# taz.de -- Marianne Faithfull über ihre Musik: „Das letzte Wort habe immer … | |
> Marianne Faithfull ist wieder auf Tour. Sie erzählt von einer kreativen | |
> Zwangspause, ihrer Hassliebe zu London und einem unwiderstehlichen | |
> Arrangement. | |
Bild: Marianne Faithfull bei einem Konzert 2012 in Leipzig. | |
taz: Frau Faithfull, die Begleitumstände zu Ihrem neuen Album führten zu | |
völlig unvorhergesehenen Entwicklungen. | |
Marianne Faithfull: Das kann man wohl sagen, unvorhergesehene | |
Entwicklungen. Aber doch waren sie in gewisser Weise auch sehr fruchtbar. | |
Was hätten Sie mit einem vier Mal gebrochenen Kreuzbein gemacht? Ich für | |
meinen Teil lag sieben Monate flach, habe Bücher gelesen, Filme geschaut | |
und nachgedacht. Auch darüber, wen ich im Laufe meines Lebens geliebt habe, | |
wen ich gerne geliebt hätte. Ich habe mich damit auseinandergesetzt, wem | |
ich Unrecht getan habe und um wen ich mich hätte besser kümmern müssen. All | |
diese Gedanken haben die Gedanken überlagert, die ich mir über die Musik | |
auf meinem neuen Album gemacht habe. Insofern war das Arbeiten zwar hart | |
und schmerzvoll, aber sehr kreativ; denn ich hatte noch nie in meiner | |
Karriere so viel Zeit zum Schreiben. | |
Ihre Karriere ist durchzogen von Leiden, Niederlagen und Kämpfen – aber | |
immer wieder sind Sie aufgestanden und sind weitergezogen. | |
Jetzt übertreiben Sie mal nicht. Aber ich bin schon ein bisschen stolz, | |
dass ich diesen Prüfungen oder besser: Herausforderungen des Lebens am Ende | |
immer ein herzliches ’Scheiß drauf!‘ zurufen konnte. | |
Der Titel des Albums, „Give My Love To London“, wirft natürlich die Frage | |
auf, ob Sie ihn zynisch meinen. Dass sie ein gespaltenes Verhältnis zu | |
Ihrer Heimatstadt haben, ist ja bekannt. | |
Nach all dem, was mir in London passiert ist, meine Zeit als Junkie und | |
weitere Tiefpunkte, habe ich die Stadt ja wohl nicht nur aus einem Grund, | |
sondern gleich aus mehreren guten Gründen verlassen und bin nach Paris, | |
später nach Irland gezogen. Aber so ganz ausblenden kann ich London nicht. | |
Mein Sohn und mein Enkel leben dort. Die besten Tonstudios gibt es immer | |
noch in London, wie etwa das in Kilburn, in dem die Musik für das Album | |
entstand. Und Flood, mein Produzent, wohnt in London. | |
Die Liste Ihrer Mitstreiter liest sich, wie ein Who’s who des Pop: etwa der | |
Gitarrist Adrian Utley von Portishead. Und Nick Cave schickt seinen | |
Saitenvirtuosen Warren Ellis und den Drummer Jim Sclavunos – die Namen | |
haben Sie alle in Ihrem Telefonbuch und rufen einfach an? | |
Gut, ich habe eben bereits 20 Alben gemacht und habe daher den einen oder | |
anderen Künstlernamen und seine Telefonnumer im Notizbuch stehen. Nick Cave | |
ist ein enger Freund, mit dem ich die persönlichsten Sachen teile. Fragen | |
Sie mich jetzt bloß nicht, welche, ich erzähle es Ihnen eh nicht. Aber | |
egal, wer mit mir spielt, das letzte Wort habe immer ich. Ansonsten kann | |
ich mich überaus glücklich schätzen, dass all diese großartigen Musiker an | |
meiner Seite sind. | |
Mit Ihrer jungen Kollegin Anna Calvi spielen Sie erstmals zusammen. | |
Anna Calvi hat mich überrascht. Wir wurden uns vorgestellt und anschließend | |
gefragt, ob wir nicht gemeinsam Musik zur Chloé-Schau bei der Pariser | |
Modewoche beitragen möchten. Haben wir gemacht – es gab viel Geld und | |
schöne Kleider. Anschließend gab ich ihr den Text zu ’Falling Back‘. Sie | |
kam mit einer Melodie zurück, die unglaublich verführerisch war. Nur passte | |
sie nicht so ganz zum Text, fand ich. Also habe ich den Text umgeschrieben. | |
Musste ich tun. Das Arrangement von Anna Calvi war einfach unwiderstehlich. | |
Aber das ist ja auch nicht verwunderlich, ich kann mich an keins meiner | |
Lieder erinnern, dass dann auf dem Album so klang, wie ich es ursprünglich | |
im Kopf hatte. Ich will auch nicht mit anderen Künstlern zusammen spielen, | |
nur damit wir gegenseitig unsere Egotrips ausleben. Ich arbeite deshalb mit | |
ihnen, weil es gut für die Musik ist. | |
Sie haben nun auch wieder politisch Stücke im Programm. | |
Ja, ich bin ein politisch interessierter Mensch und manchmal schlägt sich | |
das in meinen Texten nieder. ’Broken English‘ hatte eine politische | |
Botschaft. Aber ich muss richtig wütend sein, und dann komme ich in die | |
richtige Stimmung, um Stücke zu texten wie ’Sparrows Will Sing‘ oder | |
’Mother Wolf‘. Die Musik dazu hat Roger Waters für mich geschrieben. Der | |
Text musste mal deutlich gesagt werden, denn ich sehe schwindende Chancen | |
für den Sieg der Menschlichkeit. | |
Wie ist es um die Liveversionen Ihrer Songs bestellt und wer wird mit Ihnen | |
live auf der Bühne stehen? | |
Ein Album ist nicht mehr als eine Momentaufnahme. Warum also sollte ich auf | |
der Bühne so klingen wie im Studio? Jede Sekunde der stets fortschreitenden | |
Zeit ändert alles. Mich. Meine Musik. Die ganze Welt. Und ich probiere live | |
alles mögliche aus. Ich könnte sogar a cappella singen. Keine Sorge, ich | |
werde es nicht tun. Oder ich könnte, wie ich es letztes Jahr in Paris getan | |
habe, nur mit dem Jazzgitarristen Bill Frisell spielen. Nein, jetzt mal | |
beiseite mit allen Spekulationen, es wird die gleiche Band sein, die mit | |
mir das Album eingespielt hat. Doch, wie gesagt, wir nehmen uns heraus, die | |
Lieder ganz anders zu spielen. | |
16 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Franz X. A. Zipperer | |
## TAGS | |
London | |
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