# taz.de -- Brexit und Labour-Party: Verhalten und gespalten | |
> So uneinig wie die Tories ist auch die britische Oppositionspartei. Im | |
> tiefen Wasser zwischen den Lagern schwimmt Parteichef Corbyn. | |
Bild: Was will er dort? Was will er überhaupt? Jeremy Corbyn im Parlament | |
London taz | Eigentlich war die Strategie der britischen Labour-Opposition | |
[1][nach dem Scheitern von Theresa Mays Brexit-Deal] klar. Mithilfe eines | |
Misstrauensvotums wollte die Partei von Jeremy Corbyn Neuwahlen erzwingen, | |
um dann Labour an die Macht zu bringen – das war der Traum, manche sagen | |
die Pflicht Labours, um den gordischen Knoten zu lösen. Doch May [2][gewann | |
das Votum] und jetzt führt die Premierministerin Gespräche mit allen | |
politischen Kräften über einen Brexit-Plan B – außer mit dem | |
Labour-Schattenkabinett. | |
Denn Corbyn stellte für Gespräche eine Bedingung: ein möglicher „No Deal“ | |
müsse zuerst vom Tisch. Das lehnte May ab, denn ohne die Option eines | |
Austritts ohne Vereinbarung kann sie keinen Druck auf die EU ausüben, | |
Neuverhandlungen zuzustimmen. | |
Inzwischen trafen sich alle möglichen Parlamentarier*innen mit May und | |
ihrem Team. Sogar Labour-Parteirebellen wie Hilary Benn und John Mann | |
machten sich gegen den ausdrücklichen Wunsch ihres Parteichefs auf in die | |
Downing Street No. 10. David Blunkett, ehemaliger Minister in der | |
Blair-Regierung, sagte der BBC, er verstehe nicht, weshalb Corbyn seine | |
Position nicht dort darlegen könne. Auch Blair äußerte sich ähnlich. Die | |
alte Spaltung zwischen Labour-neoliberal und Labour-sozialistisch lebt | |
weiter. | |
Doch für viele auf der Linken ist dies keine Normalsituation. Was jetzt mit | |
dem Brexit geschieht, prägt Großbritanniens Zukunft über Jahre hinweg. | |
## Sechs Bedingungen für eine Zustimmung | |
„Die Partei hat sich verschanzt. Mit ihren derzeitigen politischen | |
Selbstverpflichtungen kann sie nur ‚gegen‘ etwas und nicht ,für' Vorschlä… | |
die den Brexit lösen, stimmen“, moniert Andrew Harrop von der Fabian | |
Society, Labours führendem parteiinternen Thinktank. | |
Zwar stellte die Partei bereits im März 2017 sechs Bedingungen für eine | |
Zustimmung zu einem Brexit-Deal auf – sechs relativ flexibel zu | |
interpretierende Forderungen unter anderem nach einer „fairen | |
Migrationspolitik“, nach einer „starken Partnerschaft mit der EU“ und nach | |
Beibehaltung der „genau gleichen Vorteile“ von Binnenmarkt und Zollunion | |
auch nach einem Austritt –, aber das kommt für Harrop keinem konkreten Plan | |
für die Zukunft gleich. | |
Labours Brexit-Hürden hätten es ermöglicht, sich gegen jeglichen | |
„Tory-Brexit“ zu stellen, aber „sie erlaubten der Partei auch, Kompromiss… | |
aus den Weg zu gehen, welche die Partei hätte eingehen müssen, wäre sie an | |
der Macht“. | |
Die Gräben auf der britischen Linken in Bezug auf den Brexit sind fast | |
genauso tief wie bei den zerstrittenen Tories. [3][Corbyn sagt herzlich | |
wenig] über Brexit-Pläne. Die ihn unterstützende Basisbewegung „Momentum“ | |
antwortet auf eine taz-Anfrage nicht, als einziger Gesprächspartner. | |
## Kein zweites Referendum | |
Nicht lange überlegen muss auf Anfrage Großbritanniens zweitgrößte | |
Gewerkschaft „Unite“, mit 1,2 Millionen Mitgliedern, deren Chef Len | |
McCluskey als einer der engsten und einflussreichsten Mitstreiter Corbyns | |
gilt. „Unsere Position hat sich seit September 2017 nicht geändert“, sagt | |
Gewerkschaftssprecher Barckley Sumner und verweist auf eine sechs Monate | |
alte Erklärung McCluskeys. | |
Darin fordert dieser Neuwahlen, „um das Rad des 40-jährigen Neoliberalismus | |
zurückzudrehen, den Brexit-Deal der imperialen Nostalgiker und | |
Marktwirtschaftsfanatiker aus den 1950er Jahren zu stoppen und | |
Arbeitsrechte und Arbeitsplätze, grenzenlosen Handel und die Rechte von | |
EU-Bürger*Innen zu sichern“. Was heißt das konkret in der aktuellen | |
Situation? | |
McCluskey ist gegen ein zweites Referendum, weil es schon eines gab. Diese | |
Position der mächtigsten, mit Corbyn verbündeten Gewerkschaft ist eine | |
erhebliche Hürde für Labour, sich als Partei hinter die „People’s | |
Vote“-Kampagne für eine neue Volksabstimmung zu stellen. | |
Der Enthusiasmus für diese Forderung ist bei den Gewerkschaften insgesamt | |
gering. Der kleinen Zugfahrergewerkschaft Aslef, einst dem Brexit | |
zugeneigt, ist es vollkommen egal, wie ihr Sprecher der taz erklärt, ob es | |
zu einem zweiten Referendum oder Neuwahlen kommt: Hauptsache, das Volk | |
stimmt in der einen oder anderen Art ab. Aslef schlägt für die Zukunft | |
„eine Art Zollunion“ vor. | |
## Einflussreiche Pro-Brexit-Stimmen bei Labour | |
Auch der quer durch alle Branchen aktiven Gewerkschaft GMB – knapp die | |
Hälfte ihrer 631.000 Mitglieder waren nach GMB-Angaben für den Brexit – ist | |
sowohl eine Neuwahl als auch ein Referendum recht. „Niemand stimmte [4][für | |
den Brexit], um später wirtschaftlich schlechter dazustehen“, erklärt | |
GMB-Berater Neil Foster. Auch hier fallen Forderungen wie Zollunion, | |
Einhaltung von EU-Mindeststandards bei Arbeiterrechten. | |
Viele Labour-Aktivisten setzen derweil auf eine zweite Volksabstimmung – | |
laut einer Umfrage im Dezember 78 Prozent aller Parteimitglieder – und | |
erwarten, dass ihre Parteiführung ihnen endlich folgt. Inzwischen haben | |
sich bis zu 88 der 256 Labour-Abgeordneten im Unterhaus hinter die | |
„People’s Vote“ und ihr Begehren eines zweiten Referendums gestellt. | |
Aber sie beißen weiter auf Granit. Labours Brexit-Schattenminister Keir | |
Starmer, der als ehemaliger Generalstaatsanwalt als eine der seriösesten | |
Stimmen des Schattenkabinetts gilt, erneuerte am Freitag im labour-nahen | |
Guardian sein Unbehagen über eine zweite Volksabstimmung. „Millionen | |
unserer traditionellen Wähler*innen erwarten von uns, unser Versprechen | |
einzuhalten, das erste Referendum zu respektieren“, schrieb er. | |
Es gibt nämlich auch einflussreiche Pro-Brexit-Stimmen bei Labour. Robert | |
Griffiths von Left Leave, einem Pro-Brexit-Konsortium aus sozialistischen, | |
kommunistischen und anderen Gruppen, ist vollkommen gegen ein zweites | |
Referendum und versteht es überhaupt nicht als demokratische Erweiterung, | |
sondern als deren Negation. Griffiths ist der Meinung, dass Großbritannien | |
ohne die Anbindung an EU-Richtlinien besser dastünde – nur ein Bruch mit | |
ihnen mache höhere staatliche Subventionen und Verstaatlichungen möglich. | |
Sollte Labour dem Druck für ein zweites Referendum nachgeben, prophezeit | |
der Guardian daher eine Rücktrittswelle aus dem Schattenkabinett. Doch eine | |
Spaltung könnte auch drohen, wenn Labour dem Druck nicht nachgibt. Michael | |
Chessum von der links-progressiven Gruppe „Another Europe is Possible“, die | |
sich 2016 für den Verbleib in der EU, aber auch für radikale | |
Anti-Austeritäts-Reformen einsetzte, verlangt, dass die Labour-Spitze rasch | |
auf die eigene Basis zugeht. | |
## Meinungsumfragen für zweites Referendum | |
Er prognostiziert Verheerendes, wenn Corbyn das nicht tut. „Es wird die | |
Basis demoralisieren, das Corbyn-Projekt schwerwiegend spalten und die | |
Möglichkeit eines radikalen Regierungsprogramms versenken“, glaubt er. | |
Andere Parteien aus dem linken Spektrum haben da weniger Probleme. Sowohl | |
die schottische Nationalpartei SNP als auch die Liberaldemokraten und die | |
Grünen fordern offen ein zweites Referendum. Sie haben, anders als die | |
Labour-Führung, auch kein Problem damit gehabt, sich mit May zu treffen. | |
Eine Quelle bei den Liberaldemokraten unterstreicht gegenüber der taz, dass | |
noch nie eine britische Regierung mit so vielen Stimmen eine | |
Parlamentsabstimmung verloren habe wie Theresa May am Dienstag mit ihrem | |
Brexit-Deal. Hinzu käme, dass die Option eines Verbleibs in der EU in der | |
letzten YouGov-Meinungsumfrage mit 54 Prozent führe. Die Kampagne „People’s | |
Vote“ versucht seit Monaten durch derartige Meinungsumfragen zu beweisen, | |
dass ein zweites Referendum gerechtfertigt sei. | |
Die Kampagne für ein zweites Referendum mag stark sein, ihre Vertreter | |
protestieren tagtäglich vor dem Parlament. Aber die Aussichten darauf, dass | |
die Mehrheit des Parlaments dafür stimmen würde, bleiben bisher gering. Die | |
Regierung betont, eine zweite Volksabstimmung sei ausgeschlossen, weil sie | |
die Fronten im Land weiter verhärten und dem Volk signalisieren würde, dass | |
die Politik versagt habe. | |
Laut der einzigen grünen Parlamentarierin Caroline Lucas sei das allerdings | |
ohnehin der Fall. Sie äußerte sich nach ihrem Treffen mit Theresa May am | |
Donnerstag pessimistisch. „Ich sah keine Anzeichen der | |
Kompromissbereitschaft bei der Premierministerin“, erklärte sie. „Es kann | |
sein, dass es für unsere Vorschläge zu spät ist.“ | |
Andrew Harrop vom Thinktank Fabian Society sieht ein zweites Referendum als | |
die allerletzte Option, nachdem alles andere versagt habe. Labour müsse | |
pragmatisch handeln. „Wir haben den Punkt erreicht, wo Labour aufhören muss | |
zu denken, die Partei könnte durchsetzen, was sie will.“ | |
18 Jan 2019 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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