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# taz.de -- Dinge des Jahres 2018: Schaler Abgang
> Chris Dercon hatte als Volksbühnen-Intendant nie eine Chance, zu fremd
> war der Weltbürger mit Schal dem Ost-Berliner Biotop.
Bild: Chris Dercon mit Schal
Vielleicht hätte das klar sein können: Niemand, wirklich niemand, würde
nach 25 Jahren Intendanz von Frank Castorf die Berliner Volksbühne
übernehmen können. Viel zu eingefahren, zu verkrustet, festgemauert war der
Laden, man hätte ihn dicht oder Castorf mit seinen Leuten einfach immer
weiter machen lassen sollen. Gab ja genug Fans, und irgendwie
identitätsstiftend oder -erhaltend wäre die dauerhafte Weiterbespielung des
Theaters aus dem Osten für den Osten sicher auch gewesen. Ändert sich ja
schon so vieles in Berlin!
Es kam dann aber Chris Dercon, ein Belgier, dem das Wort „weltläufig“
anhaftet wie niemandem sonst, weil er in anderen, größeren Städten schon
andere bedeutende Orte des Kulturwesens geleitet hat, in London etwa die
Tate Modern.
Hm. Das war schon verdächtig. Rollkoffer-Reisende sind Hassfiguren in
einschlägigen Kreisen, und jetzt sollte so einer ihr schönes Schauspielhaus
umkrempeln? Na, dem scheißen wir doch vor sein Büro, das er außerhalb des
Theaters mieten musste, weil ihn Castorf nicht reinlassen wollte, so lange
er noch Hausherr war. Ja, sie haben es wirklich gemacht, sie haben Dercons
Büro mit Scheiße beschmiert! So viel Hass, so viel Abscheu.
Ende 2015 wurde Chris Dercon als Castorf-Nachfolger vorgestellt, danach
begann der Ärger. Im Sommer 2017 trat Dercon die Intendanz an, [1][am 13.
April 2018 schmiss er hin.]
## Peinliche Ich-bin-Künstler-Attitüde
Immerhin, er hatte sehr souverän die ganze Zeit über seinen Schal nicht
abgelegt, der ihn als etwas peinliche Ich-bin-Künstler-Attitüde dauernd
umwehte. Ein Schutzschild? Pure Provokation gegenüber den schallosen
Castorfianern? Auf jeden Fall Symbol seines Scheiterns, kaum ein Artikel
kam ohne Hinweis auf das Accessoire aus.
Nur ein Stück Stoff, das zwischen ihm und ihnen lag, aber das reichte schon
aus, um die Unüberwindbarkeit des Misstrauens, des Nichtmiteinanderwollens
zu markieren. Frank Castorf grummelt seither ab und zu in Interviews über
die gute alte Zeit. Die fragwürdige Rolle von Michael Müller, zum Zeitpunkt
der Dercon-Ernennung Berliner Kultursenator und bis heute Regierender
Bürgermeister, hat die Süddeutsche Zeitung grandios aufgearbeitet.
Chris Dercon selbst ist weitergezogen. Ab Januar wird er Präsident der
Réunion des musées nationaux et du Grand Palais des Champs-Élysées. Hört
sich gut an, passt zum Schal.
Und die Volksbühne? Taumelnd, finanziell angeschlagen, in sich erschüttert,
[2][inzwischen aber unter Interimsintendant Klaus Dörr wieder auf den
Beinen.] Dercon, ein Zwischenspiel, wie eine Austreibung. Vielleicht ging
es nicht anders.
31 Dec 2018
## LINKS
[1] /Intendanz-an-der-Berliner-Volksbuehne/!5498401/
[2] /!5538291
## AUTOREN
Felix Zimmermann
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