# taz.de -- Souveränitätsstreit im Indischen Ozean: Wem gehören die Inseln u… | |
> Der Gebietsanspruch von Mauritius auf den britischen Chagos-Archipel | |
> wurde gerichtlich bestätigt. Dazu gehört auch die US-Marinebasis Diego | |
> Garcia. | |
Bild: Demonstrant*innen fordern ihre Rückkehr auf den Chagos-Archipel | |
Berlin taz | Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat im Rahmen eines | |
Souveränitätsstreits im Indischen Ozean einen Stein ins Wasser geworfen, | |
dessen Kreise weit über das Streitobjekt hinausreichen könnten. In einem | |
auf Bitte der UN-Vollversammlung verfassten rechtlichen Hinweis erklärte | |
das höchste UN-Gericht, zuständig für zwischenstaatliche | |
Rechtsstreitigkeiten, am späten Montag die britische Herrschaft über den | |
Chagos-Archipel für „unrechtmäßig“. | |
Die Inselgruppe, die mit Diego Garcia die größte US-Militärbasis im | |
Indischen Ozean umfasst, sei illegal vom Inselstaat Mauritius getrennt | |
worden. Die britische Hoheit müsse „so schnell wie möglich“ enden, um | |
„Mauritius zu ermöglichen, die Dekolonisierung seines Staatsgebiets im | |
Einklang mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker zu vollenden“. | |
Geografisch ergibt das wenig Sinn: Die Chagos-Inselgruppe liegt gar nicht | |
in der Nähe von Mauritius und ist geologisch die südliche Fortsetzung der | |
Malediven. Aber sie war Teil des Kolonialgebietes Mauritius, das Frankreich | |
im 18. Jahrhundert gründete und das 1814 an Großbritannien fiel. | |
Nach dem Zweiten Weltkrieg löste Großbritannien sein Empire auf. Den | |
Chagos-Archipel und andere entlegene Inseln aber wollten die Briten aus | |
militärstrategischen Gründen behalten und gründeten dafür 1965 das separate | |
Kolonialgebiet „British Indian Ocean Territory“. Dieses blieb britisch, als | |
1968 Mauritius und 1976 die Seychellen unabhängig wurden. Die Seychellen | |
bekamen hinterher „ihre“ Inseln zurück – Mauritius „seine“ aber nich… | |
## Nur Entschädigung | |
Denn den Chagos-Archipel hatten die Briten längst den USA als | |
Marinestützpunkt übergeben, per Pachtvertrag Ende 1966. Die mehreren | |
tausend Einwohner – Nachkommen der im 18. Jahrhundert von Frankreich zur | |
Arbeit auf Kokosplantagen angesiedelten Sklaven aus Afrika – wurden bis | |
1973 zwangsdeportiert, vor allem nach Mauritius. Bis heute dürfen sie und | |
ihre Nachkommen nicht zurück. Britische Gerichte haben die Deportationen | |
für illegal erklärt, aber es gab bloß Entschädigung. | |
Nicht die Zwangsumsiedlung hat jetzt aber den Internationalen Gerichtshof | |
beschäftigt, sondern die Abtrennung des „British Indian Ocean Territory“ | |
von Mauritius vor dessen Unabhängigkeit. Mauritius stimmte dem zwar formal | |
zu, hält aber seinen Gebietsanspruch aufrecht. | |
Die UN-Vollversammlung, die weltweit das Ende kolonialer Besitzverhältnisse | |
vorantreibt, hält die Aufspaltung eines Kolonialgebiets vor der | |
Unabhängigkeit mit dem Ziel, es nicht komplett in die Unabhängigkeit zu | |
entlassen, für illegal. Diese allgemein akzeptierten Rechtsauffassung haben | |
nun die Richter in Den Haag erneut bestätigt. | |
Der Chagos-Archipel ist nicht das einzige Gebiet im Indischen Ozean, dessen | |
territoriale Zugehörigkeit unter dieser Rechtsauffassung zur Disposition | |
stehen könnte, wie der britische Jurist Jamie Trinidad in einem Artikel | |
über die möglichen Auswirkungen des Chagos-Falls ausführt. | |
## Teil des Staatsgebiets geraubt | |
Ebenso wie Mauritius 1968 von den Briten wurden beispielsweise auch die | |
Komoren 1975 von den Franzosen bei ihrer Unabhängigkeit eines Teiles ihres | |
Staatsgebiets beraubt. Mayotte, eine der vier großen Inseln der Komoren, | |
blieb französisch, weil seine Bevölkerung beim Unabhängigkeitsreferendum | |
von 1974 mehrheitlich für den Verbleib bei Frankreich gestimmt hatte – | |
obwohl Frankreich versprochen hatte, die Einheit der Komoren zu wahren. | |
Mayotte ist heute ein französisches Departement und EU-Gebiet, während die | |
Komoren es weiter beanspruchen. Immer wieder sterben komorische | |
Bootsmigranten beim Versuch, die EU-Außengrenze nach Mayotte zu überqueren. | |
Für die UNO und auch für die Afrikanische Union ist Mayotte ein noch zu | |
entkolonisierendes Gebiet. | |
Weniger bekannt ist der Fall der vielen kleinen Inseln rund um Madagaskar, | |
die nach Madagaskars Unabhängigkeit 1960 im Besitz Frankreichs blieben. | |
Die Îles Éparses, offiziell Teil der französischen Antarktis, sind | |
unbewohnt. Daher sieht Paris das Selbstbestimmungsrecht der Völker hier als | |
nicht gegeben an. Dieses Argument, das die territoriale Integrität von | |
Kolonialgebieten ignoriert, hat nun Den Haag für den Chagos-Archipel gerade | |
gekippt. Auf ihm lebt ausschließlich ausländisches Militärpersonal. | |
Sowohl Großbritannien als auch Frankreich legitimieren ihre | |
Territorialansprüche im Indischen Ozean – Frankreich besitzt noch mehr | |
Inseln näher an der Antarktis und an Australien – inzwischen ökologisch. | |
Sie haben große Meeresflächen zu Schutzgebieten erklärt, was diese vor | |
gefräßigen asiatischen Fangflotten schützen soll. Die lokalen | |
Anrainerstaaten erkennen diese Schutzgebiete nicht an. | |
26 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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