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# taz.de -- Die Wahrheit: Ein äußerst brutales Blutbad
> Sprachkritik: Alles ist absolut toll, nichts ist relativ, vieles
> neuerdings aber sehr, sehr dramatisch im weltweiten Journalismus.
Bild: Überall geraten Zungen dramatisch in Bedrängnis
Ein alter jüdischer Witz handelt von einem Heiratsvermittler, dem
Schadchen. Der hat zur Besprechung über die Braut einen Gehilfen
mitgebracht, der gegenüber dem Bräutigam in spe seine Mitteilungen
bekräftigen soll.
„Sie kommt aus einer angesehenen Familie“, sagt der Schadchen. „Was heißt
angesehen? Die Familie gehört zur Crème de la Crème!“, ruft der Gehilfe.
„Und ihr Vater ist wohlhabend.“ – „Was heißt wohlhabend? Ihr Vater ist
reich wie Rothschild!“ – „Und das Mädchen ist schön.“ – „Was hei�…
Sie ist eine Venus!“ – „Aber das eine ist wahr“, gesteht der Schadchen …
„sie hat einen winzigen Buckel …“ – „Was heißt Buckel? Einen Buckel …
Berg!“
Übertreibung gehört „definitiv“ zum Geschäft, sie prägt „ultimativ“…
öffentliche wie die private Rede, es ist „absolut“ der „Wahnsinn“, „…
„toll“. „Der Film ist toll fotografiert und wahnsinnig gut gespielt“,
schwafelt es aus Till Schweiger, der nur so heißt. Welcher Film? Egal,
schon vergessen. Noch nicht vergessen ist Henrik Ibsen und eines seiner
„Wahnsinnswerke: Nora“, knalltütet es aus dem Wahnsinns-Kultursender 3sat,
der auch „die Geburtsstunde einer Wahnsinnsepoche“ austrompetet, aber bloß
„Wien um 1900“ meint.
Nun gut, „richtig falsch“ (Günter Rexrodt sel.) sind Übertreibungen nicht
in jedem Fall; aber nicht, weil Trommeln absolut zum Handwerk gehört,
sondern weil Trommeln zum Handwerk gehört. Die Wörter sind nämlich,
Überraschung!, mehr als nur Geräusch und bedeuten etwas. Warum also Golf in
Irland und Großbritannien ein „absoluter Volkssport“ (taz) ist, obwohl
Fußball, Snooker oder Darts ähnlich populär sind, ist ein Rätsel. Eher
müsste man von einem relativen Volkssport sprechen und sich lächerlich
machen.
## Gesetzlich festgelegte Bedeutung
Allerdings ist die Bedeutung der Wörter nirgends gesetzlich festgelegt,
nicht einmal die der Zahlwörter. Den Beweis liefert wieder die taz. Sie
berichtet, dass auf dem Parteitag der Südwest-SPD der Kandidat Andreas
Stoch „mit acht Stimmen Vorsprung“ gewählt wurde, und erinnert daran zwei
Spalten später: „Der Parteitag wählt Andreas Stoch mit der denkbar
knappsten Mehrheit zum Vorsitzenden“ – eine Stimme Mehrheit wäre also nicht
so knapp.
Die Wahrheit ist konkret, aber zum Glück gibt es die Sprache. Da trötet die
taz, dass die Ehe des Schauspielers George Clooney mit der Anwältin Amal
„glamouröser nicht sein könnte“, obwohl selbst die taz einige glamouröse…
ja überhaupt erst mal glamouröse Beziehungen kennen dürfte. Und der „alle
mitreißende Musiker und Dichter Leonard Cohen“ (taz)? Der hat wenigstens
nicht alle mit seiner Musik und Dichtung eingeschläfert.
Übertreiben gehört zum Geschäft und hat oberste Priorität, ja sogar (3sat,
der Kultursender:) „alleroberste Priorität“. Super muss es sowieso sein,
noch nie dagewesen, die Nummer eins, the one and only, zum Beispiel beim
Infosender Phoenix: „Der Rhein – Europas einziger Fluss, der die Alpen mit
der Nordsee verbindet“. Mit Loriot zu reden: Sa-gen-haft! Übertroffen
werden könnte das allenfalls von dieser Sensationsmeldung: „Die Nordsee –
das einzige Meer, in das der Rhein mündet!!“
## Unendlich leerer Gebrauch
Die Sprache muss „von endlichen Mitteln einen unendlichen Gebrauch machen“,
diagnostizierte Wilhelm von Humboldt. Nach 200 Jahren, in denen viele
Wörter infolge massenhaften Gebrauchs verbraucht wurden, muss man ergänzen:
einen unendlich leeren Gebrauch. Folglich muss Nachschub her – und sei es
eben durch Umetikettierung, also Bedeutungswandel. Den haben Wörter wie
„toll“ schon lange, „Wahnsinn“ vor einiger Zeit und „absolut“ vor K…
vollzogen, gerade in der Mangel ist „dramatisch“: „Grizzlys und Polarbär…
sind dramatisch unterschiedliche Spezies“, zitiert die taz einen Biologen.
Merkwürdig nur, dass beide sich paaren und die Kreuzungen („Hybride“) sich
proper im kanadischen Norden herumtreiben! Dramatisch unterschiedliche
Spezies sind eher Wale und Skorpione.
Offenbar hat „dramatisch“ seine Bedeutung nicht nur verändert, sondern ist
im Begriff, sie im Dampf der aufgeheizten Emotionen zu verlieren. Wenn aber
die aufgepeitschten Nerven sich beruhigt haben, kann „dramatisch“ durch ein
„sehr“ ersetzt oder weggelassen werden.
Gerade in der Wäsche steckt „brutal“. Die vormalige
SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Hinze hatte ihren Lebenslauf „brutal
gefälscht“, der ZDF-Journalist Wolf-Christian Ulrich muss „zu brutal früh…
Stunde“ das „Morgenmagazin“ moderieren, und eine Schriftstellerin schilde…
die Probleme gewöhnlicher Menschen „auf brutalst charmante Art“ (taz).
Damit Sie aber nicht glauben, auch „brutal“ bedeute nicht mehr brutal, sei
der Sender One zitiert, der einen Trailer mit dem Halbsatz beschließt: „Bis
der Junge Amok läuft und ein äußerst brutales Blutbad anrichtet“ – statt
bloß eine Glosse zu schreiben.
13 Feb 2019
## AUTOREN
Peter Köhler
## TAGS
Sprachkritik
Stilistik
Übertreibung
Sprachkritik
Franziska Giffey
Schwerpunkt AfD
Keimzelle
CDU-Parteivorsitzende
Schach
Julia Klöckner
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