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# taz.de -- Fall Serebrennikow in Russland: Verhandlung der leisen Töne
> Veruntreung von Geld oder ein Schauprozess? Eindrücke vom dritten
> Verhandlungstag gegen den Regisseur Kirill Serebrennikow.
Bild: Sieht müde aus: Kirill Serebrennikow
Moskau taz | Justizia spricht in Russland meist mit leiser Stimme.
Buchstäblich und im übertragenen Sinne. Auch Richterin Irina Akkuratowa
flüstert kaum hörbar im Prozess gegen den bekanntesten Regisseur und
Theaterdirektor des Landes Kirill Serebrennikow. Drei seiner ehemaligen
Mitarbeiter sitzen mit ihm auf der Bank. Generaldirektor Alexej
Malobrodski, Intendant Juri Itin sowie Sofia Apfelbaum, die früher beim
Kulturministerium tätig war. Der Gruppe unter dem Label „Das Siebte Studio“
wirft die Staatsanwaltschaft vor, [1][133 Millionen Rubel (1,8 Millionen
Euro) veruntreut zu haben].
Zum dritten Verhandlungstag sind rund vierzig Zuhörer gekommen, die meisten
von ihnen Journalisten und Freunde der Angeklagten. Diese werden nicht im
„Affenkäfig“ weggeschlossen. Ein Metallgerüst, in dem die Gefangenen sonst
bei Gericht untergebracht werden. Sie sitzen vorne auf einer Bank, der
Richterin Irina Akkuratowa direkt gegenüber.
An der Seite sitzt die junge Staatsanwältin, auch sie leidet an einer
auffälligen Stimmschwäche. Der Verhandlungstag ist den Finanzpraktiken des
Studios gewidmet. Serebrennikow wird von einem Anwalt zu Stücken und
Aufführungen zwischen 2011 und 2013 befragt. Vor allem geht es dem
Rechtsbeistand um die Aufzählung der vielen Aufführungen und um eine
Auskunft für jeden einzelnen Fall: Honorar gezahlt? Wie und auf welchem
Wege?
Verdachtsmomente der Veruntreuung sollen so Stück für Stück ausgeräumt
werden. Dabei erzählt der einst hofierte Regisseur, dass er und seine
Mitarbeiter häufiger Geld privat vorgestreckt hätten, weil Mittel des
Kulturministeriums oft nicht rechtzeitig eintrafen, als sie benötigt
wurden.
Serebrennikow gibt bereitwillig Auskunft. Auch auf Zwischenfragen der
Richterin antwortet er sachlich und schnell. Seit der staatliche 1. Kanal
bei Prozessauftakt ihn als berühmten Künstler würdigte, kursieren Gerüchte
und Mutmaßungen, die Strafe könnte milde ausfallen. Eigentlich sieht das
Gesetz Gefängnis bis zu zehn Jahren vor. An solchen Mutmaßungen orientiert
sich Russland inzwischen wieder.
## Kleinteilige Ausführungen
Auch für Serebrennikow ist dies vielleicht ein Silberstreif am Horizont.
Erst im Oktober war er dreimal für die „Goldene Maske“ nominiert worden,
Moskaus begehrteste Theaterauszeichnung. Er scheint bemüht, dem Gericht
nichts zu liefern, was wie Renitenz aussehen könnte. Wenn er aufgerufen
wird, springt er hoch und eilt zum Katheder.
Die langwierige und ermüdende Wiederholung der Stücke vor Gericht dient
auch der Entlastung: als künstlerischer Chef für Fragen der Finanzierung im
Detail nicht zuständig gewesen zu sein. Gelegentlich geht die Richterin
dazwischen, wenn Ausführungen über KünstlerInnen zu kleinteilig erscheinen.
Meist sind das Vertreter der Avantgarde mit schwierigen Namen, die auch
noch aus dem Ausland stammen!
Im Prozess um das „Gogol Zentrum“, dessen künstlerischer Leiter
Serebrennikow 2011 wurde und unter dessen Dach die inkriminierten Praxen
stattgefunden haben sollen, stehen zwei Konzepte einander gegenüber: Das
statisch verstaubte alte russisch-sowjetische Theater. Etwas
inspirationslos und frei von Kritik, das sich vor allem an schönen
Garderoben berauscht. Und das Experiment, das sich am Westen orientiert.
Das Ringen um das Dialogische.
Im Saal sitzen auch die Kläger des Kulturministeriums. Kulturminister
Medinskij kann mit Serebrennikows Arbeiten nichts anfangen, wohl auch mit
dem Menschen nicht. „Er hat keinen Grund beleidigt zu sein“, die Behörden
hätten ihn immer verwöhnt, äußerte er sich zum Fall. Ressentiment – nur
notdürftig verpackt. Medinskij schickte zwei junge Vertreter ins Gericht.
Farblose Figuren, wie sie in Myriaden die russische Literatur bevölkern.
Solche Prozesse enden selten mit einem Freispruch. Zumal dieser
einschüchtern soll.
10 Nov 2018
## LINKS
[1] /Regisseur-in-Russland-vor-Gericht/!5541246
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
## TAGS
Russland
Theater
Justiz
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