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# taz.de -- „Look Now“ von Elvis Costello: Nicht einfach alles rauslassen!
> Der Brite Elvis Costello ist ein begnadeter Komponist und Textschmied,
> das beweist seine Platte „Look Now“. Warum bleibt seine Renaissance
> bislang aus?
Bild: Kein flamboyanter Bowie, dennoch eigensinnig: der Musiker Elvis Costello
„Wird es mir das Herz brechen, wenn mir keiner mehr zuhört?“, fragt Elvis
Costello. „Wahrscheinlich nicht. Nach all der Zeit muss man davon ausgehen.
Einige Leute meinen, dass Alben keine Bedeutung mehr haben. Das ist
Quatsch! Sie bedeuten als kulturelles Format nach wie vor eine ganze Menge.
Zumindest sind sie Aufzeichnungen davon, wie wir uns fühlen. Wie
Kritzeleien an Höhlenwänden oder Graffiti in einer Gefängniszelle.“
Seinem neuen, insgesamt 39. Album „Look Now“ stellt der britische Künstler,
der bürgerlich Declan MacManus heißt, solche Zeilen voran; die Liner Notes
haben insgesamt die Länge einer Novelle. Neben einer Analyse des
Aufnahmeprozesses und Charakterisierungen seiner Kollaborateure finden sich
dort Reflexionen und Betrachtungen des eigenen Werks. Einmal spottet
Costello, dass die Plattenfirma, die seinen Marktwert genau kalkuliert
habe, nur noch auf sein Ableben warte, um mit posthumen Käufen noch einmal
Kasse zu machen. An diesem Punkt in seiner Karriere sähe er sich jedoch
keineswegs.
Es scheint naheliegend, dass diese Grübeleien, im Sommer niedergeschrieben,
von Costellos damals diagnostizierter und mittlerweile gut behandelter
Krebserkrankung ausgelöst wurden. Im Gespräch rudert er nämlich, wieder
genesen, ein wenig zurück und setzt seine Äußerungen in den Kontext eines
Strukturwandels der Musikindustrie.
„Ich lebe nicht in einer Traumwelt, in der Millionen von Menschen mein
neues Album hören werden“, sagt er. „Das werden sie nicht. Ständig passie…
so viel, und es gibt so viel zu tun und zu hören, dass es den Leuten schwer
fällt, den Wert einer Sache zu sehen. Als meine ersten Alben in den
Siebzigern draußen waren, wurde ich jede Woche angerufen, und sie haben mir
die Verkaufszahlen mitgeteilt. Ein paar Hundert verkaufte Exemplare, dann
ein paar Tausend, dann Zehntausend, Hunderttausend. Ab einem gewissen Punkt
ging es nicht mehr weiter.“
## Wie der andere Elvis
1977 veröffentlichte Costello sein Debütalbum, „My Aim Is True“, zwölf
dicht arrangierte, sauber komponierte Power-Pop-Nummern, charakterisiert
vor allem durch seine heisere Stimme, der man die Jahre auf kleinen Bühnen
und Pubs deutlich anhört. Während er für viele 40- bis 60-Jährige darum
eine Ikone ist – Costello steht im Zusammenhang mit Punk und New Wave –,
haben die Kinder und Kindeskinder seinen Namen bestenfalls mal gehört.
Wieso bleibt die Costello-Renaissance aus? An den tollen Liedern liegt es
nicht. Entspricht Costello als weißer, notorisch schlecht gelaunter,
heterosexueller Künstler einem gerade unerwünschtem Profil?
Vielleicht ist ja auch die Umtriebigkeit das Problem. Er hat fast drei
Dutzend Alben in vier Jahrzehnten veröffentlicht, probiert sich in völlig
verschiedenen Stilrichtungen aus, zuletzt vor allem in unsexy Genres wie
„Adult Contemporary“, da ist der Zugang schwer und der Überblick auch. Die
Diskografie David Bowies zum Beispiel erscheint ähnlich unübersichtlich,
aber den kennt jede 20-Jährige. Weil Bowie flamboyanter, fluider ist. Und
verstorben. An dem Punkt seiner Karriere, wie gesagt, ist Costello noch
nicht.
„Look Now“, sein neues Album – das erste seit fünf Jahren –, ist zieml…
gut geworden. Musikalisch sind die zwölf Lieder pianistisch grundiert,
üppig orchestriert, es sind Songs, wie sie der andere Elvis gut in Las
Vegas hätte singen können. Mal klingt es nach Motown-Soul mit mächtigem
Backbeat, zum Beispiel die exzellente Single „Unwanted Number“, in deren
Strophe Costello in der für ihn typischen Art eine Menge Silben pro Zeile
unterkriegt und jeder eine eigene Note gibt.
## Die Schichten freilegen
„Look Now“ besteht aus zwölf Storysongs, Liedern, in denen Costello
eindeutig die Perspektive einer Erzählfigur einnimmt, die mit seiner Person
auf den ersten Blick wenig gemein hat. In der schönen Ballade „Stripping
Paper“ singt er zum Beispiel aus Sicht einer unglücklich verheirateten
Frau, die in einer manischen Episode die Tapeten in ihrem Haus
herunterreißt und sich mit jeder freigelegten Schicht gedanklich tiefer in
ihre Vergangenheit bewegt.
„Die Lieder sind autobiografisch, absolut“, erklärt Costello. „In dem
Sinne, dass sie aus mir herausgekommen sind und Gedanken von mir
beinhalten, selbst wenn diese durch eine erfundene Figur ausgedrückt
werden. Nichts ist persönlicher als ein Gedanke. Es gibt ja eine Menge
Songwriter, die meinen, Ehrlichkeit wäre das Alibi für mangelhafte
Qualität. Als würde ein schlechtes Lied dadurch besser, dass das, was da
besungen wird, wirklich passiert ist. So läuft es nicht. Es braucht schon
Technik, sonst wird nur heiße Luft transportiert. Andernfalls ist es
schlicht Inkontinenz. Man lässt einfach etwas heraus.“
Es war nicht leicht, „Look Now“ finanziert zu bekommen, zumal Costello ja
ein Album mit anständigen Produktionswerten vorschwebte, ein richtiges
Studiowerk mit aufwendigen Arrangements. „Ich kümmere mich nicht um den
kommerziellen Aspekt, dafür sind andere zuständig“, sagt er leicht
säuerlich. „Ich will denen nicht ihre Arbeit wegnehmen, und die sollen mir
nicht meine Arbeit wegnehmen.“ Seine künstlerischen Entscheidungen haben
schon häufig Leute irritiert. „Ich bin Anfang der Achtziger nach Nashville
gegangen und habe ein Country-Album aufgenommen, und mein Publikum war
entsetzt“, sagt er.
Wenn heute die Nostalgie seiner Zuhörerschaft nicht einfach Wertschätzung
sei, sondern der Imperativ, nicht zu experimentieren, verliere er die
Geduld. „Wer daran nicht interessiert ist, hat ja das Recht, wegzuhören“,
sagt er. „So wie ich das Recht habe, das zu machen, was ich will. Und
irgendwer wird mir schon zuhören!“
2 Jan 2019
## AUTOREN
Jan Jekal
## TAGS
Elvis Costello
Punkrock
New Wave
David Bowie
Elvis Costello
Country
Sexismus
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