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# taz.de -- Spielfilm „Whatever Happens Next“: Magie der Verweigerung
> Driften in die Absichtslosigkeit: Julian Pörksen erzählt in seinem
> Spielfilm „Whatever Happens Next“ so leicht wie unberechenbar.
Bild: Vagabund von abgrundtiefer Sorglosigkeit: Sebastian Rudolph in „Whateve…
Aussteiger, das sind Leute mit Campingbus oder schwerem Motorrad, irgendwo
an einem Ort, der durch sie zum Hotspot werden könnte. In jedem zweiten
Werbeclip versprechen Aussteiger mit exquisitem Zubehör die große Freiheit
vom Alltag. Man muss groß einkaufen, um aussteigen zu können. Der Ausbruch
aus der Norm ist längst zur Marke geworden.
Julian Pörksen hat andere Vorstellungen von einem guten Leben, zumindest
verirrt er sich mit seinen dysfunktionalen Typen gern in die Suche danach.
[1][Sein erster Film] hatte einen langen Titel wie ein Beat-Poem,
„Sometimes we sit and think and sometimes we just sit“. Er handelte von
einem 50-jährigen Mann, der ins Altersheim zieht, um einfach Schluss zu
machen mit Leistung und Konsum. Solch ein Rückzug in die Untätigkeit macht
die Umwelt sehr nervös und führt bei allen anderen außer dem passiven
Zeitgenossen zu erhöhter Betriebstemperatur.
Für Pörksen, der außer Filmen auch noch Theater macht und derzeit als
Dramaturg am Kölner Schauspielhaus beschäftigt ist, war das Thema
Zeitverschwendung viel zu schön, um es fahren zu lassen.
Er dachte über milde Akte der Unterbrechung vom Zwang zur Produktivität
nach, schrieb ein Buch, das leider als Ratgeber missverstanden wurde, und
so war das Drehbuch zu „Whatever Happens Next“ der logische Dreh zu einer
neuen Sicht auf das Thema Magie der Verweigerung.
Hier ist von Rückzug nämlich nicht mehr die Rede, der Mann im Mittelpunkt
geht vielmehr auf und davon und gerät immer neu in Begegnungen, die eine
Geschichte auslösen. Glück hat dieser Paul Zeise (Sebastian Rudolph),
selbst wenn er seinen Stoffbeutel verliert und Geld und Schuhe gestohlen
werden. Was immer es ist, das Paul in die Auszeit treibt, seine Reise nimmt
gefangen wie ein etwas abseitiges Märchen.
## Alles scheint möglich
Es fängt harmlos an: Der hagere Typ mittleren Alters verlässt sein still
daliegendes Eigenheim, steigt wohlbehelmt auf sein Fahrrad und radelt auf
einer stillen Landstraße. Ein Rauschen, zarter als die dröhnenden
Psycho-Sounds im Genre-Kino, kündigt eine innere Erleuchtung an. Paul
stoppt, nimmt den Helm ab, lehnt das Fahrrad an und geht zu einem tollen
Stück Rockmusik über eine große Weide auf den Wald zu. Filmmusiken von
Blues bis Jazz, in jeder Episode mit eigenem Touch, machen Pauls Driften in
die vollkommene Absichtslosigkeit zu einem leichtsinnigen Spiel.
Der Mann in „Whatever Happens Next“ setzt sich zum Beispiel zu einem
Friedhofsarbeiter ins Auto, gibt sich als Tramper zu erkennen und wird
mitgenommen, er „leiht“ sich sogar ein paar Euro. Bei einer familiären
Beerdigungsfeier setzt er sich an den Tisch, geht gutmütig auf die bizarre
„Ich habe Aids“-Story seiner dementen Nachbarin ein, will sogar mit ihr ins
Kino. Paul schnorrt, lächelt und überlässt seinem Gegenüber die Freiheit,
ihm zu trauen oder nicht.
Diesem sorglosen Taugenichts – Julian Pörksen hat viel für Joseph von
Eichendorffs romantische Parallelwelt übrig – stellt er einen anderen Mann
gegenüber, auch einen Loner, der es mit sich selbst gut aushält. Ulrich
Klinger (Peter René Lüdicke) ist von Pauls Frau Luise (Christine Hopp)
engagiert worden, um den Abgetauchten zu suchen. Wie es funktionieren soll,
einen Mann ohne Handy-Ortung, Hotelbuchung und Polizei zu finden, ist ein
Spiel mit vielen, beiläufig fabulierten Zufällen. Die Gespräche, die
Klinger führt, bringen ihn der abgrundtiefen Sorglosigkeit seines
Beobachtungsobjekts näher. Alles scheint möglich, selbst eine Nacht mit
Pauls Frau, als beide in der „Kiel-Situation“ lange auf den Abtrünnigen
warten.
## Gemischtes Doppel unmöglicher Lieben
Dessen Reise hatte von Leipzig nach Łódź geführt, in ein Land, dessen
Sprache er nicht spricht, und in ein Krankenhaus, in dem er gleichmütig
beteiligt/unbeteiligt einen Kranken bis zum Tod begleitete. Schlau zu
werden aus diesem Vagabunden, diesem ewigen Passagier und Drifter macht der
Film nicht gerade leicht.
An einer nächtlichen Tankstelle trifft Paul auf Nele (Lilith Stangenberg),
eine federleicht flirtende und streitende Borderlinerin, die ihm Unterkunft
in Kiel anbietet, nur ein paar Tage in der hässlichen Stadt, von der er
vorher einem anderen Reisebekannten erzählte, der es dem Privatdetektiv
weitergab. So führt Julian Pörksen sein gemischtes Doppel unmöglicher
Lieben durch ein paar Kilometer Luftlinie getrennt zusammen.
Aber die Rückkehr ins Eigenheim oder ein Neuanfang mit Nele wären in solch
einer skurrilen Komödie unter Niveau. Stattdessen inszeniert Julian Pörksen
eine Begegnung zwischen Paul und dem Privatdetektiv, die alle Genre-Regeln
bricht. Wo findet ein Privatdetektiv sonst einen Verlorenen Eis essend auf
dem Spielplatz? Wie kann das enden? Vielleicht nie.
7 Nov 2018
## LINKS
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## AUTOREN
Claudia Lenssen
## TAGS
Spielfilm
Uber
Schwerpunkt Berlinale
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