# taz.de -- Schriftstellerin Tanja Kinkel über Franken: „Wir wollen gar kein… | |
> Tanja Kinkel über die Erfolge und Misserfolge bayerischer Propaganda in | |
> fränkischen Köpfen und die Bedeutung der Landtagswahlen. | |
Bild: „Man würde sich vielleicht bei einigen Abgeordneten wünschen, sie wä… | |
taz: Frau Kinkel, sind Sie eine fränkische Schriftstellerin? | |
Tanja Kinkel: Ich bin in Bamberg geboren und aufgewachsen und fühle mich | |
der Stadt weiterhin verbunden. Insofern bin ich eine fränkische | |
Schriftstellerin. Nichts gegen München, das ist eine wunderbare Stadt, aber | |
auch nach Jahrzehnten im oberbayerischen Exil sage ich immer noch Bamberg, | |
wenn ich nach meiner Heimatstadt gefragt werde. Die Themen, denen ich mich | |
in meinen Romanen widme, sind sicher nicht fränkisch. Die sind über die | |
ganze Welt verteilt. | |
Hat es etwas mit Ihrer fränkischen Herkunft zu tun, dass Sie Ihre Themen in | |
der ganzen Welt suchen? | |
Ich könnte jetzt sagen: Wenn du im fränkischen Rom aufgewachsen bist mit | |
Klein-Venedig vor der Haustür, dann liegt es nahe, dass du in die weite | |
Welt hinausstrebst. Aber im Ernst: Ich habe die Liebe zur Heimat und die | |
Lust auf die Welt nie als Entweder-oder, sondern immer als Sowohl-als-auch | |
betrachtet. Ich hatte in Bamberg auch nie das Gefühl der Enge. Wir hatten | |
eine große amerikanische Garnison in der Stadt, haben als Weltkulturerbe | |
jede Menge Touristen. Es war also, weiß Gott, nicht so, dass ich nur bei | |
Auslandsreisen mit Nicht-Franken in Kontakt gekommen bin. | |
Bayern hat ja nun [1][einen Ministerpräsidenten aus Franken.] Werden Sie | |
als Fränkin auf ihn angesprochen? | |
Herr Söder hat gewiss einen hohen Unterhaltungswert, aber das gilt ja für | |
andere CSU-Mitglieder und solche aus anderen Parteien auch. Man würde sich | |
vielleicht bei einigen Abgeordneten des Bayerischen Landtags wünschen, sie | |
wären nur fiktive Figuren. Wenn sie nur erfundene Gestalten wären, würde | |
ich mich auf jeden Fall viel wohler fühlen. Aber man muss auch sagen, wir | |
haben der Welt nicht nur einen Markus Söder beschert, sondern auch Menschen | |
wie den ehemaligen Ministerpräsidenten Günther Beckstein oder jetzt | |
Gesundheitsministerin Melanie Huml – bei ihnen liegt das | |
Identifikationspotenzial um einiges höher. | |
Spüren Sie Vorurteile, die man gegen Franken hegt? | |
Wenn man aus der Gegend jenseits des Weißwurstäquators kommt, ist man kein | |
Vollbayer. Das ist schon so. Aber wir wollen ja auch gar keine sein, wir | |
sind ja auch nicht freiwillig zu Bayern gekommen. Aber manchmal spürt man | |
schon diesen Dünkel. Ich erinnere mich noch an unser 1.000-jähriges | |
Bamberger Stadtjubiläum vor ein paar Jahren. Glauben Sie, die Bayerische | |
Residenz hätte die 1806 aus der Bamberger Schatzkammer geklauten Pretiosen | |
herausgerückt, wenigstens für die Jubiläumsausstellung? Nein. Genauso wenig | |
geben sie einige Dürer-Bilder nach Nürnberg zurück. | |
Vor allem in Altbayern ist [2][der Begriff Freistaat] beinahe schon | |
folkloristisch besetzt. Ist das in Franken anders? | |
In Franken ist es nicht unbedingt nötig, in Lederhose und Dirndl etwa auf | |
einer Parteiveranstaltung aufzutreten. Die jahrzehntelange | |
„Wir-sind-Bayern“-Propaganda der fast immer allein regierenden Partei hat | |
allerdings hier auch ihre Spuren hinterlassen. Aber es gibt dennoch eine | |
größere Bereitschaft, sich nicht nur über eine Traditionslinie zu | |
definieren. Das liegt vielleicht auch an dem Flickenteppich, der Franken | |
immer auch war. Ich komme aus dem sehr katholischen Bamberg und ein paar | |
Kilometer weiter liegt das sehr evangelische Nürnberg. | |
Franken fühlen sich dennoch immer noch benachteiligt. Bisweilen sieht man | |
auch diese „Frei statt Bayern“-Aufkleber, die das fränkische Wappen zeigen, | |
auf den Autos. | |
Den habe ich noch nie gesehen. Sie sehen, ich lebe definitiv schon zu lange | |
in München. | |
Aber es gibt sie, die Franken, die sich benachteiligt fühlen. | |
Das ist zumindest im vergangenen halben Jahr, in dem Markus Söder im | |
Wahlkampf mit Geld regelrecht um sich geworfen hat, kein großes Thema | |
gewesen. Ich glaube definitiv nicht, dass es ernsthafte separatistische | |
Bestrebungen gibt. | |
Ist man nicht vielleicht doch eher stolz, Franke zu sein oder darauf, Bayer | |
zu sein? | |
Innerhalb von Bayern ist das auf jeden Fall so. Außerhalb Bayerns sieht das | |
schon anders aus. Wenn man etwa in Berlin oder an anderen Orten Ex-Preußens | |
als Teil einer homogen denkenden bayerischen Masse bezeichnet wird, dann | |
fühlt man sich schon als betroffene Bayerin und macht klar, dass Bayern | |
durchaus vielfältig denken und handeln können. | |
Das passiert nach dem Landtagswahlergebnis vielleicht nicht mehr ganz so | |
oft. | |
Ich bin jedenfalls froh darüber, dass die Grünen so gut abgeschnitten | |
haben. Hätte gerne die Notwendigkeit einer Dreiparteienregierung gesehen. | |
Es war schon wahnsinnig wichtig, der CSU-Führung zu demonstrieren, dass sie | |
mit ihrer Rechtsaußenpolitik rein gar nichts gewonnen hat. Das war nicht | |
nur für Bayern, sondern für die ganze Republik wichtig, zu sehen, dass es | |
nicht nur nichts gebracht hat, sondern dass es sie wahnsinnig viel gekostet | |
hat. | |
In Ihren Romanen behandeln Sie historische Stoffe ohne direkten Bezug auf | |
politische Vorgänge. Sind Sie dennoch eine politische Schriftstellerin? | |
Jeder historische Roman ist ein Kommentar auf die Gegenwart, so hat es Lion | |
Feuchtwanger, über den ich meine Dissertation geschrieben habe, gesagt. Die | |
Geschichte ist die Realität, aus der sich die unsere entwickelt hat. Die | |
eine Zeit ist immer ein Kommentar der anderen. Es wäre sicher falsch, zu | |
sagen, Geschichte und Gegenwart sind deckungsgleich. Genauso wenig wie man | |
sagen kann, dass sie nichts miteinander zu tun haben. Ich finde es einfach | |
faszinierend, eine Interaktion zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem | |
herzustellen. | |
Treiben Sie da die Sorge vor Erfolgen der AfD oder die Lage in Ländern wie | |
Polen, Ungarn [3][oder auch Brasilien] besonders an? | |
Ja. Es kommt wirklich auf uns alle an, in Franken, Bayern, in der ganzen | |
Republik, in Europa, darauf dass wir uns klarmachen, auch wenn wir die Welt | |
vielleicht nicht retten können, wir müssen auf unserer ganz persönlichen | |
Ebene Einfluss nehmen, indem wir aufklären und widersprechen. Wir können | |
auch Einfluss nehmen, indem wir bei jeder Wahl unsere demokratischen Rechte | |
wahrnehmen. Wir können den Unterschied machen. Es ist einfach wichtig, nie | |
aufzugeben. | |
6 Nov 2018 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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