# taz.de -- Dinge des Jahres 2018: Fast ein Oscar | |
> Rachel Morrison ist die erste Kamerafrau, die je für einen Oscar | |
> nominiert wurde. 2018 hat sie ihn nicht bekommen, aber sie bleibt dran. | |
Bild: Die Kamerafrau Rachel Morrison | |
taz am wochenende: Frau Morrison, Sie waren als erste Frau in der | |
Geschichte der Oscars für die „Beste Kamera“ nominiert. Wie fühlte sich d… | |
an? | |
Rachel Morrison: Im ersten Moment war ich total überwältigt. Heute bin ich | |
stolz darauf und weiß die Nominierung zu schätzen. Auch, weil sie eine | |
wichtige Diskussion angestoßen hat. Darüber, wie es sein kann, dass 90 | |
Jahre lang keine einzige Frau in der Kategorie dabei war, und warum das | |
bisher kein Thema war. | |
Im Jahr 2017 wurden nur zwei Prozent der 100 erfolgreichsten amerikanischen | |
Kinofilme von Kamerafrauen gedreht. Warum üben den Beruf wesentlich mehr | |
Männer aus? | |
Darauf hatte ich noch nie eine überzeugende Antwort. Okay, die Arbeit als | |
Kamerafrau ist sehr technisch. Aber Frauen sind in technischen Dingen | |
ebenso gut wie Männer. Außerdem geht es in unserer Arbeit darum, Emotionen | |
in Bilder zu übersetzen. Eine Fähigkeit, zu der mein Geschlecht durchaus in | |
der Lage ist. | |
Der Weinstein-Skandal, MeToo und dann die Time’s Up-Bewegung gegen Sexismus | |
und sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz und für mehr Gleichberechtigung in | |
der Filmbranche: Wo sind die Missstände Ihrer Meinung nach besonders groß? | |
Frauen haben es in den USA deutlich schwerer, einen Film finanziert zu | |
bekommen. An den Hochschulen ist das Geschlechterverhältnis noch relativ | |
ausgeglichen. Bei den Independent-Produktionen sinkt es dann auf 60 zu 40. | |
Richtig offensichtlich wird es bei den teuren Studioproduktionen, da ist es | |
plötzlich bei 80 zu 20. Je größer das finanzielle Risiko, desto weißer und | |
männlicher die Filmemacher. | |
Was muss sich außerdem verändern? | |
Ich finde, dass die Arbeit in der Filmbranche einen nicht davon abhalten | |
sollte, eine Familie zu gründen. Schwangere Frauen am Set sollten zur | |
Normalität gehören. Okay, nicht jede kann und will während ihrer | |
Schwangerschaft arbeiten, aber ich konnte und wollte und es hat viele | |
überrascht. Richtig schwierig wurde es erst danach. Meine Branche muss | |
endlich darüber nachdenken, wie Job und Kind besser miteinander zu | |
vereinbaren sind. | |
Sind Sie bei Ihrer Arbeit je sexuell belästigt worden? | |
Nein, ich bin wahrscheinlich die Einzige, die da keine schlimme Geschichte | |
zu erzählen hat. Dafür werde ich am ersten Drehtag meistens für die | |
Kostümdesignerin oder die Produzentin gehalten. Darauf, dass ich die | |
bildgestaltende Kamera-frau bin, kommt niemand. | |
Spüren Sie aufgrund Ihrer Vorreiterrolle einen gewissen Erwartungsdruck? | |
Definitiv. Ich habe nie geplant, in der Öffentlichkeit zu stehen. Aber ich | |
kann meine Bekanntheit nutzen, um auf Dinge aufmerksam zu machen, die sich | |
verändern müssen. | |
Ist es frustrierend, dass wir bisher so viel über Ihre Nominierung als | |
Frau, aber nicht über Ihre Arbeit gesprochen haben? | |
Ich will für meine Arbeit geachtet werden, nicht deshalb, weil ich eine | |
Frau bin. Aber ich denke auch, dass sich nie etwas ändert, wenn wir nicht | |
auf den Gendergap aufmerksam machen. Also tue ich, was notwendig ist. | |
Welche Geschichte muss ein Drehbuch erzählen, damit Sie es verfilmen | |
wollen? | |
Ich interessiere mich für dramatische Inhalte mit sozialem Kommentar. | |
Unsere Welt ist aktuell so abgefuckt, dass ich die Pflicht habe, nicht nur | |
zu unterhalten, sondern auch Fragen zu stellen. Ich suche nach Stoffen, die | |
ein Gespräch anregen. Wenn man dann die Gelegenheit bekommt, einen Film wie | |
„Black Panther“ zu drehen, sollte man sich die nicht entgehen lassen. | |
„Black Panther“ wurde für seine schwarzen Superhelden, starke Frauenfiguren | |
und eine Geschichte gefeiert, die um soziale Ungerechtigkeit, Rassismus und | |
Umverteilung kreist. War es schwer, dieses Epos zu verfilmen? | |
Für mich war die größte Herausforderung, einen Film zu drehen, der episch | |
und menschlich zugleich ist. In Superheldenfilmen geht es meist um das ganz | |
große Spektakel. Da werden die kleinen, intimen Augenblicke oft | |
vernachlässigt. Regisseur Ryan Coogler und mir war es wichtig, für die | |
zwischenmenschlichen Momente genügend Raum zu lassen. Wir wussten, dass der | |
Erfolg von „Black Panther“ davon abhängt, ob uns das gelingt. | |
Bei den Oscars 2018 wurden Sie aber für Ihre Arbeit in der | |
Netflix-Produktion „Mudbound“ nominiert. Das Drama handelt vom massiven | |
Rassismus in den Südstaaten der Vierzigerjahre. Wie haben Sie die | |
Geschichte in Bilder übersetzt? | |
In „Mudbound“ wollte ich das Kinopublikum den Schlamm, den Schmutz und den | |
Schweiß spüren lassen, der die Figuren umgibt. Die ZuschauerInnen sollten | |
das Gefühl haben, selbst an diesem trostlosen Ort festzustecken. Ich wollte | |
ein realistisches Bild zeichnen, das ich trotz alledem für schön halte. | |
Schönheit liegt für mich im Unvollkommenen und nicht in der Makellosigkeit. | |
Gibt es trotz der unterschiedlichen Ästhetiken dieser Filme etwas, das Ihre | |
künstlerische Handschrift ganz grundsätzlich auszeichnet? | |
Ja, in einer Sache bin ich konsequent. Für mich darf der persönliche Stil | |
niemals wichtiger als die Geschichte sein. Die Bilder sollten im Dienst der | |
Figuren stehen und nicht um ihrer selbst Willen geschaffen werden. Ich | |
versuche beim Drehen so nah wie möglich an die Charaktere heranzukommen, | |
sodass wir die Welt durch ihre Augen wahrnehmen können. Auch, wenn es sich | |
bei Filmen um künstlich erschaffene Welten handelt, sollten sie sich | |
realistisch anfühlen. | |
Waren Sie eigentlich sehr enttäuscht, dass Sie keinen Oscar gewonnen haben? | |
Nicht im Geringsten. Ich bin ein Roger-Deakins-Fan und dieser Mann wurde 14 | |
Mal für die „Beste Kamera“ nominiert, bevor er dieses Jahr mit „Blade | |
Runner 2049“ endlich gewonnen hat. Ich wäre enttäuscht gewesen, wenn ich | |
gewonnen hätte. | |
Welchen Rat können Sie jungen Kamerafrauen mit auf den Weg geben? | |
Seid hartnäckig und geduldig. Nur sehr wenige Filmschaffende werden über | |
Nacht erfolgreich. Es braucht viel Geduld, um all die „Neins“ zu ertragen | |
und einen kleinen Film nach dem nächsten zu drehen, bevor der erste große | |
Auftrag kommt. Wenn man sich davon zu sehr runterziehen lässt und zu sehr | |
zweifelt, kommt man nie voran. Das Wichtigste ist: Es geht niemals nur ums | |
Ziel. Einige der besten Filme floppen und einige der schlechtesten Filme | |
werden erfolgreich. Man sollte den Schaffensprozess genießen, dann ist man | |
vom Erfolg nicht so abhängig. | |
29 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Anna Fastabend | |
## TAGS | |
Oscars | |
Harvey Weinstein | |
Schwerpunkt #metoo | |
Dinge des Jahres 2018 | |
Hollywood | |
Frauen im Film | |
Schwerpunkt #metoo | |
Spielfilm | |
Oscars | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Subtile Botschaften bei den Oscars: Saumselige Zeremonie | |
Bei der Oscar-Verleihung geht alles seinen gewohnten männlichen Gang – doch | |
die Botschaften des Widerstands sind kreativer als viele Filme. | |
Oscar-Kandidat „The Favourite“: 300 Jahre vor #MeToo | |
Der Film „The Favourite“ stellt drei Frauen und ihre Erfahrungen ins | |
Zentrum. Das Ränkespiel ist für zehn Oscars nominiert. | |
Dinge des Jahres 2018: Mit Emojis gegen die Zensur in China | |
Darf Pu der Bär in den Honigtopf greifen, oder gibt es dann in China eine | |
Revolution? Und was hat ein Reishase damit zu tun? Eine Übersetzung. | |
Oscar-Sieger „Moonlight“ im Kino: Es brodelt nur so vor Gefühl | |
Regisseur Barry Jenkins macht in „Moonlight“ aus der Geschichte einer | |
schwierigen Kindheit und Jugend in Miami ein echtes Ereignis. | |
Neu-Nominierungen der Oscar-Akademie: Bald nur noch 89 Prozent Weiße | |
683 Menschen wurden neu eingeladen, über die Vergabe der Oscars | |
mitzubestimmen. Fast die Hälfte sind Frauen und Minderheiten. Die | |
Gesamtquote bleibt niedrig. |