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# taz.de -- Dioxin-Fund in Hamburg: Das Ultragift kommt zurück
> Im Naturschutzgebiet Boberger Niederung wurde eine extrem hohe
> Konzentration von Dioxin nachgewiesen. Das Ausmaß der Verseuchung ist
> noch unklar.
Bild: In den gesperrten Fischteichen der Boberger Niederung ist Angeln jetzt ve…
Hamburg taz | Hamburg droht der größte Umweltskandal seiner Geschichte. In
einem Naturschutzgebiet im Südosten der Hansestadt sind extrem hohe
Konzentrationen des krebserregenden Umweltgiftes Dioxin (siehe Kasten)
nachgewiesen worden. „Es ist schlimmer als alles, was jemals in Hamburg
gefunden wurde“, sagte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) am Donnerstag.
Der Fund erinnert an den [1][bislang größten Dioxinskandal um die
Chemiefirma Boehringer Mitte der 1980er-Jahre] – nicht zuletzt, weil
derselbe Konzern im Verdacht steht, auch für die nunmehr entdeckte Altlast
verantwortlich zu sein.
Nachgewiesen wurde jetzt eine Belastung im Boden von 721 Mikrogramm pro
Kilogramm, auf dem Werksgelände des Chemiekonzerns waren seinerzeit gut 400
Mikrogramm gemessen worden. Der Grenzwert für Wohn-, Park- und
Freizeitflächen von einem Mikrogramm ist somit um mehr als das 700-fache
überschritten. „Wir stehen hier vor einem sehr, sehr schweren
Umweltvergehen“, sagte Kerstan.
Die Wasserschutzpolizei, die für Umweltvergehen in der wasserreichen Moor-
und Sumpfregion des Naturschutzgebietes Boberger Niederung zuständig ist,
habe Anzeige wegen einer schweren Umweltstraftat gegen Unbekannt erstattet,
die Staatsanwaltschaft ermittle, berichtete Kerstan. Allerdings gebe es
einen Verdächtigen. Denn der chemische „Fingerabdruck“ zeige, dass es sich
bei dem Dioxin höchstwahrscheinlich um Rückstände aus der Herstellung eines
Pflanzenschutzmittels handele, vermutlich des Insektizids Lindan.
Dieses wurde nach bisherigem Kenntnisstand in Hamburg nur im wenige
Kilometer entfernt gelegenen Moorfleeter Werk des Chemieunternehmens
Boehringer produziert. „Wie es in die Boberger Niederung gekommen ist,
wissen wir nicht“, räumte Kerstan ein.
Deshalb sei auch weder klar, wer der Verursacher sei noch wann das Gift
dort abgelagert wurde und wie viel. Dazu müssten die technisch und zeitlich
aufwendigen Auswertungen weiterer Proben abgewartet werden. „Erst im Januar
wissen wir, wie groß die betroffene Fläche ist“, so Kerstan.
Eine vier Hektar große Fläche südlich einer eingleisigen Bahnstrecke, die
nur noch für den Güterverkehr zu einem Industriegebiet genutzt wird, wurde
gesperrt; für Spaziergänger und Radfahrer ist das Naherholungsgebiet nur
noch auf Umwegen erreichbar. Die konkrete Probe stammte aus dem Schotter am
Bahndamm. Deshalb könnte das Dioxin, so eine Theorie, beim Anlegen einer
Baustraße Anfang der 1960er-Jahre mit Bauschutt dorthin gekommen sein. Dann
wäre die Verseuchung bereits mehr als 50 Jahre alt.
Weil Dioxin für den Menschen besonders gefährlich ist, wenn es mit der
Nahrung in den Körper gelangt, werden auch Pilze und Beeren sowie Fische
aus zwei im Naturschutzgebiet gelegenen Teichen untersucht. Das Angeln ist
dort bis auf Weiteres untersagt. Direkte Anwohner gibt es zwar nicht, der
angrenzende Stadtteil Mümmelmannsberg liegt auf einem Hang, getrennt durch
den Bahndamm und eine autobahnähnliche Ausfallstraße, oberhalb der Boberger
Niederung. Dennoch sollen am kommenden Dienstag die Anwohner bei einer
Veranstaltung in der Stadtteilschule über die Lage informiert werden.
Dabei steckt die Umweltbehörde in einem „gewissen Dilemma“, wie Kerstan
einräumte, zwischen Alarmismus und Intransparenz. „Wir wollen mit der
Information der BürgerInnen und der Öffentlichkeit nicht bis Januar warten,
obwohl wir auf manche Fragen noch keine definitiven Antworten haben.“ Erst
wenn das gesamte Ausmaß der Verseuchung bekannt sei, könnten die Gefahren
für Mensch und Natur benannt werden.
## Entfernen, verbrennen oder einkapseln
Und auch erst dann könne ein Sanierungskonzept erarbeitet werden.
Entfernen, verbrennen oder einkapseln seien die grundsätzlichen Optionen.
Welche infrage komme und zu welchen Kosten, darüber wollte Kerstan „nicht
spekulieren“. Auch nicht über die Frage, ob ein möglicher Verursacher nach
so langer Zeit noch zur Rechenschaft gezogen werden könne. Das sei Sache
von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten. Boehringer sei über die
Funde informiert und zu einem Gespräch gebeten worden: „Weiter sind wir
noch nicht“, sagte Kerstan.
Erstes Lob erhält er dennoch vom Hamburger Umweltverband BUND. „Wir haben
derzeit den Eindruck, dass die Umweltbehörde die Sache ernst nimmt“,
kommentierte Landesgeschäftsführer Manfred Braasch. Sollte jedoch die hohe
Belastung nicht punktuell sein, sondern sich auf die gesamte Boberger
Niederung ausgebreitet haben, „käme ein gewaltiges Entsorgungsproblem auf
die Stadt zu“, fürchtet Braasch, mit Entsorgungskosten von 50 bis 100
Millionen Euro. Deshalb müsse unbedingt „der Verursacher dingfest gemacht
werden“.
9 Nov 2018
## LINKS
[1] /Fruehere-Dioxin-Funde-in-Hamburg/!5549285/
## AUTOREN
Sven-Michael Veit
## TAGS
Umweltverschmutzung
Umweltbehörde Hamburg
Verseuchung
Gift
Pflanzenschutzmittel
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Kriminalität
Hamburg
Landwirtschaft
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