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# taz.de -- Neues Album von Marianne Faithfull: Verwundet, aber nicht ohne Humor
> Mit Unterstützung befreundeter Künstler vertreibt Marianne Faithfull auf
> ihrem neuen Album „Negative Capability“ alte Dämonen.
Bild: Nicht zuletzt der Stock (links) verleiht ihr die Autorität der großen a…
Die Stimmung ist aufgeheizt an diesem sonnigen Herbstnachmittag in Paris.
In den hoffnungslos überfüllten Metrozügen stehen Polizisten und
Demonstranten dicht an dicht. Sie sind auf dem Weg zum Boulevard de
Montparnasse. Die einen, um Ausschreitungen zu verhindern. Die anderen, um
ihrem Ärger über die Politik von Staatspräsident Emmanuel Macron Luft zu
machen. Er sei ein Präsident der Reichen, steht auf einem
Protest-Transparent.
Damit marschieren die Demonstranten durch das 14. Arrondissement – auch
vorbei an dem Haus, in dem die britische Schauspielerin und Sängerin
Marianne Faithfull wohnt. In ihrem Appartement in einem der oberen
Stockwerke ist allerdings nichts zu hören von den wütenden Rufen der
Demonstranten. Obwohl das Fenster in ihrem Schlafzimmer auf Kipp steht.
Die britische Künstlerin liegt im Bett, blass, entkräftet durch eine
Erkältung. Trotzdem besteht sie darauf, das Interview zu machen. „Davon
hängt so viel für mich ab“, sagt sie. „Nur wenn ich mit Journalisten
spreche, kann ich die Menschen da draußen auch auf mein neues Album
aufmerksam machen.“
Dabei scheint die 71-Jährige recht aktiv in den sozialen Medien zu sein.
Auf Facebook gibt es in schöner Regelmäßigkeit einen neuen Post der Grande
Dame des britischen Rock. Bei Instagram kann man sich durch eine ziemlich
gut aufbereitete Bildgalerie aus sämtlichen Dekaden ihrer bald 50-jährigen
Karriere klicken. Marianne Faithfull entfährt ein kehliges Lachen. „Ich
betreue meinen Account nicht selbst“, stellt sie klar. „Das interessiert
mich überhaupt nicht.“ Die Künstlerin zieht es vor, sich auf ihre Musik zu
konzentrieren.
Im Januar traf sie sich mit ein paar alten Weggefährten in den Pariser La
Frette Studios, um die Songs für „Negative Capability“ aufzunehmen. Ihr
australischer Kollege Nick Cave begleitete die Faithfull etwa bei dem Song
„The Gypsy Faerie Queen“, der sich zwischen Traum und Wirklichkeit bewegt,
am Klavier. Im Refrain verstärkte er ihren Gesang. Warren Ellis, der
musikalische Direktor der Bad Seeds, ist bei jedem Song mit irgendeinem
Instrument vertreten – sei es Geige, Bratsche oder Flöte. Er zeichnete
gemeinsam mit Rob Ellis für die Produktion verantwortlich.
## Unprätentiöser Pop und Folk
Das Ergebnis klingt melancholisch-nachdenklich. Marianne Faithfulls Musik
hält der Hektik des Zeitgeists einen unaufgeregten Mix aus unprätentiösem
Pop und Folk entgegen.
Die Ballade „No Moon In Paris“ erzählt von Einsamkeit. Mit „Born To Love…
huldigt Marianne Faithfull ihrer verstorbenen Freundin Anita Pallenberg.
„Don’t Go“ erinnert an ihren früheren Gitarristen Martin Stone, der einer
Krebserkrankung erlag: „Was mir bleibt, ist die Liebe, die ich für diese
Menschen empfunden habe.“ Sie tröstet die Künstlerin ein wenig über die
schmerzhaften Verluste hinweg, darum kristallisierte sich die Liebe
schlussendlich als das zentrale Thema des Albums heraus. So sieht es
zumindest Marianne Faithfull: „Obwohl ich mich auch mit dem Älterwerden und
dem Alleinsein auseinandergesetzt habe, dreht sich letztlich alles um die
Liebe.“
Gewiss zelebriert die Britin, die seit vielen Jahren in Paris lebt, sie
nicht himmelhoch jauchzend wie ein Teenager. In dem Stück „In My Own
Particular Way“ preist sie sich eher realistisch einem potentiellen Partner
an – inklusive ihrer Defizite. „I know I’m not young and I’m damaged“,
singt sie. „But I’m still pretty, kind and funny.“ Den Glauben an die Lie…
hat sie niemals aufgegeben: „Ich würde mich gern noch einmal verlieben.“
## Von ihrer Schönheit angezogen
Dabei hatte Marianne Faithfull in der Vergangenheit so ihre Probleme mit
Männern: „Meistens haben sie das Bild vergöttert, das sie von mir hatten.
Nicht die wahre Marianne.“ Viele wurden von ihrer Schönheit angezogen. Auch
Mick Jagger, mit dem sie in den späten sechziger Jahren liiert war. Es
gibt unzählige Fotos von dem Traumpaar des Swinging London, zwei hängen nun
eingerahmt in Marianne Faithfulls Badezimmer. Erwartet hätte man das nicht.
Nach Möglichkeit vermeidet es die Musikerin und Schauspielerin, an alte
Zeiten zurückzudenken: „Ich wünschte, ich wäre nie zu der Party gegangen,
bei der ich Stones-Manager Andrew Loog Oldham kennengelernt habe.“
Der Impresario erkannte sofort das Starpotenzial der bildhübschen Blondine.
Er bat Mick Jagger und Keith Richards, einen Song für Faithfull zu
komponieren: „As Tears Go By“. Glasklar sang die damals 18-Jährige „I sit
and watch as tears go by“. Heute hat sie eine von Zigaretten und Alkohol
geschwängerte Reibeisenstimme. Sie interpretierte den Klassiker für
„Negative Capability“ als reife Frau, die mit sich im Reinen ist, erneut:
„Ich habe mich mit meiner Vergangenheit arrangiert. Wahrscheinlich war es
mein Schicksal, den Weg einzuschlagen, den ich gegangen bin.“
[1][Ein Blick auf ihre Biografie zeigt], wie steinig er teilweise war.
Heroin hätte Marianne Faithfull beinahe zerstört. Sie war lange obdachlos,
lieferte sich auf Gedeih und Verderb den Straßen Londons aus. Ihr Fazit:
„Ich wäre wohl glücklicher geworden, wenn ich Literatur, Philosophie und
vergleichende Religionswissenschaften studiert hätte. Das war ja mein
ursprünglicher Plan.“ Stattdessen versank sie zusehends im
Sex-Drogen-und-Rock-’n’-Roll-Chaos.
## Arthritis erschwert ihr jede Bewegung
Marianne Faithfull ging zu sorglos mit ihrer Gesundheit um, das hinterließ
Spuren. Sie leidet an Hepatitis C, Arthritis erschwert ihr jede Bewegung,
beim Gehen muss sie sich auf einen Stock stützen. Den Kampf gegen
Brustkrebs gewann sie, weil die Krankheit rechtzeitig entdeckt wurde.
Dennoch hasst Marianne Faithfull es, als Überlebende bezeichnet zu werden:
„Ein Überlebender ist jemand, der Auschwitz überstanden hat. Ich habe
lediglich schwierige Lebensphase gemeistert.“
Davon soll sie immer wieder erzählen. Das behagt ihr überhaupt nicht.
Lieber konzentriert sich die Künstlerin auf die Gegenwart. Obgleich sie
sich selbst als unpolitisch charakterisiert, hat sie unmittelbar nach dem
Terroranschlag auf das Pariser Bataclan-Theater den Song „They Come At
Night“ komponiert: „Dieses feige Attentat hat mich zutiefst schockiert. Ich
fühlte mit den Opfern, mit deren Angehörigen.“ Wäre das nicht ein guter
Grund, um sich politisch mehr zu engagieren? Marianne Faithfull schüttelt
energisch den Kopf: „Nein, ich verabscheue Politik und traue keinem
Politiker.“
9 Nov 2018
## LINKS
[1] /Marianne-Faithfull-ueber-ihre-Musik/!5031245
## AUTOREN
Dagmar Leischow
## TAGS
Neues Album
Album
Pop
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