| # taz.de -- Nationalistischer Marsch in Warschau: Hassdemonstration zum Geburts… | |
| > Zum 100. Jahrestag der Unabhängigkeit Polens wollen wieder Nationalisten | |
| > durch Warschau marschieren. Die Regierung macht mit. | |
| Bild: Bereits 2017 haben Nationalisten am Unabhängigkeitstag in Warschau demon… | |
| Warschau taz | Der Kiosk in der Warschauer Unabhängigkeitsallee liegt an | |
| diesem Morgen in dichtem Nebel. „Ein Chaos ist das, einfach unfassbar!“, | |
| ruft Pani Basia, die Kioskbesitzerin, in gewohnter Frische. „Sie haben | |
| völlig recht“, stimmt ihr einer der Frühaufsteher zu, die sich jeden Morgen | |
| zur gleichen Zeit Brötchen und eine Zeitung holen: „Ich hatte gehofft, dass | |
| die Regierung wenigstens zum 100. Unabhängigkeitstag etwas Gescheites auf | |
| die Beine stellen würde. Jetzt will sie hinter dem Marsch der Nationalisten | |
| herlaufen!“ Der alte Mann mit Stock und Schiebermütze schüttelt den Kopf: | |
| „In was für einem Staat leben wir eigentlich? Eine Schande!“ | |
| Eine Lehrerin lässt den Blick über die Zeitungen schweifen und deutet auf | |
| die Dziennik Gazeta Prawna. „Immerhin haben wir noch die Chance, dass das | |
| Berufungsgericht den faschistischen Marsch doch noch verbietet.“ Zu Pani | |
| Basia sagt sie: „Im Radio habe ich gehört, dass die Dziennik-Beilage zur | |
| Wiedererlangung der Souveränität Polens 1918 sehr lesenswert sein soll.“ | |
| Die weißhaarige Kioskbesitzerin – in dickem Pullover und schwarzer | |
| Wollmütze – nickt. „5,90 Złoty, bitte.“ Dann sagt sie: „So weit haben… | |
| es in 100 Jahren gebracht: Erst soll es einen Nationalisten-Marsch geben. | |
| Dann verbietet die Stadt ihn und Präsident Duda kündigt stattdessen einen | |
| eigenen Marsch an. Schließlich hebt das Gericht das Verbot auf. Und jetzt | |
| gibt es zwei Märsche?“ Der alte Mann lacht verbittert: „Willkommen in | |
| Polen!“ | |
| Studenten auf dem Weg zur Warschauer Wirtschaftshochschule machen kurz | |
| Halt. Piotr hält Pani Basia sein Handy hin. Zu sehen sind zwei zum | |
| Verwechseln ähnliche Denkmäler. Das eine soll den Präsidenten von | |
| Turkmenistan zeigen, das andere den beim Flugzeugabsturz in Smolensk 2010 | |
| ums Leben gekommenen polnischen Präsidenten Lech Kaczyński. Piotr lacht. | |
| Die Lehrerin kommentiert trocken: „Es soll schon über 160 | |
| Kaczyński-Denkmäler in Polen geben. So wie früher die Lenin-Denkmäler!“ | |
| ## „Staatlich geduldeter Rassismus“ | |
| Pani Ania, eine Rentnerin aus der Nachbarschaft, ist wie meist in | |
| streitlustiger Laune: „Das ist ein sehr würdiges Denkmal! Ich gehe am | |
| Samstag auf jeden Fall zur Enthüllung auf den Piłsudski-Platz. Und am | |
| Sonntag zum Unabhängigkeitsmarsch!“ | |
| Der alte Mann steckt seine Zeitung in die Manteltasche: „Wollen Sie | |
| wirklich hinter Transparenten wie ‚Europa wird weiß sein oder entvölkert‘ | |
| hinterherlaufen? Oder ‚Tod den Feinden unseres Vaterlandes‘? [1][So wie | |
| letztes Jahr?]“ Die Rentnerin empört sich: „Der Unabhängigkeitsmarsch ist | |
| für alle da. Jeder kann seine Meinung sagen. Wir sind ein freies Land. Lang | |
| genug hat es ja gedauert.“ | |
| Die Lehrerin legt einen 10-Złoty-Schein in die Geldschale und dreht sich | |
| zum Gehen: „Ich habe mir den 100. Geburtstag unseres Landes anders | |
| vorgestellt – ohne Hass-Demonstrationen und staatlich geduldeten Rassismus. | |
| Sonntag wird ein trauriger Tag.“ Sie wartet keine Antwort ab, steckt das | |
| Wechselgeld ein und geht. | |
| Der alte Mann stützt sich schwer auf seinen Stock: „Wiedersehen, Pani | |
| Basia. Was machen Sie denn am Unabhängigkeitstag?“ Die Kioskbesitzerin | |
| reicht der Rentnerin die national-katholische Nasz Dziennik und antwortet: | |
| „Morgens ausschlafen! Mal nicht um fünf Uhr aufstehen. Und am Nachmittag | |
| will ich mit meiner Tochter die Krakowskie Przedmieście (Krakauer | |
| Vorstadtstraße) entlangschlendern. Da wollen wir uns die Stationen der | |
| sechs Gründerväter ansehen und dann im Hotel Bristol einen Kaffee trinken.“ | |
| ## Streitlustig | |
| Sie nickt bekräftigend: „Zur Feier des Tages! Sonst ist das ja viel zu | |
| teuer für uns.“ Augenzwinkernd fügt sie hinzu: „Einmal in hundert Jahren | |
| kann man sich das gönnen.“ | |
| Die beiden Studenten, schon wieder in ihre Smartphones vertieft, | |
| verabschieden sich mit einem saloppen „Cześć, cześć“ und sind weg. Geka… | |
| haben sie dieses Mal nichts. | |
| Nur die streitlustige Rentnerin steht noch vor dem Kiosk: „Was wäre der | |
| 100. Geburtstag Polens ohne einen Marsch?“ Pani Basia drückt ihr die Hand: | |
| „Ja, aber [2][auf dem Unabhängigkeitsmarsch wird es Randale geben.] Warum | |
| gehen Sie nicht auf den anderen? Sie haben doch die Wahl!“ | |
| 10 Nov 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Gabriele Lesser | |
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