# taz.de -- Rassismus in den Medien: Eine Frage der Relevanz | |
> In Sankt Augustin hat ein Mann mutmaßlich eine 17-Jährige ermordet. In | |
> der Berichterstattung spielt vor allem seine Nationalität eine Rolle. | |
Bild: Welche Kritierien sind erfüllt, die die umfangreiche Berichterstattung r… | |
Sonntag, 2. Dezember: Die aus dem rheinland-pfälzischen Unkel stammende | |
17-jährige Elma C. wird tot in einer Sammelunterkunft für Wohnungssuchende | |
und Geflüchtete in Sankt Augustin bei Bonn gefunden. Der mutmaßliche Täter, | |
ein polizeibekannter 19-Jähriger, erwartet dort offenbar die Polizei, führt | |
sie zu seinem Zimmer und gesteht, das Mädchen dort, nach einem Streit, | |
erwürgt zu haben. | |
Sein Zimmer befindet sich in einer Übergangseinrichtung für Menschen, die | |
derzeit keine Unterkunft haben. Ein Haftrichter hat Haftbefehl wegen des | |
Verdachts auf Totschlag erlassen, die Oberstaatsanwaltschaft plädiert auf | |
Mord. | |
Im Jahr 2017 wurden in Deutschland 2.379 Fälle von Mord und Totschlag | |
gezählt. Das böte genug Material, um jeden Tag mehrere Artikel über einen | |
neuen Fall zu schreiben. Was macht also gerade den Fall aus Sankt Augustin | |
so interessant? | |
In vielen Überschriften der Presseberichte finden sich die Worte Tod und | |
Flüchtlingsheim, im Teaser steht oft etwas von einem 19-Jährigen mit | |
doppelter Staatsbürgerschaft, der deutschen und kenianischen. Scheinbar | |
beiläufig nennen viele Medien die Nationalität des Täters – als ergebe sich | |
aus ihr irgendein Zusammenhang mit der Tat. Die Übergangseinrichtung für | |
Wohnungslose, in der er lebte, wird in vielen Medien zum Flüchtlingsheim. | |
## Gerüchte sind längst in der Welt | |
[1][Die Bild-Zeitung] schrieb in einem ihrer ersten Berichte von einem | |
mutmaßlichen kenianischen Täter, der das Mädchen in einem Flüchtlingsheim | |
getötet habe. Das übernahmen rechte Meinungsforen wie PI-News, und der | |
AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Protschka twitterte im NPD-Jargon von | |
einem „Passbeschenkten“. | |
Zwar korrigierte die Bild inzwischen ihre erste Berichterstattung, schrieb, | |
dass es sich beim Täter um einen Deutsch-Kenianer handeln würde, und bat um | |
Entschuldigung für mögliche Missverständnisse. Doch die Missverständnisse | |
und Gerüchte sind längst in der Welt. Auch weiterhin scheint die Frage nach | |
der Nationalität des Täters für viele Medien wichtig zu sein. | |
Welche Relevanzkritierien sind erfüllt, die die umfangreiche | |
Berichterstattung rechtfertigen? Bei Straftaten wie in Sankt Augustin in | |
der Regel keine. Deswegen hört und liest man so selten von ihnen in der | |
überregionalen Presse, obwohl Gewalt, Mord und Totschlag täglich in | |
Deutschland passieren. | |
Auffällig ist, dass vor allem Fälle, in denen Nichtdeutsche Deutsche töten, | |
überregionale Aufmerksamkeit erhalten. Zuletzt zum Beispiel der Mord an | |
Susanna in Wiesbaden oder die Taten in Kandel und Freiburg. | |
## „Begründetes öffentliches Interesse“ | |
Auch der Deutsche Presserat diskutierte diese Frage im vergangenen Jahr und | |
[2][formulierte seine Richtlinie] zur Nennung der Herkunft von Straftätern | |
im Pressekodex neu. Der alten Richtlinie zufolge sollten Medien Herkunft | |
und Religion von Straftätern nur dann nennen, wenn ein „begründbarer | |
Sachbezug“ zu der Straftat bestand. Nun ist die Nennung legitim, „wenn ein | |
begründetes öffentliches Interesse vorliegt“. | |
Im aktuellen Fall wird das Prinzip umgedreht. Das Interesse besteht | |
inzwischen, jedoch erst seit die Nationalität des mutmaßlichen Täters | |
bekannt ist. In Artikelüberschriften werden Schlagwörter wie | |
marketingstrategische Tags eingesetzt. Genauere Informationen zum | |
mutmaßlichen Täter werden hintangestellt. Diese bewirken dann genau das, | |
was Reichweite, Klicks und Öffentlichkeit generiert: Aufruhr und Wut, | |
rassistische Hetze. | |
Dabei ist die Geschichte einfach: Der mutmaßliche Täter ist wohnungslos und | |
bewohnte deshalb ein Zimmer in der Sammelunterkunft, erwürgte das Mädchen | |
im Streit, gestand dann seine Tat und befindet sich derzeit in | |
Untersuchungshaft. Die Familie und die rheinland-pfälzische Gemeinde des | |
Opfers gedenken des Todes des Mädchens. Knapp 20 Kilometer weiter | |
platzieren Bürger*innen Kerzen und Blumen vor dem Zaun der | |
Sammelunterkunft, in dem sie starb. Im Stillen. | |
5 Dec 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Negativer-Medienpreis/!5547868 | |
[2] /Petition-der-Woche/!5481125 | |
## AUTOREN | |
Aron Boks | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Kriminalität | |
Medien | |
Wohnungslosigkeit | |
Presserat | |
Kandel | |
Medienpreis | |
Mesut Özil | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ein Jahr nach dem Mord in Kandel: Wenn der Mob sich durchsetzt | |
Ein Mordfall in Kandel vor einem Jahr rüttelte die Medienlandschaft auf. Es | |
zeigte sich, dass Redaktionen sich von Rassist*innen beeinflussen lassen. | |
Negativer Medienpreis: Chapeau, Herr Reichelt, aber… | |
Der Verein Neue Deutsche Medienmacher will den „Bild“-Chef Reichelt | |
auszeichnen. Doch der lehnt ab – mit einer skurrilen Rede. | |
Kolumne Geht's noch?: Rassismus ist kein Imageproblem | |
Gekürzt, verstellt und respektlos: Was man von einem Interview zwischen der | |
„Bild“ und Bundesaußenminister Heiko Maas alles lernen kann. |