# taz.de -- Erregung über Flug des Grünen-Chefs: Darf Robert Habeck fliegen? | |
> Selbsternannte Anstandspolizisten werfen prominenten Grünen ihre Dienst- | |
> und Urlaubsreisen vor. Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit. | |
Bild: Hubschraubereinsatz! Robert Habeck 2016 bei einem Flug zu einer Forschung… | |
Es ist noch gar nicht lange her, da warfen Liberalkonservative den Grünen | |
gerne vor, anderen ihre Gesinnung aufdrücken zu wollen. Der harmlose | |
Vorschlag der Ökopartei, einen fleischfreien Tag in Kantinen einzuführen, | |
wurde in der [1][Bundestagswahl 2013] zu einer groß angelegten | |
Verbotsattacke auf fleischliebende Deutsche aufgeblasen. | |
Die Zeiten ändern sich. Die Grünen – [2][aus Schaden klug geworden] – | |
vermeiden heute alles, was nach Veggieday aussehen könnte. Sie betonen, den | |
politischen Rahmen ändern und nicht das Individuum gängeln zu wollen. | |
Grünen-Chef Robert Habeck erzählt bei passender Gelegenheit gerne, auch mal | |
Dosenbier zu trinken, um seine habituelle Aufgeschlossenheit zu | |
demonstrieren. Aber moralische Empörung ist wieder in Mode, und zwar | |
ausgerechnet bei jenen, die angeblich für eine liberale Gesellschaft | |
streiten. Der überbordende Moralismus hat die Seiten gewechselt. | |
Der rechtskonservative Blogger Don Alphonso wütet auf Twitter gegen | |
prominente Grüne, die es wagen, zu fliegen. Jamila Schäfer, der | |
stellvertretenden Bundesvorsitzenden, wird ihr Skiurlaub in Lillehammer | |
vorgehalten, der bayerischen Fraktionsvorsitzenden Katharina Schulze ein | |
Aufenthalt in Kalifornien, bei dem sie ein Eis isst (mit | |
Plastiklöffel!!1!). Grünen-Chef Robert Habeck wiederum wird von einem | |
übereifrigen [3][Twitterer] am Flughafen Hamburg abgelichtet. Erwischt! Die | |
Liste ließe sich problemlos verlängern. | |
Diese verlogene Bande, so der Subtext, predigt Klimaschutz, bläst aber | |
selbst tonnenweise CO2 in die Luft. Solcher Populismus zielt direkt ins | |
limbische System, ins dumpfe Gefühl. Der Einwand der Grünen-Pressestelle, | |
dass SpitzenpolitikerInnen ihre Wege prioritär mit dem Zug erledigen und | |
dass ihr Terminkalender manchmal den Flug leider nötig macht, entspricht | |
der Realität – entkräftet aber nicht die Wucht der Unterstellung. Ein „Ad | |
hominem“-Argument, also eines, das nicht auf die Sache zielt, sondern auf | |
die Person, triggert billige Reflexe. Ha, haben wir es nicht schon immer | |
gewusst? | |
## Nach oben offene Irrsinnsskala | |
Dabei ist allen klar, dass eine Flugabstinenz ökologisch orientierter | |
PolitikerInnen Unfug ist. Jedenfalls sofern man nicht im gleichen Atemzug | |
fordert, sie mögen mit dem Tretboot zur nächsten Weltklimakonferenz | |
anreisen. Konsequente Moralapostel werden nie arbeitslos, auf der nach oben | |
offenen Irrsinnsskala sind viele Fragen offen: Dürfen Grüne eigentlich Auto | |
fahren, Schnitzel essen, Bild lesen, die Heizung aufdrehen, die Haare | |
föhnen? Trocknet doch auch so. | |
Ich meine: Von PolitikerInnen die 100-prozentige Übereinstimmung von | |
persönlichem Lebensstil und Parteiprogramm zu verlangen ist unmenschlich. | |
Winfried Kretschmann argumentiert an dieser Stelle gerne mit Hannah Arendt, | |
die gesagt habe, Argumente ad hominem zerstörten jede politische Debatte. | |
„Die Menschen wollen Heilige, deshalb werden sie enttäuscht“, sagt | |
Kretschmann. Und: In der Demokratie könnten die Gewählten nicht besser sein | |
als die, die sie wählen. Er hat recht. | |
Ich wäre deshalb für mehr Gelassenheit. Entgegnet in der Sache, zielt nicht | |
auf die Person oder das Private. Von mir aus darf Katharina Schulze in | |
Kalifornien Eis essen, Jamila Schäfer in Lillehammer Ski fahren und Habeck | |
nach Hamburg fliegen – solange sie eine Ordnungspolitik vertreten, die | |
Fliegen endlich teurer macht. Das Plädoyer für eine Kerosinbesteuerung wird | |
nicht falscher dadurch, dass es von einer Politikerin vorgetragen wird, die | |
die Westküste mag. Und das, was Greta Thunberg sagt, bleibt bedenkenswert, | |
auch wenn sie Toastbrot aus einer Plastikverpackung isst. | |
Mehr Gelassenheit, das gilt übrigens für beide Seiten des politischen | |
Spektrums. Ich konnte damals auch die Aufregung über [4][Horst Seehofer und | |
seine Geliebte] nicht nachvollziehen. Ein Politiker, der die Ehe hochhält, | |
ist vor der Versuchung einer Affäre nicht gefeit. Freier Sex für alle, auch | |
für diejenigen, die stolz auf das C im Parteinamen sind! Eine | |
Debattenkultur, in wir uns als selbsternannte AnstandspolizistInnen unsere | |
Sünden vorrechen, wäre intellektuell dann doch etwas unterfordernd. | |
Offenlegung: Der Autor arbeitet bei der taz – und plant in diesem Jahr eine | |
Flugreise nach Frankreich. | |
11 Feb 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Fleischverzicht-als-Wahlkampfthema/!5061858 | |
[2] /Bundesparteitag-der-Gruenen/!5028005 | |
[3] https://twitter.com/essing_h/status/1094525289823174656 | |
[4] /Beruf-und-Familie/!5198201 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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