# taz.de -- Parfümeriekette kooperiert mit der Bahn: „Schöner ans Ziel komm… | |
> Douglas schickt neuerdings sogenannte Beauty-ICEs durchs Land. Unser | |
> Autor ist mitgefahren – und hat den „Purpose“ gespürt. | |
Bild: Kein Platz für Laptop und Kaffee: Im Beauty-Waggon sind Schminkkoffer au… | |
Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich eine Gesichtsmaske aufgetragen. Das | |
war vor einigen Wochen, sie hatte, so meine ich, Aloe-Vera-Aroma oder | |
-Geschmack, oder -Duft oder wie das halt heißt. Sorgsam betrachtete ich im | |
Spiegel mein beschmiertes Gesicht, in dem man den Ausdruck existenzieller | |
Furcht hätte erkennen können, wäre es nicht eben unter meterdickem Schlamm | |
begraben worden. Am Ende musste man mich waschen wie einen Greis. | |
[1][„In Berlin schneiden sich die Leute seit Jahren die Fußnägel in der | |
U-Bahn“], hatte kurz zuvor Margarete Stokowski auf Twitter eine Meldung | |
kommentiert, die Glorreiches verhieß: Deutschlands größte Parfümeriekette | |
Douglas und die Bahn seien eine Kooperation eingegangen und böten ab sofort | |
Fahrten mit dem [2][„Douglas Beauty-ICE“] an. Besser als ein | |
Crossover-Special von „Um Himmels Willen“ und „Frauentausch“. | |
(Der Vollständigkeit halber muss ich darauf hinweisen, dass in Frankfurter | |
Zügen, allein in meiner Gegenwart, schon Warzen vereist und Hühneraugen | |
herausgerissen wurden. Auch der geübte Umgang mit Talg, Schmalz und | |
gebrochenen Haustierknochen ist dort alltäglich beobachtbar. Ob der Mann | |
mit der Hose voller Klopapier, der in haltende S-Bahnen einsteigen, | |
hindurchrennen und kurz vor ihrer Abfahrt wieder aussteigen soll, echt oder | |
eine Legendenfigur ist, konnte ich bis zum Redaktionsschluss nicht | |
klären.) | |
„Schöner am Ziel ankommen“, das verspricht auch Douglas-Chefin Tina Mülle… | |
Bei Opel war sie für die Kampagne „Umparken im Kopf“ verantwortlich; nun | |
will sie ihren Kunden wieder direkt in die Fresse fuhrwerken. Auf ihrem | |
Linked-In-Profil beschreibt sich Müller als „marketing guru“ und „future | |
enthusiast“, was eine gute Grundlage ist, denn die Zukunft kommt ja erst | |
noch. „Zum Jungbleiben ist es nie zu spät“, heißt passenderweise das 2014 | |
mit ihrer dermatologischen Freundin Susanne von Schmiedeberg verfasste | |
Ratgeberbuch über Zeit. | |
## Schön im Sausebraus | |
[3][„Purpose ist mehr als ein Zweck – es ist die Basis für alles, was wir | |
tun“], überschreibt Müller wiederum auf ihrem Profil einen Artikel. Schon | |
bei der legendären Kampagne „Come in and find out“ bewies man bei Douglas | |
ein Händchen fürs Englische. Ich erfahre: „Nicht jedes Unternehmen hält | |
einen höheren Sinn für notwendig, andere haben ihn noch nicht | |
herausgearbeitet. | |
Manch ein Unternehmen hat zwar einen Purpose, zu den Mitarbeitern ist | |
dieser jedoch nie durchgedrungen – und zu den Kunden schon gar nicht. Wir | |
bei Douglas haben nicht nur einen Purpose definiert, uns ist es auch ein | |
Anliegen, dass dieser für alle Mitarbeiter wahrnehmbar ist. Er soll gelebt | |
werden und so auch für unsere Kunden in unserer täglichen Arbeit spürbar | |
sein.“ Genauso spürbar also wie das Brennen von Nagellackentferner auf der | |
Analschleimhaut oder die Duftwolken Billigparfum in der Nase, die uns die | |
Welt benebeln. | |
Auch die Bahn hat einen höheren Sinn. Der besteht jedoch, nimmt man | |
Geistliches ernst, gerade dadurch, dass er sich so selten zeigt. So | |
verbringen wir ein Leben in der Schwebe. | |
## Bitte Fahrplan beachten! | |
Damit ich garantiert in den Genuss einer Schönheitskur im Sausebraus komme, | |
steige ich schon in Nürnberg ein. Satte drei Stunden bis Berlin, für die | |
ich zunächst zweieinhalb Stunden nach Bayern fahren muss: Eine gründliche | |
Überarbeitung meines Außenauftritts ist lange schon fällig. Der Beauty-Zug | |
selbst fährt nicht irgendwie, irgendwo, irgendwann, sondern nur zu ganz | |
bestimmten Zeiten und an ganz bestimmten Tagen. Bitte Fahrplan beachten! | |
Bitte zurückbleiben! Bitte die Windrichtung messen! | |
Um auf Tuchfühlung mit dem höheren Purpose meines eigenen Unternehmens zu | |
gelangen, gehe ich am Nürnberger Hauptbahnhof in Nanu-Nana, dem einzigen | |
Ort, an dem man sich noch entschuldigt beim Anrempeln. Zusammen mit in die | |
Jahre gekommenen Muttis angemalte Baumstümpfe, Weihnachtslikör oder Nudeln | |
in Penisform angucken bringt die Seele zur Ruhe und einen himmlischen | |
Frieden in diese trotz allem schrecklich heterosexuelle Welt. | |
Beglückt kaufe ich fünf Kilo Plastikschrott und einen extragroßen | |
Wandbehang, auf dem steht: „Greif nach den Sternen!“ und „Sei glücklich!… | |
und „Tanze im Regen!“. Das allerdings ist, je nach dem, in welcher Phase | |
der Beauty-Behandlung man sich befindet, mitunter auch gar keine so gute | |
Idee. | |
Am Bahnsteig das Übliche: Ansagen, Menschen, Gesellschaft. Niemand | |
besonders hübsch oder hässlich, niemand unbändig begierig auf Beauty – | |
zumindest nicht wie ich (sehr). Während neben mir ein Bauarbeiter | |
kommentarlos in ein Loch hinabsteigt und verschwindet, überlege ich, | |
unruhiger werdend, wohin genau sie mich eigentlich einliefern werden, wenn | |
ich gleich frage, wo hier das Beauty-Abteil sei? | |
Wo hier das Beauty-Abteil ist? „Da sind Sie bei uns richtig“, sagt eine | |
Frau mit Klemmbrett in der Hand. Sie muss eines der „Mädels“ sein, die | |
sich, laut Durchsage, „freuen“ würden, mich „zu verwöhnen“. Die Stimm… | |
ist gut: Zwei Douglas-Mitarbeiterinnen sitzen in dem aufwendigst umgebauten | |
Erste-Klasse-Abteil (Nackenlehnen mit Douglas-Beschriftung, Schminkkoffer | |
auf den Tisch geschraubt), welches, ausnahms- und sozialistischerweise, | |
auch gewöhnliche Menschen betreten dürfen. Wie schrieb Schiller: „Bettler | |
werden Fürstenbrüder, wo dein sanfter Flügel weilt.“ Er ahnte nicht, wie | |
sanft es werden würde. | |
Und auch schon zwei Kunden sind drin, die Gesichtsmasken tragen und damit | |
so aussehen wie Replikanten. Der Mann ist Ende dreißig und einer dieser | |
geschäftigen Rollkofferleute, Typ kerniger Bayer; die Frau Ende fünfzig, | |
mit den feinen Falten einer Landgräfin, dafür aber leider zu profan, vom | |
Wesen her. (Man will ja doch lieber neben einer Gräfin sitzen, wenn man die | |
Wahl hat.) | |
## Umgekehrtes Waterboarding | |
„Tut aber weh“, sagt er, worauf gelacht wird. Ich frage, „wirklich?“. | |
Erneut wird gelacht. „Jetzt verschrecken Sie nicht unsere Kunden“, frotzelt | |
eine der Douglas-Frauen, und ich bin immer noch nicht ganz überzeugt. | |
Tatsächlich bekomme ich jetzt auch eine Maske aufgetragen. Sie besteht aus | |
einer gleichmäßig kolorierten Kunststoffhaube, unter die kalter, glibbriger | |
Ultraschallschmier gestrichen wurde, hat Löcher für Augen, Nase und Mund, | |
und das Aufsetzen ist ein bisschen so wie umgekehrtes Waterboarding oder | |
wenn man zu schnell und zu viel Eis auf einmal isst. Für einen Moment | |
stelle ich mir vor, wie der ganze Zug mit suppigbeigen Wabbelklappen auf | |
dem Gesicht weiterfährt. Die Revolution ist nur eine Betonschwelle weg | |
(feste Fahrbahn, weiche Haut). | |
Die dritte Betreuerin, die nicht für Douglas arbeitet, sondern für eine | |
Eventagentur, freut sich, wie sie sagt. Dass endlich auch mal ein paar | |
Männer da seien. Bei den ersten Fahrten habe der „Schwerpunkt“ auf Make-up | |
gelegen, was Männer eher nicht so anziehe, auf Handcreme und Handmassagen. | |
Jedes Mal stehe eine andere Marke im Vordergrund. Einzig Augenschminken ist | |
tabu, der Zug ruckelt ja. Die Handcreme von der letzten Fahrt verwende sie | |
jetzt auch privat, sagt die Event-Frau. Die habe sie für sich entdeckt. | |
Ob sie gern bei Douglas arbeiten würden, frage ich die beiden anderen, und | |
die sagen ja. Dann kriegt der Mann seine Maske abgenommen und fühlt sich | |
„frisch“. Ein anderer schleicht sich indes von hinten an die Event-Frau | |
heran und bittet um eine Behandlung am Platz. In der ersten Klasse ist das | |
drin. Ihm wird umgehend eine der Beauty-Expertinnen hinterhergeschickt. | |
## Da, glänzender Schlamm | |
Die meisten Fahrten des Beauty-Zugs seien anlassbezogen, erzählt die | |
Eventfrau noch: zum Oktoberfest, zur Fashion Week. „In einer Pilotphase bis | |
Jahresende wollen DB und Douglas die Resonanz auf das neue Service-Angebot | |
testen“, hatten beide im April verkündigt. Nun nimmt auch die Frau neben | |
mir ihre Maske ab und zeigt ihr wahres Gesicht, auf dem noch etwas feuchter | |
Schlamm glänzt, den sie „einmassieren“ soll. Bei mir dann ähnlich, man | |
wünscht einander einen schönen Tag. | |
Ob ich jetzt wohl in einen Teufelskreis eingestiegen bin, denke ich auf dem | |
Weg zurück zu meinem Platz, entspannt, erholt, leer, durch den Fahrtschwung | |
aufgewirbelt; ob meine Haut ohne Douglas-Produkte fortan überhaupt noch | |
funktionieren wird können; meine Haut, das Organ, das mich am Zerfließen | |
hindert; wie ich weiterleben soll. | |
Ich schwanke. In der Toilettenkabine finde ich noch eine unabgespülte Wurst | |
vor. Hart und unbeweglich liegt sie im Becken, wie Plastik. Erst beim | |
dritten Spülen ist sie weg. | |
28 Nov 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/marga_owski/status/1039199042117558272 | |
[2] /Kooperation-mit-der-Deutschen-Bahn/!5497744 | |
[3] https://www.linkedin.com/pulse/purpose-ist-mehr-als-ein-zweck-es-die-basis-… | |
## AUTOREN | |
Adrian Schulz | |
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