| # taz.de -- FDP-Parteitag zur Europawahl: Nicola Beer wird Spitzenkandidatin | |
| > Die Generalsekretärin erhält 86 Prozent der Stimmen. Im Programm zur | |
| > Europawahl wirbt die FDP für eine Art Vereinigte Staaten von Europa. | |
| Bild: Soll für die FDP nach Brüssel: Nicola Beer | |
| Berlin taz | Nicola Beer ist keine gute Rednerin. Eine knappe halbe Stunde | |
| spricht die FDP-Generalsekretärin auf dem FDP-Europaparteitag, ihre Rede | |
| kommt ohne eine einzige Pointe, ohne eine einzige Polemik aus. „Europa | |
| steht am Scheideweg […]. Wir wollen Europa so verändern, dass es wieder | |
| leuchtet […]. Wir wollen Europa verändern, um Chancen zu nutzen […]. Wir | |
| müssen Europa nicht neu gründen, aber wir müssen es neu balancieren.“ | |
| Liberale Plattitüden mischen sich mit europapolitischen Phrasen. Hinten im | |
| Saal stehen Delegierte und reden, andere schauen auf ihre Handys. | |
| „Europas Chancen nutzen“ heißt das Motto des FDP-Parteitags vieldeutig. | |
| [1][Beer soll auf diesem Parteitag zur Spitzenkandidatin der FDP für die | |
| Europawahl am 26. Mai gekürt werden] – und es scheint, als wolle die FDP | |
| die Wahl auch nutzen, um Beer wegzubefördern. Die 49-Jährige war mal | |
| Staatssekretärin für Europafragen in Hessen, eine Europa-Expertin ist sie | |
| aber nicht. 2013 wurde sie Generalsekretärin. Ein Nachfolger oder eine | |
| Nachfolgerin könnte der FDP mehr Glanz bringen als Beer. Im fernen Brüssel | |
| fallen schlechte Reden weniger auf als in Berlin. | |
| Es war ein etwas seltsamer Europaparteitag in Berlin. Emmanuel Macrons „En | |
| Marche“ hat sich den europäischen Liberalen für die Europawahl | |
| angeschlossen. FDP-Chef Christian Lindner freute sich in den letzten Wochen | |
| demonstrativ darüber und lobte den französischen Präsidenten. Aber auf dem | |
| Parteitag fehlt Macron, stattdessen tritt die dänische | |
| Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager auf. | |
| Vestager gilt als designierte Kandidatin der europäischen Liberalen für das | |
| Amt der Kommissionspräsidentin. Sie hält auf Englisch eine unterkühlte | |
| Rede: „In our society you can be what you want to be“, sagte sie. Auch ihre | |
| Rede wird nur mit mäßigem Applaus aufgenommen. | |
| ## „Der Kohleausstieg ist längst beschlossen“ | |
| So muss einmal mehr Christian Lindner für Stimmung sorgen, auch mit Spitzen | |
| gegen die Grünen. „Die einen, die AfD, wollen Europa schwächen. Die | |
| anderen, die Grünen, wollen alles vergemeinschaften, was Geld kostet: | |
| Risiken, Schulden, eine Arbeitslosenversicherung“, sagt er. Das lehnt | |
| Lindner mit Verweis auf den deutschen Föderalismus ab: Auch das grün | |
| regierte Baden-Württemberg übernehme nicht die Verantwortung für Bremen. | |
| „Wer handelt, muss auch haften“, so Lindner. | |
| Der FDP-Chef wendet sich auch gegen den am Wochenende [2][vereinbarten | |
| Kohlekompromiss]: „Der Kohleausstieg ist längst unausweichlich | |
| beschlossen“, sagt Lindner. Das liege nicht an dem Kompromiss, sondern am | |
| Zertifikatehandel. Deshalb würde niemand mehr in Deutschland noch ein neues | |
| Kohlekraftwerk bauen. Mit dem Kompromiss werde der Kohleausstieg „aber | |
| extrem teuer“, so Lindner. „Sehenden Auges beschließen wir etwas, was nicht | |
| erforderlich ist und Geld kostet, obwohl die Konjunktur erkaltet. Eine | |
| solche Politik kann man nur mit Ideologie erklären.“ | |
| Der FDP-Chef, der gleich zur Eröffnung spricht, setzt aber auch den Ton in | |
| einer innerparteilichen Debatte: „Heute vor 74 Jahren befreite die Rote | |
| Armee Auschwitz. Für mich ist immer noch unbegreiflich, was von Deutschen | |
| an Menschheitsverbrechen begangen wurde“, sagt er. „Das ist eine Mahnung, | |
| sensibel zu bleiben für die Mechanismen totalitärer Machtergreifung. In | |
| Europa wächst der Antisemitismus wieder.“ Und: In Europa würden „wieder | |
| Universitäten geschlossen“. | |
| Das ging auch gegen Beer, deren Verbindungen nach Ungarn in den letzten | |
| Wochen Thema geworden waren. Der frühere Orbán-Minister Zoltán Balog war | |
| vergangenen Herbst Trauzeuge bei der Hochzeit von Beer und Jürgen Illing. | |
| Balog war an dem Gesetz beteiligt, das die Arbeit der Soros-Universiät in | |
| Budapest behinderte. Illing soll gute Kontakte zur Orbán-Regierung pflegen | |
| und versucht haben, die FDP zugunsten Ungarns zu beeinflussen, berichtete | |
| der Spiegel. Beer selbst soll Balog in Schutz genommen haben: Sie kenne ihn | |
| gut genug, um auch nicht „den geringsten Zweifel an seinem Eintreten für | |
| die Freiheit der Wissenschaft zu haben“, [3][soll die FDP-Generalsekretärin | |
| laut Spiegel bei einer Veranstaltung der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft | |
| gesagt haben.] | |
| ## Die Allianz von Macron und Lindner bleibt brüchig | |
| Beer räumt die Angriffe auf dem Parteitag beiseite: „Ich habe keinerlei | |
| Sympathien für Herrn Orbán und seine illiberale Demokratie“, sagt sie. | |
| „Meine Sympathie gilt dem Land.“ Das könne damit zu tun haben, dass die | |
| Familie ihrer Mutter aus Dresden komme und Ungarn als erstes Land den | |
| Eisernen Vorhang zerschnitten habe. | |
| Die Partei dankt ihr den Auftritt mit 86 Prozent bei der Wahl zur | |
| Spitzenkandidatin. Platz 2 erobert die Vorsitzende der Europäischen | |
| Liberalen Jugend (LYMEC), Svenja Hahn, in einer Kampfkandidatur mit 73 | |
| Prozent deutlich vor der Europaabgeordneten Nadja Hirsch mit 20 Prozent. | |
| „Ich glaube an eine Europäische Union, in der jeder Held seines eigenen | |
| Lebens sein kann“, sagt Hahn in ihrer Bewerbungsrede. Hirsch hatte im | |
| Spiegel über Beeinflussungsversuche Beers in der Ungarnpolitik berichtet. | |
| Sie fällt anschließend auch in einer Kampfkandidatur für Platz 6 deutlich | |
| durch. | |
| Der Entwurf des Europawahlprogramms wurde am Abend endgültig beschlossen. | |
| Die FDP hält darin an ihrer Idee einer Art Vereinigter Staaten von Europa | |
| fest, allerdings als Bundesstaat, nicht als „zentralisierter europäischer | |
| Superstaat“, wie es heißt. Englisch soll überall in den Ämtern zweite | |
| Amtssprache werden. In der Flüchtlingspolitik fordert die FDP „sichere | |
| Fluchtwege“ und die Einrichtung von Schutzzonen unter UNHCR- oder | |
| EU-Aufsicht in Nordafrika. Flüchtlinge in Seenot auf dem Mittelmeer könnten | |
| dorthin gebracht werden – und dort ihr Asylverfahren durchlaufen. | |
| Das Kapitel zur Finanzpolitik enthält bekannte Positionen: „Wir Freie | |
| Demokraten stehen für einen transparenten Steuerwettbewerb innerhalb der | |
| EU“, heißt es darin. Mindeststeuersätze innerhalb der EU lehnt die FDP ab, | |
| ebenso eine Finanztransaktionssteuer. | |
| Nach einem Defizitverfahren will die FDP künftig automatische Sanktionen | |
| gegen Mitgliedsstaaten. Das dürfte auch Frankreich künftig Probleme | |
| bereiten: Weil Macron den Protesten der Gelben Westen nachgab, rechnet | |
| Ministerpräsident Édouard Philippe in 2019 mit einem Defizit von 3,2 | |
| Prozent des Bruttoinlandsproduktes – 0,2 Prozent mehr ,als die EU erlaubt. | |
| Was hätten die Delegierten gesagt, wenn ihr Bündnispartner Macron die | |
| Notwendigkeit des Defizits in Berlin begründet hätte? Die Allianz von | |
| Macron und Lindner bleibt brüchig. | |
| 27 Jan 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /FDP-Generalsekretaerin-Nicola-Beer/!5568038 | |
| [2] /Abschlussbericht-der-Kohlekommission/!5568305 | |
| [3] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/nicola-beer-in-der-kritik-unklare… | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Reeh | |
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