| # taz.de -- Pornfilmfestival in Berlin-Kreuzberg: Schwestern und Vulven | |
| > In „Las hijas del fuego“ wird der Akt des Pornomachens zum Film: mit viel | |
| > Sexpositivität, polyamourösen Orgien und Feminismus. | |
| Bild: Gemeinsamer Roadtrip nach einer Schlägerei | |
| BERLIN taz | Ushuaia, die südlichste Spitze Argentiniens, kalt-mattes Licht | |
| und schneebedeckte Berge. Niemand spricht. Zwei glänzende schwarze Stiefel, | |
| Dr. Martens, auf gefrorenem Wasser. Eine Frau in einer Grotte. | |
| Wassertropfen lösen sich von der Decke und erzeugen nebst ihrem Stöhnen das | |
| einzige Geräusch. Sie ist nackt und masturbiert. Die Kamera fängt die | |
| Bewegung des lilafarbenen Dildos ein, fährt über ihren Körper, bis zum | |
| Kopf. Sie verzieht das Gesicht, beißt sich auf die Lippen, reißt den Mund | |
| auf. | |
| Ein Schiff legt an. Zwei Frauen fallen sich in die Arme, sie sind ein Paar. | |
| Eine davon ist die aus der Grotte. Sie haben Sex. | |
| „Hast du dir einen neuen Film überlegt?“ – „Ja, Porno.“ | |
| Es fallen nur wenige Worte im gesamten Plot. Und wenn, dann handelt es sich | |
| meist um Gedanken und Reflexionen aus dem Off. „Was ist das, Porno?“ | |
| ## Die Film-Crew: nur Frauen | |
| Fast zwei Stunden begleitet man die Frauen auf der Suche nach einer | |
| Antwort. Das Drehbuch beschreibt, wie das Drehbuch geschrieben wird, und | |
| dennoch ist es kein Dokumentarfilm. Der Akt des Pornomachens wird zum Film. | |
| Gedanken, Zweifel, Fragen, und während noch darüber sinniert wird, was ein | |
| Porno sei, ist man längst in einem drin. | |
| Albertina Carris neuer Film ,„Las hijas del fuego“, oszilliert zwischen | |
| persönlicher Introspektion, politischem Essay, feministischem Porno und | |
| Roadmovie. Er wurde am Dienstag zur Eröffnung des 13. Pornfilmfestivals im | |
| Kreuzberger Kino Moviemento erstmals in Deutschland gezeigt. In Argentinien | |
| wurde Carri bereits mit dem Preis des Bafici (Buenos Aires Festival | |
| Internacional de Cine Independiente) für den besten Film im nationalen | |
| Vergleich ausgezeichnet. Ihre Film-Crew: nur Frauen. | |
| Der Titel, der in der deutschen Übersetzung „Die feurigen Schwestern“ | |
| klingt wie ein Kitschporno aus den Siebzigern, wurde bereits 1854 von dem | |
| französischen Dichter Gérard de Nerval verwendet. Seine „Filles du feu“ | |
| waren acht Frauen, die sich in einer jeweils eigenen Kurzgeschichte auf die | |
| Suche nach Liebe und Wahnsinn machten. Carris feurige Schwestern begeben | |
| sich auf die Suche nach sexueller Befreiung und weiblicher Lust jenseits | |
| patriarchaler Kategorien. | |
| „Das Problem war nie die Repräsentation der Körper, das Problem ist, wie | |
| diese Körper vor der Kamera zu Land und Landschaft werden.“ | |
| ## Im Mittelpunkt steht weibliche Lust | |
| In einer Kneipe werden die beiden sich küssenden Frauen von einem plumpen | |
| Typen als „Scheißlesben“ beschimpft. Eine dritte Frau mischt sich ein, und | |
| gemeinsam fangen sie eine knallharte Schlägerei an, sie verprügeln den | |
| Typen. In der folgenden Nacht schlafen sie zu dritt. Danach beginnt der | |
| gemeinsame Roadtrip. | |
| „Wir sind auf einer wilden Forschungsreise. Wir suchen gleichzeitig nach | |
| Körpern und Geschichten.“ | |
| Zunächst scheint es eine Liebesbeziehung zwischen den dreien zu sein, doch | |
| bald kommt eine vierte Frau hinzu, bald eine fünfte, bald gibt es eine | |
| Szene, in der sieben Frauen in einer Reihe sitzen; lachend und ausgelassen | |
| pissen sie. Dicke, dünne, schwarze und weiße Frauen. Das Bild bleibt in | |
| Erinnerung, die Charaktere und ihre Geschichten werden nicht weiter | |
| beleuchtet, wie sie dazugestoßen sind, bleibt unklar. | |
| Selbst ihre Namen werden nur nebenbei erwähnt. Ihre Körper und ihre Lust | |
| werden zu den eigentlichen Protagonistinnen. Carris Kamera geht nah ran. | |
| Frauen, deren Augen vor Lust weit aufgerissen sind, Frauen, die | |
| Sexspielzeug ausprobieren und für sich entdecken, Vulven, aus denen | |
| Flüssigkeit tropft. | |
| ## Sex ist mehr als Penetration | |
| Die abwechslungsreichen Kameraeinstellungen und die Liebe zum visuellen | |
| Detail, das Spiel mit Licht und Farben zeigen die Reaktionen des gesamten | |
| Körpers, nicht nur der Genitalien. Carri erforscht das Thema Sexualität in | |
| allen Facetten, in aller notwendigen Diversität. | |
| Damit bricht sie die stereotypen Bilder von Mainstream-Pornos, in denen | |
| Frauen stets auf eine passive Rolle festgeschrieben werden, in denen es um | |
| Penetration geht und nicht viel mehr. Statt patriarchaler Lebens- und | |
| Liebesmuster sehen wir polyamouröse Orgien und Sexpositivität. | |
| „Was erzähle ich, wenn ich Porno erzähle? Ein Teil der Lust ist unmöglich | |
| darzustellen, es gibt keinen Weg, nur annähernd an die Wahrheit | |
| ranzukommen. Ohne Täuschung und mit Lust, Sinnlichkeit, Bereitschaft, Zeit. | |
| Ist das Porno?“ | |
| ## Sororidad bedeutet Solidarität und Schwesterlichkeit | |
| Auch wenn die Frauen auf den ersten Blick zunächst durch rein körperliche | |
| Beziehungen verbunden sind, ist da noch mehr. Im Spanischen gibt es ein | |
| Wort: sororidad, die Bedeutung liegt irgendwo zwischen „Solidarität“ und | |
| „Schwesterlichkeit“. Es geht darum, als Frauen zusammenzustehen gegen | |
| patriarchale Gewalt und Unterdrückung. | |
| Ohne dass sie darüber sprechen, wird deutlich, wie einfühlsam die | |
| Protagonistinnen mit den Grenzen und Bedürfnissen der anderen umgehen, wie | |
| sie sich selbst in den anderen entdecken. Man hat nie das Gefühl, den | |
| Frauen würde irgendetwas fehlen. Männer zum Beispiel. Sie spielen in „Las | |
| hijas del fuego“ keine Rolle, und wenn, dann nur als Störfaktoren. | |
| Zum Schluss eine einzige Kameraeinstellung über mehrere Minuten. Wieder | |
| ohne Worte. Eine Person mit gespreizten Beinen, ihre Vulva im Zentrum des | |
| Blickfelds. Sie masturbiert. Ganz für sich. Ist das vielleicht Porno? | |
| 25 Oct 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Wasenmüller | |
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