# taz.de -- Abstimmung im Parlament in London: No Deal? No Brexit? No May! | |
> Das Unterhaus kann den Brexit-Vertrag billigen oder beerdigen. Wie nach | |
> einer Ablehnung ein Austritt ohne Deal verhindert werden kann, ist offen. | |
Bild: Wenn May die Abstimmung verliert, könnte die Opposition eine Neuwahl erz… | |
Für ihren letzten öffentlichen Auftritt, bevor womöglich ihr politisches | |
Schicksal besiegelt wird, wählte Theresa May eine Porzellanfabrik. | |
Zerbrechliche Tassen umgaben die britische Premierministerin, als sie am | |
Montagmittag in den Portmeirion-Werken der zentralenglischen | |
Brexit-Hochburg Stoke-on-Trent ein letztes Mal für den EU-Austrittsvertrag | |
warb, über den am Dienstag [1][das britische Unterhaus befindet]. | |
73 Tage bevor Großbritannien am 29. März 2019 die Europäische Union | |
verlässt, sollen die Abgeordneten den zwischen der EU und der Regierung May | |
ausgehandelten „Deal“ über den Brexit ratifizieren. Stimmen sie zu, gibt es | |
eine weiche Landung: eine Übergangszeit bis Ende 2020, verlängerbar um zwei | |
Jahre, in der sich außer dem Wegfall britischer Vertretung in den | |
EU-Institutionen nichts ändert. | |
Dann der sogenannte Backstop für Nordirland, also der Verbleib | |
Großbritanniens in der EU-Zollunion, bis sicher ist, dass keine | |
Grenzkontrollen an der zukünftigen EU-Außengrenze zwischen der Republik | |
Irland und Nordirland eingeführt werden müssen. Die gegenseitigen Rechte | |
von Briten in der EU und EU-Bürgern in Großbritannien werden im Abkommen | |
ebenso festgeschrieben wie das Ausmaß der künftigen Beteiligung Londons am | |
EU-Haushalt und der künftigen Gültigkeit von EU-Rechtsprechung. | |
Ratifizieren die Abgeordneten diesen „Deal“ nicht und einigen sie sich auch | |
auf keine Alternative, verlässt Großbritannien am 29. März die EU ohne Deal | |
– ohne Übergangsfrist, ohne fortdauernde EU-Regeln, ohne Zollunion, ohne | |
Garantien für Nordirland und Bürger, ohne Finanzzusagen. Brexit-Hardliner | |
sagen, bei entsprechender Vorbereitung müsse der „No Deal“ nicht ins Chaos | |
führen. Sie hoffen auf genau diese harte Landung als „klaren Brexit“. | |
## Keine Mehrheit für Mays Deal in Sicht | |
Ein Ja zu Mays Deal gilt als unwahrscheinlich. Von den 638 am Dienstag | |
abstimmenden Abgeordneten gehören 317 zu Theresa Mays Konservativen. Von | |
diesen lehnen nach laufenden Zählungen von Parlamentskorrespondenten 112 | |
den Deal ab. Viel mehr als 200 Deal-Befürworter bleiben selbst dann nicht | |
übrig, wenn eine Handvoll Parlamentarier aus anderen Parteien für ihn | |
stimmen, gebraucht würden aber 320. Offiziell sind alle anderen Parteien | |
sowieso dagegen, von Labour bis hin zu den nordirischen DUP-Protestanten. | |
Einig sind sich all diese weit über 400 May-Gegner allerdings lediglich im | |
Nein. Ein Ja zu irgendwas eint sie nicht. [2][Die konservativen | |
Deal-Gegner] wollen den harten Brexit und haben laut Umfragen die | |
konservative Basis auf ihrer Seite. Die Labour-Basis will mehrheitlich das | |
Gegenteil: eine zweite Volksabstimmung, die den Brexit kippen könnte. Alle | |
neutralisieren sich gegenseitig. | |
Auf diese Konfusion setzt May. Brexit-Gegnern droht sie mit „No Deal“, | |
Brexit-Hardlinern mit „No Brexit“ – dies sei „das größere Risiko“, … | |
sie am Montag in Stoke-on-Trent. | |
Am Abend wollte May vor dem Unterhaus noch eine Trumpfkarte spielen: einen | |
Briefwechsel mit EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Kommissionschef | |
Jean-Claude Juncker, der Bedenken zerstreuen soll. Man werde alles tun, um | |
den umstrittenen Backstop nicht einzusetzen, beteuern Tusk und Juncker in | |
dem fünfseitigen Schreiben. Sollte der Austrittsvertrag ratifiziert werden, | |
so werde die EU sofort Verhandlungen zu einem Partnerschaftsvertrag mit | |
Großbritannien einleiten. | |
## A very British coup | |
Die EU rückt keinen Millimeter von dem – weitgehend von Brüssel diktierten | |
– Vertragstext ab. Sie lässt auch [3][keinerlei Bereitschaft für einen | |
„Plan B“] erkennen, der May noch eine Mehrheit für den Brexit-Deal sichern | |
könnte. Die viel gerühmte „Kultur des Kompromisses“, die die EU gern | |
preist, kommt beim Brexit nicht zur Geltung. | |
Kommt also der No Deal? Die Gesetzeslage sagt: Ja. Nach dem | |
Brexit-Referendum von 2016 stimmten die Parlamentarier 2017 für die | |
Einleitung des Brexit und billigten 2018 das EU-Austrittsgesetz, das den | |
Austrittstermin 29. März 2019 festschreibt. Dieses Gesetz gilt, solange es | |
nicht durch ein anderes Gesetz abgelöst wird, und das wäre nicht mehr vor | |
dem 29. März auf den Weg zu bringen. Ein einfacher Parlamentsbeschluss | |
gegen No Deal ändert daran nichts. | |
Das erste Ziel der No-Deal-Gegner, die sich um einen harten Kern von rund | |
20 Konservativen gruppieren, lautet daher: Zeit gewinnen. In einem | |
umstrittenen Verfahren stimmten die Parlamentarier vergangene Woche dafür, | |
dass May bei einer Niederlage nach drei Sitzungstagen einen neuen Vorschlag | |
zur Abstimmung vorlegen muss – also bis Montag 21. Januar. | |
Dann wollen die konservativen Rebellen durchsetzen, dass nicht nur die | |
Regierung bindende Vorschläge einbringen darf, sondern auch die | |
Hinterbänkler. Theresa May wäre dann faktisch entmachtet. Von einem „sehr | |
britischen Putsch“ sprach am Sonntag die Sunday Times, die diese Pläne | |
enthüllte. | |
Der weitestgehende Vorschlag: Wenn nach sechs Wochen keine | |
Parlamentsmehrheit für eine Alternative zum May-Deal zustande kommt, soll | |
die Regierung eine Verschiebung des Austrittstermins bei der EU beantragen. | |
Sollte die EU ablehnen, müsste May den Brexit komplett zurückziehen. | |
Aber wenn May haushoch verliert, gäbe es eine einfachere Variante: die | |
Labour-Opposition könnte die Vertrauensfrage stellen und Neuwahlen | |
erzwingen. So oder so wäre im Parlament viel Porzellan zerschlagen. | |
Mitarbeit: Eric Bonse, Brüssel | |
14 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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