| # taz.de -- Kolumne German Angst: Zu viel klischeehafte Weiblichkeit | |
| > Die Sängerin Jelena Karleuša ist in Serbien ein Star, wird aber auch | |
| > beschimpft. Dabei kann man von ihr viel über die Inszenierung von | |
| > Geschlecht lernen. | |
| Bild: Zu blond, zu schrill, zu laut? Jelena Karleuša in einem Fußballstadion | |
| „Du hast es geschafft“, sagte mir mal voller Anerkennung ein guter Freund. | |
| „Du musst nicht deine Brüste zeigen, sondern zeigst die anderer Frauen.“ | |
| Ich verstehe, was er sagen wollte: Du Feministin! Was ich aber höre, ist: | |
| Du reproduzierst stereotype Darstellungen von Weiblichkeit! Du tust der | |
| Sache einen Bärendienst! – Das fällt mir ein, als ich mich an stiernackigen | |
| Türstehern vorbeidrücke, um eine der Frauen zu sehen, über die ich | |
| gelegentlich spreche, im Zusammenhang mit Popkultur, Körperpolitik und | |
| Nationalismus: Jelena Karleuša. [1][In Serbien und eigentlich ganz | |
| Südosteuropa ist sie ein Megastar. Genre: Turbofolk.] | |
| Schon im Vorfeld, als wir unter einer dubiosen Handynummer die Karten | |
| reservieren, kommentieren Bekannte den Besuch beim Karleuša-Konzerts. Die | |
| einen: toll! Die anderen: Das ist sexistisch / nationalistisch / | |
| Postbürgerkriegschic / schlecht / Schäm dich. Ich gehe zu diesem Konzert | |
| auch wegen der Musik. Aber vor allem, weil mir Karleušas Too Much | |
| imponiert. Sehr. | |
| Zu blond. Zu schrill. Zu laut. Zu lange Beine, zu große Brüste, zu | |
| gebräunt, zu wenig bekleidet. Zu viele Insignien klischeehaften | |
| Weiblichkeit. In Serbien wird sie darum oft als Transe beschimpft, oder als | |
| Hysterikerin, als Hure, als Antichrist. Irgendwie spielt sie damit, wettert | |
| gegen die Kirche und übernimmt die Patenschaft [2][für die lange verbotene | |
| Gay Pride in Belgrad.] | |
| Gleichzeitig gilt sie vielen als role model. Auf meinen Lesungen ist die | |
| deutsche queer-Community stets fasziniert von Karleuša. Für sie ist klar: | |
| hier gibt es einen theoretischen Unterbau. Verwirrend. Frei nach Butler | |
| kann man hier die performative Inszenierung des Geschlechts sehen. Und wie | |
| sie fehl gehen kann. Wie ein Zuviel für die einen die Brechung mit diesem | |
| dichotomen Modell einer Annäherung an das Ideal von weiblich versus | |
| männlich darstellt, für die anderen authentische Weiblichkeit. | |
| ## Eine große Brechung | |
| Der Effekt lässt nicht lange auf sich warten. Trotz schicker Klamotten | |
| sprengen wir hier das Modell der akzeptierten Weiblichkeit. Keine | |
| Highheels. Keine Schminke. Kleine Biere. Wir werden nicht einmal bedient. | |
| Denn auch hier regiert das Zuviel: zu viele schwarz gekleidete Bodyguards. | |
| SUVs. Die Wodka-Flaschen, die in mit Tischfeuerwerk bewehrten Eiswannen an | |
| Tische geschleppt werden, fassen 1,75 Liter. Außerdem sind sie von unten | |
| mit LEDs beleuchtet. Was auch immer die VIP-Partygäste tagsüber tun, hier | |
| regieren Glamour und Überfluss. Kein subtiles Spiel mit Codes, sondern ein | |
| Eins-zu-eins-Modus, in dem gezeigt wird, was man sein will: reich, schön, | |
| hetero. – Labels. Pelze. Red Bull-Diet. | |
| Diesmal jedenfalls ist auch auf der Bühne wenig Platz für Subtilität. Keine | |
| mit Regenbogenfahnen aufmarschierenden halbnackten Jungmänner. Nicht einmal | |
| der Song „Ein Mann der Frauen hasst“ läuft vom Band, eine | |
| Rape-and-revenge-Story, in der Karleuša mit Medusenhaupt übergriffigen | |
| Männern nachstellt. Stattdessen: ein Medley der Jugo-Stars von Bijelo Dugme | |
| bis Lepa Brena. Immerhin das so eine große Brechung, gilt der Turbofolk | |
| doch als serbisch-nationalistisch – aber dazu ein andermal. | |
| 12 Feb 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sonja Vogel | |
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