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# taz.de -- Kino-Retrospektive: Zwischen Slapstick und Seelennot
> Mit ihm war gut lachen: Leo McCarey war einer der erfolgreichsten
> Regisseure Hollywoods. Eine Retrospektive zeigt sein Werk zwischen Witz
> und Wahn
Dafür, dass sich Leo McCareys Biografie liest wie ein guter und
merkwürdiger Filmplot, ist der 1969 verstorbene amerikanische Regisseur vor
allem in Europa verhältnismäßig unbekannt. Eine groß angelegte
Retrospektive in Locarno, die das [1][Berliner Kino Arsenal] größtenteils
übernommen hat und bis Ende des Jahres 2018 zeigen wird, könnte daran
eventuell etwas ändern.
In Berlin empfiehlt es sich während dieses Zeitraums jedenfalls
ausdrücklich, ins Kino zu gehen und eine Leerstelle der
Filmgeschichtsschreibung mit eigenen Gedanken, Assoziationen, Wissen und
der Lust am Sehen historischer Stoffe aufzufüllen.
Material hierfür ist reichlich vorhanden: Von den 23 Filmen, für die
McCarey Regie führte, werden 15 gezeigt. Hinzu kommen zwei
Kurzfilmprogramme, unter anderem eines mit „Laurel & Hardy“-Stummfilmen,
die der Regisseur als Supervisor betreute. Letztere sind hierzulande besser
bekannt als „Dick & Doof“ – und McCarey war es, der das legendäre Duo
während seiner Zeit bei den kalifornischen Hal Roach Studios quasi
formierte.
Die Schau, die sich über die zwanziger bis in die fünfziger Jahre
erstreckt, zeigt McCareys eigenen Werdegang, der in Form einzelner Motive
auch Einzug in seine Filme fand. Da wäre etwa McCareys semiprofessionelle
Karriere als Boxer im Mittelgewicht.
## Versehentlich k.o. geschlagen
In „The Milky Way“ (1933) mit Harold Lloyd geht es um einen aufstrebenden
Box-Champion, allerdings einen, der seinen Weg in den Sport eher
unfreiwillig macht: Vor einem Nachtclub gerät der schmächtige Milchmann
Burleigh Sullivan (Lloyd), heute würde er vielleicht als „nerdig“ gelten,
in ein Handgemenge und schlägt dabei, unwissentlich, einen verdienten
Box-Star k. o. – „Tiger Sullivan“ ward geboren.
Bei McCarey boxen allerdings nicht nur Milchmänner, sondern auch Nonnen.
Ingrid Bergman als Schwester Mary Benedict in „The Bells of St. Mary’s“
(1945) etwa, seinerzeit der größte Kassenerfolg in den USA seit der
Vorführung von Filmen.
Das war einerseits Bergmans ungeheurer Popularität jener Jahre zu
verdanken. 1942 war sie in Michael Curtiz’ „Casablanca“ zu sehen, 1944 in
„Gaslight“ von George Cukor; 1945 dreht sie zudem erstmals mit Hitchcock
für den Film „Spellbound“. Andererseits beruht „The Bells of St. Mary’…
auf einer herzerwärmenden Erzählung, in der eine Klosterschule Gefahr
läuft, in einen Parkplatz verwandelt zu werden. Pater O’Malley (Bing
Crosby) soll dieses unchristliche Unheil abwenden, die engelsgleiche Mary
Benedict steht ihm zur Seite.
Gemeinsam lernen sie wichtige Lektionen der Kindererziehung (der sich
unkonventionell gebende O’Malley lockert die Schwester ein bisschen auf)
und hin und wieder schauen sie sich auch leicht unkeusch in die Augen. Ein
lieblicher, entschleunigter Film, der für McCareys Spätwerk stehen kann,
das mit einer Hinwendung zum Religiösen zusammenfällt. Der Slapstick, die
Geschwindigkeit, durch die sich Leo McCareys frühere Filmen auszeichneten,
fehlen hier nahezu komplett.
## Filmisches Meisterwerk, ökonomische Pleite
Umso schöner lässt sich in den Filmen jenes Mittelbaus zwischen 1932 und
1937 versinken. Hier scheint das Beste aus beiden Phasen miteinander
verbunden zu sein: das Rasante, Komische genauso wie der
menschenfreundliche, gütige Blick. „Ruggles of Red Gap (1935) handelt von
einem zugeknöpften Butler mit dem melancholischen Ausdruck eines
Bluthundes, Marmaduke Ruggles (Charles Laughton), der entgegen seinem
Willen nach Nordamerika geschickt wird.
Es ist 1908, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten gibt es reichlich Platz
und die Luft ist eine andere als die im vergleichsweise angestaubten Paris.
Ruggles schlüpft in eine neue Rolle, gibt sich als Colonel der British Army
aus, der zum Tee trotzdem noch schnell ein passendes Gebäck herstellen
kann.
Als der Spaß auffliegt, probiert es der Butler mit einem anderem Geschick.
Nur so viel: Es hat mit dem einstigen US-Präsidenten Abraham Lincoln und
dessen Rede „Gettysburg Address“ von 1863 zu tun.
Ein anderer Höhepunkt ist zweifelsohne „Make Way for Tomorrow“ (1937), in
dem die Jahre der „Great Depression“ auf ein unerschütterliches Liebesideal
treffen. Helden dieses Films sind zwei nicht mehr ganz junge Eheleute. Lucy
(Beulah Bondi) und Barkley Cooper (Victor Moore), sind gezwungen, ihr Haus
aufzugeben und sich nun auf die Wohnungen ihrer erwachsenen Kinder zu
verteilen.
Die gehen höchst unterschiedlich mit diesem Umstand um, was einerseits zu
ungemein unterhaltsamen, aber bisweilen auch zu traurigen Szenen führt.
Dass „Make Way for Tomorrow“ finanziell scheiterte, war für McCarey einen
Karriereeinschnitt – für zahlreiche Regie-KollegInnen gilt der Film indes
als übersehenes Meisterwerk.
5 Dec 2018
## LINKS
[1] https://www.arsenal-berlin.de/kalender/filmreihe/calendar/2018/december/06/…
## AUTOREN
Carolin Weidner
## TAGS
Retrospektive
Arsenal Kino
Komödie
Werkschau
Schwerpunkt Berlinale
Hollywood
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