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# taz.de -- Kolumne Press-Schlag: Spezielle Sepphaftigkeit
> Bayerischer als 1860 München ist kein Verein im Freistaat. Diese Mischung
> aus Defätismus und Dadaismus gibt es wirklich nur hier.
Bild: Weiß und Blau wie Bayern: Aufkleber aus der 1860-Fanszene
100 Jahre Freistaat Bayern, über einen solchen runden Geburtstag kann der
TSV 1860 München nur schmunzeln, der Verein aus Giesing hat diesen Festtag
schon vor 58 Jahren gefeiert. Sechzig ist quasi das Pleistozän der
bayerischen Landesgeschichte und zugleich 1860-mal bayerischer als das
meiste, das sich „Bayern“ nennt (vor allem im Fußball). Als der Verein im
Jahr 1860 gegründet wurde, da hatte er 150 Mitglieder, also in etwa so viel
wie die bayerische SPD heute.
Und schon früh zeigte sich die Verbundenheit mit der Heimat: Meilensteine
sind Vereinsabteilungen wie das 1887 gegründete „Turner-Alpen-Kränzchen“,
die 1901 hinzugekommene Bergsteigerriege oder die Schneeschuhriege von
1907, die spätere Skiabteilung. So was gibt es nur bei Sechzig.
Als der Freistaat Bayern 1918 gegründet wurde, da bestand die
Fußballmannschaft von 1860 unter anderem aus dem Braumüller-Josef, dem
Bruglachner-Josef und dem Bauer-Josef, also nur Männer mit dem Spitznamen
Sepp. Diese Sepphaftigkeit blieb über die Jahre, auch wenn der Sepp
zwischendurch mal Karl-Heinz Wildmoser hieß.
Das war der barocke Gastronom und langjährige Präsident mit dem
Zwirbelbart, der so unvergleichliche Dinge sagte wie „oaner von unsern
Boxern ist jetzt für die Nationalmannschaft nummeriert“ oder „die Spieler
ham a Riesenpotentional“. Das Potentional von Wildmoser dem Älteren reichte
leider nicht so weit, er drehte Sechzig den überteuerten Bau der Allianz
Arena mit dem sogenannten FC Bayern an und träumte von den Löwen auf
Augenhöhe mit Barca, Real und ManU.
## Das ist Sechzig
[1][Dank des resultierenden Abstiegs] wurden es dann schließlich Gegner wie
SV Schalding-Heining, TSV Buchbach und FC Pipinsried. Aber auch dieser
Größenwahn ist typisch bayerisch und typisch 1860, dieses Schwanken
zwischen Champions League und Dorfacker, dieses Oszillieren zwischen
eigenen Weltraumplänen und Hubert Aiwanger. Das Maß der Dinge beim Turn-
und Sportverein ist immer noch der Meistertitel aus dem Jahr 1966, also aus
der nach den Löwen „Sechziger Jahre“ benannten Zeit.
Damals hat der Meistertrainer Max Merkel im Training die Alkoholiker gegen
die Nicht-Alkoholiker spielen lassen. Merkel fand heraus, dass die
Alkoholiker mit 9 zu 3 gewannen: „Da hab ich gesagt: Sauft’s weiter, Buam!�…
Der letzte Titelgewinn ist lange her, manche Fans fordern, man möge
„Zweitligaabstiegsrelegationsmeister 2014/2015“ in den Briefkopf
aufnehmen. [2][Doch was auch passierte,] 1860 fiel weich, denn da war immer
der Fluchtpunkt „Giasing“, das unverwüstliche Grünwalder Stadion im
Arbeiterstadtteil Giesing, jene urbayerische Zelle von Glück und Anarchie –
nach jeder historischen Katastrophe konnten sich die Löwen hier wieder
selbst finden. (Ein Stadion, in dem die Sitzplatz-Gegengerade „Stehhalle“
heißt. Herrlich!)
In der vergangenen Viertligasaison zogen die Löwenfans begeistert durchs
Bayernland und freuten sich daran, dass sie mit der S-Bahn zum
Auswärtsspiel nach Unterföhring durften oder mit der U-Bahn nach Garching,
es war gelebter Heimat- und Sachkundeunterricht.
[3][Wer den TSV 1860 verstehen will,] der muss einfach die Stunden vor oder
nach den Heimspielen seine Zeit in den Straßen rund um das Stadion
verbringen. Da kann man in wunderbaren Boazn (bairisch für: „Leicht
heruntergekommene Trinkhalle im bajuwarischem Ambiente“) Gesprächen
lauschen wie: „Sers. Und? Was moanst?“ “Mei, gwinna damma heit ned!“ Di…
Mischung aus Defätismus und Dadaismus gibt es nur hier. Das ist Sechzig.
Das ist Freistaat Bayern. Auf die nächsten 100 beziehungsweise 1860 Jahre!
6 Nov 2018
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## AUTOREN
Achim Bogdahn
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