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# taz.de -- Nationale Dekade gegen Krebs: Das deutsche Moonshot-Projekt
> Erwartet wird, dass die Krebserkrankungen weiter zunehmen. Um das zu
> ändern, wurde jetzt die „Nationale Dekade gegen Krebs“ ausgerufen.
Bild: Krebsforschung in einem Labor des Nationalen Centrums für Tumorerkrankun…
Berlin taz | Krebs, das außer Kontrolle geratene Wachstum von Körperzellen
mit Bildung von häufig todbringenden Tumor-Geschwulsten, ist die Krankheit,
die die Menschen am meisten fürchten. Für die Medizinforscher ist Krebs
wegen seiner vielfältigen Erscheinungsformen wie auch dem absehbaren
Anstieg der Fallzahlen einer der hartnäckigsten Kandidaten, dem mit neuen
wissenschaftlichen Methoden „die Stirn geboten werden soll“, wie es
Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) formuliert. In Deutschland
haben sich Krebsforscher und Krebstherapeuten jetzt zu einer neuen Allianz
gegen die Volkskrankheit zusammengefunden. In dieser Woche wurde in Berlin
die [1][„Nationale Dekade gegen Krebs“] unter Federführung des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gestartet.
Michael Baumann, der wissenschaftliche Vorstand des [2][Deutschen
Krebsforschungszentrums (DKFZ], Gesamtbudget 280 Millionen Euro) in
Heidelberg, das zu der überwiegend aus dem BMBF finanzierten
Helmholtz-Gemeinschaft gehört, konstatiert zwar Fortschritte seitens
Forschung und Behandlung in den zurückliegenden Jahrzehnten.
Heute leben in Deutschland etwa vier Millionen Menschen, die im Laufe ihres
Lebens einmal an Krebs erkrankt waren. Dabei gilt: Je früher die Krankheit
erkannt werde, desto eher sei auch eine Heilung möglich. Dennoch liege die
Zahl der jährlichen Todesfälle durch Krebs in Deutschland bei 200.000.
Die Neuerkrankungen pro Jahr werden nach seiner Einschätzung von jetzt
500.000 Fällen auf rund 600.000 im Jahr 2030 steigen. Noch dramatischer sei
die Welt-Entwicklung. „Wir werden in den nächsten Jahren einen Tsunami der
Krebserkrankungen erleben“, sagte Baumann bei der Dekade-Vorstellung. Bis
2040 werde sich die Zahl der Neuerkrankungen weltweit verdoppeln.
Haupttreiber: alternde Bevölkerung und ungesunde Lebensstile.
Die Wissenschaft wolle diesen Trend nicht tatenlos hinnehmen, verdeutlichte
Forschungsministerin Karliczek. „Wir wollen die Kräfte bündeln, um Krebs
besser zu verstehen, zu vermeiden und zu heilen“, sagte die Ministerin.
Dieser Dreiklang aus Forschung, Prävention und Therapie bildet den Kern der
Nationalen Dekade gegen Krebs. In ihr sollen zum einen die vorhandenen
Akteure in Wissenschaft und Klinik besser miteinander vernetzt und zweitens
eine neue Grundstruktur onkologischer Forschung in den nächsten zehn Jahren
aufgebaut werden. DKFZ-Forscher Baumann war voll des Lobes: „Wir haben
lange auf solch ein starkes Signal gewartet.“
## Zahlen liegen noch nicht vor
Eine finanzielle Gesamtzahl für die Dekade konnte jetzt noch nicht genannt
werden, weil viele Maßnahmen erst genauer definiert werden müssen. Allein
das BMBF hat in den letzten zehn Jahren nach eigenen Angaben 2,2 Milliarden
Euro in die wissenschaftliche Krebsforschung gesteckt. Im Jahr 2017 wurde
die Krebsforschung mit etwa 270 Millionen Euro (Projektförderung und
institutionelle Förderung) durch das BMBF gefördert. Im Jahr 2018 wird sich
dies nach Angaben des Ministeriums in einem ähnlichen Finanzrahmen bewegen.
Konkret kündigte die Forschungsministerin die Ausschreibung eines
Förderprogramms für Klinische Studien in Höhe von 62 Millionen Euro an.
Praxisverändernde Studien dieser Art würden in Deutschland noch zu wenig
durchgeführt, hatte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in der
Vergangenheit kritisiert. Klinische Studien sollen die gängige Praxis in
Prävention, Diagnose und Therapie überprüfen und vergleichen. Dafür sind
eine hohe Zahl von Fällen über einen längeren Zeitraum zu verfolgen.
An neuen Forschungsinfrastrukturen ist mittelfristig geplant, das
[3][Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT)]mit seinen bisherigen
zwei Standorten, in Heidelberg und Dresden, um zunächst vier weitere
Zentren zu ergänzen, die an Universitätsklinika von Hochschulen angedockt
sind und den Transfer zwischen Forschung und klinischer Anwendung
beschleunigen sollen.
Zur Verstärkung des Transfers wurde unter dem Dach der Deutschen Zentren
für Gesundheitsforschung bereits das [4][Deutsche Konsortium für
Translationale Krebsforschung (DKTK)] gegründet, das vom
Bundesforschungsministerium und den beteiligten Sitzländern mit jährlich 29
Millionen Euro gefördert wird. An insgesamt acht Standorten sind daran 300
Wissenschaftler beteiligt.
Im Bereich der Vorsorge und Verhütung verfolgt das DKFZ zusammen mit der
Stiftung Deutsche Krebshilfe den Aufbau eines Nationalen
Krebspräventionszentrums, das auch im internationalen Maßstab
zukunftsweisend sein soll. Hier soll die Präventionsforschung ausgebaut und
mit weiteren Partnern flächendeckend etabliert werden. Das Ziel: weniger
Kosten und weniger Leid.
„Fast jede zweite Krebserkrankung ist vermeidbar und viele Risikofaktoren
sind bekannt“, sagte Fritz Pleitgen als Präsident der [5][Deutschen
Krebshilfe]. Die private Hilfsorganisation sammelt jährlich 35 bis 40
Millionen Euro für die Krebsforschung ein. Der Dekade-Allianz gehören
weitere Stiftungen, medizinische Fachgesellschaften, Ärzteverbände,
Patientenorganisationen und Pharmaunternehmen an. Gewichtigster Partner auf
Regierungsseite ist neben dem BMBF das Bundesministerium für Gesundheit,
das nicht nur die medizinische Behandlung koordiniert.
Jährlich geben die gesetzliche Krankenversicherungen 6,5 Milliarden Euro
für die Krebsbehandlung in Krankenhäusern und Arztpraxen aus. Sein Haus,
erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), engagiere sich
verstärkt im Bereich der Prävention. Dazu gehöre neben dem Aufbau eines
bundesweiten Krebsregisters auch ab Mitte 2019 die Förderung eines
Darmkrebsscreenings, zu dem die Versicherten alle fünf Jahre aufgefordert
werden.
Schließlich habe im letzten Jahrzehnt (2002–2012) durch die freiwillige
Vorsorgeuntersuchung die Zahl der Darmkrebsfälle um geschätzt 180.000
vermindert werden können. Ein ähnliches Screening solle ab nächstem Jahr
den Frauen zur Vorbeugung gegen Gebärmutterhalskrebs angeboten werden.
## „Andere fliegen zum Mond“
Bei soviel Aktivitäten konnte Spahn nicht das Selbstlob unterdrücken:
„Andere fliegen zum Mond; wir wollen den Krebs besiegen.“ Und die
medizinische Seite des Feinstaubproblems, das derzeit vorwiegend verkehrs-
und umweltpolitisch diskutiert wird? Krebsforscher Michael Baumann verwies
auf Frage der taz darauf, dass der allergrößte Krebsverursacher mit 19,3
Prozent der Fälle das Tabak-Rauchen sei.
Es folgt die Gruppe der Zivilisationskrankheiten mit ungesunden
Ernährungsgewohnheiten (7,8 Prozent), Übergewicht (6,9) und Bewegungsmangel
(6,1). Auf Infektionen sind vier Prozent der Fälle zurückzuführen. Erst am
Schluss der Tabelle rangieren mit 1,2 Prozent die „Umweltfaktoren“, was
2018 immerhin 5.338 Krebserkrankungen in Deutschland verursachte.
Baumann räumt allerdings ein, dass sich die Zahl 1,2 ändern könnte, wenn
die Forschung zu Umweltschadstoffen intensiviert würde. „Es zeigt sich in
dieser Relation nur das, was wir heute dazu wissen.“
1 Feb 2019
## LINKS
[1] https://www.bmbf.de/de/nationale-dekade-gegen-krebs-7430.html
[2] https://www.dkfz.de/de/index.html
[3] https://www.nct-heidelberg.de/
[4] https://dktk.dkfz.de/de/home
[5] https://www.krebshilfe.de/
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
## TAGS
Forschungsprogramm
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Krebs
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