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# taz.de -- Das Mädchen, der Richter & das Bamf: Kein alltäglicher, ein beson…
> Wenn ein Asylantrag abgelehnt wird, landet der Fall oft vor Gericht.
> Media Yousef aus Syrien hat Glück: Sie trifft auf Reinhard Rennert, einen
> engagierten Richter.
Bild: Nimmt inzwischen an einem Deutschkurs in Berlin teil: Media Yousef, die i…
An einem heißen Spätsommermorgen steht Media Yousef mit ihrer Anwältin auf
dem Gang des Verwaltungsgerichts Potsdam und knetet nervös ihren
bandagierten rechten Unterarm. Die 22-jährige Syrerin hat das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge – kurz Bamf – verklagt, weil es ihren Asylantrag
abgelehnt hat. Die Begründung: Sie habe bereits Flüchtlingsschutz in
Bulgarien bekommen.
„Wir haben dort gar kein Asyl beantragt“, sagt Yousef und zuppelt an der
Bandage. Der Arm schmerzt seit einem Verkehrsunfall vor eineinhalb Jahren
auf der Straße vor ihrem Flüchtlingsheim in Teltow. Aber das ist heute
egal. Heute geht es um ihre Zukunft.
Media Yousef will hier bleiben. „Ich muss“, sagt sie. Mutter, Vater, fünf
Geschwister leben mit ihr im Heim, nur die Mutter hat bislang die
Flüchtlingsanerkennung. Die Anwältin sagt ihr ein paar aufmunternde Worte.
Eine Stimme ruft durch den Gang den Fall „Media Yousef gegen die
Bundesrepublik Deutschland“ für Saal 5 auf. Alle gehen rein.
In den vergangenen Monaten ist viel diskutiert worden über das Bamf. Der
sogenannte Bremer Bamf-Skandal ventilierte den Vorwurf, die Behörde gewähre
womöglich Tausenden Geflüchteten zu Unrecht Asyl. Am Ende war nichts dran
am angeblichen Skandal.
## Asylanträge zu Unrecht abgelehnt
Umgekehrt wird aber kaum diskutiert, ob nicht auch viele Asylanträge zu
Unrecht abgelehnt werden. Dabei gibt es dafür durchaus Indizien – vor allem
die drastisch steigende Zahl von erfolgreichen Klagen gegen das [1][Bamf]
vor den Verwaltungsgerichten. Nicht wenige sagen daher wie die Neue
Richtervereinigung oder die Organisation [2][Pro Asyl], die Qualität von
Bamf-Bescheiden lasse in letzter Zeit deutlich zu wünschen übrig.
Der Fall von Media Yousef ist einerseits alltäglich, andererseits
besonders. Zu Beginn der Verhandlung trägt Richter Reinhard Rennert den
„wesentlichen Inhalt der Akten“ vor. Zusammengefasst steht dort, dass die
junge Frau 2015 mit ihrer Familie über die Türkei nach Bulgarien kam. Dort
wurde sie mit ihren Fingerabdrücken in der [3][Eurodac Datenbank (ein
europaweites Identifizierungssystem; Anm. d. Red.)] registriert, über die
man Yousef, als sie im Oktober 2015 nach Deutschland kam, identifizierte.
Im April 2016 lehnte das Bamf ihren Asylantrag als „unzulässig“ ab, die
Begründung dafür: Bulgarien habe erklärt, Yousef habe dort im November 2015
Asyl bekommen.
So weit, so gewöhnlich. Ähnliche Wege haben seit ein paar Jahren viele
SyrerInnen genommen, zahlreiche Asylanträge wurden abgelehnt mit dem
Argument, für sie sei nach EU-Recht Bulgarien zuständig.
Das Ungewöhnliche: Über genau diesen Fall hat Richter Rennert schon einmal
entschieden.
## Flüchtlingsschutz in Bulgarien?
Im August 2017, trägt der Richter weiter aus den Akten vor, hat er ihre
Klage gegen das Bamf wegen der Ablehnung ihres Antrags verhandelt – und den
Bamf-Bescheid aufgehoben. Die Beklagte, also das Bamf, habe nicht
nachgewiesen, dass Yousef wirklich Flüchtlingsschutz in Bulgarien genieße.
Als die Syrerin in Bulgarien vermeintlich einen Schutzstatus erhalten habe,
befand sie sich bereits in Deutschland. Eine entsprechende bulgarische
Entscheidung habe sie nicht erhalten. Darauf lud das Amt Yousef zur
Anhörung ein – um im September 2017 ihren Antrag erneut abzulehnen. Und
zwar mit derselben Begründung wie zuvor, sie habe Flüchtlingsschutz in
Bulgarien erhalten. Dies sei äußerst ungewöhnlich, erklärt der Richter.
Denn wo komme man hin, fragt er, wenn Behörden sich nicht mehr an Urteile
halten?
Später im Gespräch mit der taz kommt Rennert auf diese Frage zurück, die im
Sommer mit dem Fall Sami A. plötzlich in aller Munde war. Der abgelehnte
Asylbewerber war als „Gefährder“ aus NRW nach Tunesien abgeschoben worden,
obwohl über seine Eilklage gegen die Abschiebung noch nicht vom
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschieden war. Auch hier, so Rennert,
gehe es um Rechtsstaatlichkeit. Das Bamf habe sich nicht an seine
Stillhaltezusage gegenüber dem Gericht gehalten. „Ist das eine neue
Tendenz“, fragt er, „zu rechtswidrigen Abschiebungen oder dass noch während
des Verfahrens vollendete Tatsachen geschaffen werden?“
Zwei Sorgen treiben den Richter um. Einmal seine Beobachtung, dass die
Exekutive die Judikative zunehmend unter Druck setzt. Warum, fragt Rennert,
schilt der NRW-Innenminister die Verwaltungsgerichte mit Blick auf Sami A.,
sie sollten das Empfinden der Bevölkerung beachten? „Gerichte urteilen nach
Recht und Gesetz“, empört er sich. „Das ist schon krass, so etwas von einem
Minister zu hören.“
Zudem wundert sich Rennert, dass das Thema Flüchtlinge überhaupt in Politik
und Öffentlichkeit als so wichtig erachtet wird. „Wir haben doch eigentlich
größere Probleme, etwa den Klimaschutz.“ Aber offenkundig erfüllten
Flüchtlinge inzwischen eine Art Sündenbockfunktion. „Man muss aber
aufpassen“, warnt er. „Viele meinen vielleicht, das ist nicht schlimm, wenn
man die Rechte von Flüchtlingen immer weiter beschneidet. Aber man legt
damit die Axt an den Rechtsstaat für alle Bürger.“
## Bamf schickt tatsächlich einen Vertreter
Auch im Gerichtssaal wird Rennert an jenem Morgen grundsätzlich. Die Frage
der „Rechtskraft von Gerichtsurteilen“ berühre den Rechtsstaat insgesamt,
sagt er. Denn was passiert, wenn Behörden trotz gegenteiligem Richterspruch
den gleichen Bescheid noch einmal machen – und wieder verklagt werden? „Das
bekommt kafkaeske Züge, dann sitzt die Klägerin über Jahre im Ungewissen“,
so Rennert in Richtung des Bamf-Vertreters.
Denn auch dies ist ungewöhnlich im Fall Yousef: Die Beklagte, das Bamf, hat
einen Vertreter geschickt. Normalerweise, berichten Richter und
Rechtsanwälte gleichermaßen, erscheine das Bamf seit Jahren in der ersten
Instanz gar nicht mehr vor Gericht. Die Behörde sagt, man habe zur Zeit
wegen der vielen Fälle nicht genug Prozessbevollmächtigte, aber das solle
sich künftig ändern. Fest steht, dass Asyl-Prozesse deswegen häufig länger
dauern, etwa weil zusätzliche Informationen vom Gericht schriftlich
angefordert werden müssen oder eine direkte Einigung im Gerichtssaal nicht
möglich ist.
Heute aber kann der Richter dem Bamf-Vertreter direkt zu verstehen geben,
dass er geneigt ist, die Verpflichtungsklage der Klägerin für zulässig zu
erachten. Was bedeutet, dass über den Flüchtlingsschutz der Klägerin nun in
der Sache entschieden werden könnte. „Ich würde das durchentscheiden“, sa…
der Richter. „Mal sehen, was das Bundesverwaltungsgericht dazu sagt.“ Nach
Lage der Dinge habe die Beklagte die Rechtskraft seines vorigen Urteils
sowie dessen „Bindungswirkung“ nicht beachtet, diktiert er fürs Protokoll.
Dabei sei es gängige Rechtsprechung, „dass eine unterlegene Behörde nicht
denselben Verwaltungsakt erneut erlassen darf“.
Der Bamf-Vertreter zeigt sich einsichtig, der Bescheid seiner Behörde sei
falsch gewesen, räumt er ein, und daher aufzuheben. Der Richter nickt
erfreut, wendet sich der Bank mit Yousef und ihrer Anwältin zu. „Dann
können wir jetzt die Klägerin befragen und prüfen, ob Ihnen in der BRD ein
Schutzstatus zusteht.“ So kommt es, dass nun der Richter die Klägerin
befragt, wie es normalerweise ein Entscheider des Bamf im Asylverfahren
tut. Nur dass dessen Anhörung nicht öffentlich ist.
## Ein Verwandter wurde getötet
Zunächst will Rennert wissen, wann und wie Yousef aus Syrien geflohen ist.
Das Datum wisse sie nicht mehr genau, erklärt sie, denn seit ihrem Unfall
sei sie etwas vergesslich geworden. Aber es sei wohl Ende 2013 gewesen.
Warum sie geflohen sei? „Wir hatten schon vor dem Krieg Probleme mit dem
Assad-Regime“, übersetzt der Dolmetscher. Als Kurden seien sie in vielen
Belangen diskriminiert worden: hätten keine Personalausweise bekommen, kein
„Recht auf Bildung“ gehabt. Mit dem Krieg seien dann IS-Kämpfer „in unse…
Ortschaften“ gekommen, hätten getötet, Frauen vergewaltigt und Mädchen
entführt. Die Regierung habe verlangt, „dass wir Waffen tragen und gegen
den IS kämpfen. Ein Verwandter wurde getötet, wir wissen nicht von wem.“
Die Befragung dauert, weil Yousef sichtlich bewegt ist und sich ausführlich
erklären will, aber auch weil der Richter beim Protokollieren sehr
sorgfältig ist. Jeden Satz, den der Dolmetscher übersetzt, wiederholt
Rennert, lässt ihn rückübersetzen und erbittet Yousefs Zustimmung, bevor er
ihn zu Protokoll gibt. Bei Anhörungen des Bamf, erzählen Anwälte, sei das
nicht immer so. In den Protokollen der Behörde würden Fluchtgeschichten
teils nur summarisch zusammengefasst, teils gebe es offenkundige
Übersetzungsfehler. Zudem fragten Entscheider oft nicht nach, etwa um
Unstimmigkeiten oder vermeintliche Widersprüche aufzuklären.
Dann aber kann eine Geschichte schnell unglaubwürdig erscheinen, wie sich
bei Yousef zeigt. Sie erzählt dem Richter von einem Tag im April 2013. „Da
kamen Flugzeuge und Helikopter und warfen Medikamente in unser Dorf und
Nachbardorf“, übersetzt der Dolmetscher. Medikamente? Noch grübelt man über
diesem Wort, als die Übersetzung weiter geht. „Meine Schwester war draußen
auf dem Weg zwischen den beiden Dörfern, als die Bomben fielen. Wir haben
sie vom Dach aus gesehen und ihr Zeichen gegeben, dass sie zu uns laufen
soll.“
## Richter lässt die Namen buchstabieren
Erst die detaillierten Nachfragen des Richters bringen nach und nach Licht
in die verworrene Aussage. Nicht Medikamente hätten die Hubschrauber
abgeworfen, sondern Giftgas, korrigiert Yousef die erste Übersetzung. Wie
sie auf Giftgas komme, fragt der Richter. „Es war so, dass die Leute, die
zu den Opfern hingegangen sind um zu helfen, auch gestorben sind“, erklärt
sie. Warum sie auf dem Dach gestanden habe. „Ist das nicht gefährlich?“,
hakt Rennert nach. „Wir mussten das machen, hatten ja Sorge um die
Schwester“, erwidert sie. Dann lässt sich der Richter vom Dolmetscher noch
die Namen der beiden Dörfer buchstabieren: Haddat und Um Quhif gibt er zu
Protokoll. So könnte man später nachprüfen, ob sich die Geschichte vom
Giftgasangriff bestätigen lässt.
Danach befragt Rennert die junge Frau, wie sie zur kurdischen Opposition in
Syrien, der YPG, und zum Assad-Regime steht und was genau sie befürchtet,
wenn sie heim kehren müsste. Als er keine Fragen mehr hat, ist der
Bamf-Vertreter dran.
Auch er fragt gezielt, versucht Widersprüche in ihrer Aussage aufzuklären.
Etwa: Warum sie in ihrem Antrag beim Bamf, wo konkret nach Zeugenschaft von
chemischen Angriffen gefragt wird, damals „Nein“ geantwortet habe. Yousef
zeigt sich verwundert. „Der Dolmetscher hat damals ein, zwei Fragen
gestellt und wenn einer der Familie „Nein“ sagte, wurde überall „Nein“
ausgefüllt.“ Wieder schaltet sich der Richter ein: „Sie haben den
Fragebogen gar nicht selbst ausgefüllt?“ Yousef: „Nein.“
Der Bamf-Mann will auch noch wissen, wieso Yousef im Fragebogen als Beruf
„Studentin“ angegeben hat, wenn sie doch als Kurdin in Syrien gar nicht
habe studieren dürfen. Sie erklärt, zu studieren sei eben ihre Absicht.
Außerdem sei sie bei der ersten Bamf-Befragung müde gewesen. „Das schien
mir nicht so wichtig.“
## „Jetzt ist alles in Ordnung“
Als niemand mehr Fragen hat, wendet sich der Richter an den Bamf-Vertreter:
„Wie würden Sie entscheiden?“ Der Bamf-Mann erklärt, er würde „subsidi…
Schutz“ geben. Das ist die schwächere Schutzform für
Bürgerkriegsflüchtlinge, die inzwischen fast alle Syrer bekommen – im
Unterschied zum „richtigen“ Asyl nach Artikel 16A Grundgesetz oder der
Anerkennung als Flüchtling nach der Europäischen Flüchtlingskonvention.
Yousefs Anwältin erklärt, ihrer Mandantin reiche das. Man einigt sich, dass
die Klage zurückgezogen wird, wenn das Bamf zusichert, dass Yousef diesen
Schutzstatus bekommt. Der Richter zum Bamf-Vertreter: „Sie sehen, es ist
hilfreich, wenn Sie kommen, sonst wäre das jetzt wieder hin- und
hergegangen.“
Später auf dem Gang erklärt die Rechtsanwältin ihrer Mandantin noch einmal,
was da eben passiert ist. „Jetzt ist alles in Ordnung, Sie können
loslegen.“ Yousef strahlt. Bislang, erzählt sie in ganz passablem Deutsch,
habe sie nicht viel machen können – wegen ihres Unfalls und weil sie wegen
der Ablehnung vom Bamf zuletzt keinen Sprachkurs mehr habe machen dürfen.
„Jetzt kann mein Leben hier endlich richtig anfangen.“ Dolmetscherin würde
sie gerne werden für Arabisch, Englisch, Deutsch.
Ein Wermutstropfen bleibt: Über die Asylanträge der fünf Geschwister hat
das Amt noch nicht entschieden.
3 Nov 2018
## LINKS
[1] http://www.bamf.de/DE/Startseite/startseite-node.html
[2] https://www.proasyl.de/
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/EURODAC
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
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