopharmaka ihres Vaters vertickt.
Ruby indessen, die introvertierte jüngere Schwester mit offensichtlicher
künstlerischer Begabung, wird von der Mutter mit Zuneigung überschüttet, um
sie in erpresserischer Weise an sich zu binden.
## Ein abgehackter Zeigefinder
Und dann ist da noch Les, eine zutiefst gestörte Persönlichkeit auch er und
zugleich die gute Seele. Er repariert Dinge und sorgt sich, ist Jack in
brüderlicher Loyalität zugetan, mag Evelyn allerdings nicht nur als
Schwägerin. Er hat sich die Zeigefinger abgehackt damals, angeblich um
nicht schießen zu können und also nicht nach Vietnam zu müssen, in
Wahrheit aber, weil er sie stets als Fremdkörper wahrgenommen hat.
Rowe gelingt es meisterhaft, ihrem traumatisierten Personal Leben
einzuhauchen, indem sie sich stilistisch der Person annähert, aus deren
Perspektive sie gerade diese eher handlungsarme, den Altag wichtig nehmende
Geschichte vorantreibt. Jack erzählt absatzreich, elliptisch, eruptiv, in
immer angestrengten Satzstummeln, Ruby dagegen naiv, mit verhaltener
Poesie, Lani forciert unverfroren und skrupellos, und aus Les spricht ein
gutherziger, leicht hemdsärmeliger Handwerker.
So nach und nach ergibt sich aus diesen unterschiedlichen, sich gegenseitig
bespiegelnden Erzählstrecken das komplexe Profil einer Familie, deren
Leidenshypothek einfach zu groß ist, als dass man sie noch durch Liebe
ausgleichen könnte.
Souveränität beweist die Autorin auch bei der beinahe klassischen
Ausstaffierung ihres Romans mit Dingsymbolen und Leitmotiven. Der Panther
etwa, Jacks Totemtier, schleicht als Gewaltchiffre immer wieder durch die
Seiten. Jack hat sich ein Tattoo von ihm auf dem Arm stechen lassen, seine
Einheit hält sich eine solche Wildkatze als Maskottchen, ein Panther reißt
den Hund und trägt damit den Krieg für Jack in brutaler Offensichtlichkeit
in das Familienleben hinein.
Und als am Ende die aufgedrehte Kleinstadtjugend ein besonders räudiges
Exemplar erlegt, kümmert sich Les fürsorglich um die tote Kreatur. Der
Panther „ist nicht größer als ein Pinscher, ausgewachsen, aber irgendwie
verzwergt und deformiert, Ergebnis von Inzucht oder Kreuzung, die
irgendwann schiefgegangen ist, vielleicht der letzte Abkömmling einer
rachitischen Linie. Wunderbar und mitleiderregend zugleich, dieses Tier
hier, einer ganz falschen Landschaft eingepflanzt, schütteres Fell über
misslungenem Skelett.“ Heruntergekommen, deformiert durch den Krieg, fehl
am Platz, aber eben auch gefährlich. Stellvertretend für seinen Bruder
trägt Les ihn zu Grabe.
23 Feb 2019
## AUTOREN
Frank Schäfer
## TAGS
Josephine Rowe
Krieg
Roman
Australien
Vietnamkrieg
Literatur
Filmkritik
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