# taz.de -- Ausstellung in Hamburg: Mit dunklem Herzblut | |
> Verzweifelt-existenzielle Kunst-Achterbahnfahrt: Die Kunsthalle | |
> präsentiert in der ersten Museumsschau überhaupt den belgischen Maler | |
> Philippe Vandenberg. | |
Bild: Kreative Zerstörung: Vandenbergs „Zu lieben heißt zu geißeln I“, �… | |
HAMBURG taz | Der Mann wollte nicht so heißen wie er hieß – und änderte | |
seinen Namen in erklärter Abgrenzung zum Vater, wenn auch nur wenig: von | |
Vandenberghe in Vandenberg. Der Künstler, der er gegen den Willen des | |
Vaters wurde, wollte aber nicht wirklich akzeptieren, was er malte – und | |
änderte stets in stets suchender, oft kaum wiedererkennbarer Weise seinen | |
Stil und seine Themen. Der Mensch wollte schließlich nicht so leben, wie er | |
lebte – und beging mit 57 Jahren Selbstmord. | |
Der bisher in Belgien berühmte, aber außerhalb Belgiens kaum gezeigte | |
Philippe Vandenberg (1952–2009) ist zu entdecken: Die Hamburger Kunsthalle | |
geht das Risiko ein, mit der größten bisherigen Ausstellung und ersten | |
Museumsschau überhaupt der internationale Vorreiter zu sein – im | |
Zusammenspiel mit den Erben, den Kindern Helene, Guillaume und Mo sowie | |
Hauser & Wirth, einer der größten Galerien der Welt mit Sitz in der | |
Schweiz. | |
„Kamikaze“ heißt die Ausstellung mit der Präsentation von etwa 80 Bildern | |
und 120 Zeichnungen – der Titel setzt sich nicht in Bezug zum | |
Ausstellungsexperiment, sondern zum Leben des Künstlers. Kamikaze ist als | |
Wort für den selbstmörderischen Kriegseinsatz des japanischen Kaiserreichs | |
bekannt, doch eigentlich bezeichnet die so ausgedrückte Lesung der | |
japanischen Schriftzeichen den göttlichen Wind der Veränderung. Historisch | |
wurde er speziell verwendet für die Taifune, die die Flotte der Mongolen | |
bei ihrem Eroberungsversuch Japans im 13. Jahrhundert scheitern ließen. | |
Für Philippe Vandenberg steht dieser Begriff Kamikaze für vollen Einsatz | |
und steten Wandel, für Erneuerung durch Zerstörung und dann doch auch für | |
das selbstgewählte Ende. Was dem Publikum im ganzen Sockelgeschoss der | |
Kunsthalle erstmalig in diesem Umfang präsentiert wird, ist ein Künstler | |
mit van Gogh’schem Pathos, ein Werk von einer eigentlich durch konzeptuelle | |
Intellektualisierung längst abgelösten Leidensintensität in unerwartet | |
himmelhoch jauchzend, zuTode betrübtem Geiste, das in einer durchaus sehr | |
belgischen multisexuell-traumhaften Spätromantik verankert ist. | |
## Erneuerung durch Zerstörung | |
Das Selbstopfer brennender Mönche, die zum Hakenkreuz verfälschte Swastika, | |
gequälte und aggressive Hunde, aufgespießte Köpfe und des für die Erlösung | |
leidenden Christi Füße: Philippe Vandenberg hat es gemalt. Doch ebenso | |
finden sich klare, ruhige Bildtafeln mit rechteckigen Farbfeldern oder fast | |
ganz monochrome – oft sind das auch Übermalungen eigener Bilder. In dieser | |
Parallelität keimt dann langsam eine Ahnung auf, was sich auch hinter einer | |
abstrakt zugemalten Fläche an Irrsinn verbergen kann. | |
Und den wittert Vandenberg überall: Unter dem Bild, in dem ein gewisser | |
Herr Kohl und M. Gorbatschow über die deutsche Einheit verhandeln, steht | |
„En Route pour des Nouvelles Overtures“ (Auf dem Wege zu neuen Anfängen) | |
und das „T“ ist dabei als Hakenkreuz gebildet. | |
Bei dem zeitweilig depressiven und stark drogenabhängigen Künstler werden | |
Frauen von Schildkröten vergewaltigt und Mutter und Tochter haben eine | |
höchst archaische, unauflösbar aneinander gekettete, schmerzhafte | |
Blutsbeziehung. Bei Philippe Vandenberg legt sich eine unausweichliche | |
Trauer über die Menschen, auch über die Tiere und sogar die Steine. Es ist | |
eine mitunter unangenehm leidvolle Sicht auf die Welt, deren reale | |
Grässlichkeiten sonst meist ausgeblendet und nicht gemalt werden – | |
abgesehen von den blutigen Wunden der christlichen Mythologie. | |
Die traditionellen Schmerzensbilder der Religion werden längst ohne Schock | |
als normal empfunden, scheinen aber den jungen Vandenberg zusammen mit der | |
Bildwelt von Hieronymus Bosch und der Hundezucht der Eltern geradezu | |
traumatisch geprägt zu haben. Wobei zu bedenken ist, das christlich | |
gesehen, ja gerade im Leid die Erlösung liegt. „Zu lieben heißt zu | |
geißeln“, heißt es bei Vandenberg, der schon mal Bildern eigenes Blut | |
beimischt. | |
## Schmerzensbilder | |
Da malt einer, der sich selbst als Agnostiker sieht, in Brüssels Stadtteil | |
Molenbeek in der Nachbarschaft islamischer Fundamentalisten tief | |
katholische Bilder, die sich auf Höllen-Brueghel, den Mystiker El Greco | |
und den Phantasten James Ensor beziehen. Er schreibt wüst bösartige | |
Textbilder über die einzigartig große, völlig verzweifelte Liebe und ergeht | |
sich in bunt verkritzelten, wild wiederholten Morddrohungen gegen die | |
Gesellschaft, ja das Universum. | |
Es ist so, als ob Vandenberg die Grausamkeiten Artauds und die Räusche | |
Rimbauds und andere böse Blumen der Zeit im malenden Schreibstil Cy | |
Twomblys wiedererwecken wollte – der Bezug ist klar, denn auch | |
Porträtstudien von eben Antonin Artaud und gleich siebenmal von Ulrike | |
Marie Meinhof gehören zum Werk: „Kill Them all and Dance“ – wie immer | |
wieder zu lesen ist. Le grand Terreur als Kunst, Kunst als Terror, | |
zumindest als anarchistisch-verzweifeltes Stimmungsbild. | |
Spricht das alles nun für die Universalität der Kunst oder ist das sehr | |
flandrisch surreal oder doch ein kleines bisschen abseitig? Was auch immer | |
damit anzufangen ist, es ist schon sehenswert. Denn dergleichen | |
existenzielle Achterbahnfahrten werden nicht so oft geboten: „Malen ist | |
eine Übung im Geborenwerden und im Sterben.“ Mit weniger Anspruch ist | |
Philippe Vandenberg nicht zu haben. | |
4 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
hajo schiff | |
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