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# taz.de -- Neuer Erzählband von Frank Schulz: Mamapapamamapapa
> Der Band „Anmut und Feigheit“ enthält feinsinnge und wortwitzige
> Geschichten von Frank Schulz – darunter zwei Liebeserklärungen an seine
> Eltern.
Bild: Frank Schulz beschreibt, wie diesen Menschen das Herz bricht
Ein Schriftsteller ist jemand, so hat es Arno Schmidt mal formuliert, dem
beim Anblicks eines Regenschirms „ein Stock im Petticoat“ einfällt. Ein
Künstler also, der die Worte aus ihrer standardsprachlichen Uniformität
befreit, bestenfalls, um die Wirklichkeit dahinter noch einmal
anschaulicher abbilden zu können. Und wenn dabei auch noch ein bisschen
Schönklang abfällt, umso besser.
Der Schriftsteller Frank Schulz, stelle ich mir vor, hätte das bisher
jederzeit unterschrieben, und er hätte dafür sicher seine eigenen Worte
gefunden. Auch in seinem neuen Band „Anmut und Feigheit“ mit Erzählungen,
diesem „Prosa-Album über Leidenschaft“, geht sein Verbaleros immer mal und
wieder mit ihm durch. Man lernt, wie in allen seinen Büchern zuvor, viele
neue Worte und Wörter – fach- und sondersprachliche, dialektale und
Neologismen: „Faszienrolle“, „Kleinhirnschenkel“, „Philtron-Kerbe“,
„Verböserung“, „blablaistisch“, „Kwashiorkor“, „einen feuchten F…
arabische Brille aufsetzen“, den „Warzensinn des Wortes“, „korfiotisch�…
„Endverschrullung“, „Eierkontrollgriff“, „Rippelmarken“, „Bamsefa…
„Puttenärsche im Russenpuff von Oberursel“ und so fort.
Manchmal könnte man fast den Eindruck bekommen, die vielen schönen Begriffe
stünden eigentlich am Anfang, die Geschichten wären nur geschrieben worden,
um ihnen endlich eine literarische Heimstatt zu geben. Aber das klingt viel
zu negativ und wird der Qualität zumindest der meisten dieser Stücke nicht
gerecht. Allerdings scheint der sprachliche Aufwand hier in einem umgekehrt
proportionalen Verhältnis zur persönlichen Beteiligung und Einfühlung des
61-jährigen Schriftstellers zu stehen.
Je weniger seine Protagonisten Schulz anfassen, je entfernter sie ihm sind,
desto höher scheint er den Sprachradiator aufdrehen zu müssen, um trotzdem
Leben in die Bude zu bekommen. So überraschend ist das auch wieder nicht.
Wusste man nicht immer schon, selbst beim Opus magnum, dem Roman „Morbus
fonticuli“, wann sich Schulz gerade etwas ausdachte und wann er hart an
seiner Biografie entlang schrieb? Und hat man seine Bücher nicht schon
immer für ihren expressiven Furor und Dialogwitz verehrt, aber noch mehr
geliebt für ihr nostalgisches Sentiment, dem man jederzeit anmerkte, dass
es der Autor eben nicht imaginiert, sondern mit jeder Faser selbst
empfunden hatte?
## Mit prallen roten Backen
In den Romanen waren diese beiden Qualitäten allerdings stärker miteinander
verschränkt. In seinen Erzählungen sowohl der ersten Sammlung „Mehr Liebe“
als auch jetzt in „Anmut und Feigheit“ erscheinen sie deutlicher
voneinander geschieden. Die sprachlich outrierteste, anstrengendste und
bisweilen auch unverständliche Geschichte, „In Kanada läuft das Wasser
bergauf“, porträtiert einen durchgeknallten Raser mit psychopathischen
Zügen. Schulz bekommt diesen Charakter nicht richtig zu fassen, die
avancierte Sprache soll es richten und stellt sich dabei vor das Erzählte.
Kein Wunder, am besten war Frank Schulz ohnehin immer dann, wenn er Figuren
mit prallen roten Backen aufs Blatt warf, in die man sich verlieben konnte
oder mit denen man zumindest befreundet sein wollte: Onno Viets, dessen
Frau Edda, Bodo Morten, Bärbel, Anita, Satschesatsche, Kolki, dessen rüde
Schwester Karin und so fort – eben die Protagonisten seiner Romane. Und
natürlich haben die es jetzt leichter. Gerade das Personal des Schulz’schen
Hauptwerkes, der „Hagener Trilogie“, ist einem so ans Herz gewachsen, dass
man ihm von vornherein mehr Empathie entgegenbringt und sich wie ein
Serienjunkie auf jeden weiteren Auftritt freut.
Für die Schnapsidee, sein Alter ego Bodo „Mufti“ Morten unter die Erde zu
bringen, wird sich Schulz auf den nächsten Lesungen wohl einiges anhören
müssen. Allerdings zeigt Morten mittlerweile tatsächlich
Ermüdungserscheinungen, von denen man vermuten darf, dass es auch die des
Autors sind. „Er bestreitet Gott je entschiedener, desto älter er wird.
Sein Glaube heißt poetischer Realismus“, steht noch in der Erzählung
„Nachts im Nichts“, die 2006 spielt. In „Der Ritter von der Rosskastanie�…
sieben Jahre später datiert, stellt er „verdutzt und ratlos und schließlich
traurig fest, dass mir auch der Glaube“ an das Schreiben „abhandenzukommen
drohte“.
Vielleicht sind Mortens allmähliche Desillusionierung und sein
schließlicher Tod (Grabsteinspruch: „Er war ein fairer Verlierer“)
Indikatoren für eine neue Werkphase des Autors. Und vielleicht sollte man
auch gar nicht traurig darüber sein, denn die beiden Texte, die „Anmut und
Feigheit“ einen Rahmen geben und dabei einen neuen Ton anschlagen, insofern
vielleicht anzeigen, wohin Schulzens sentimentalische Reise jetzt gehen
könnte, gehören zum Besten, was man zuletzt von ihm lesen konnte. Sie
kommen ohne Fiktionalisierung aus. Es sind einfühlsame, miteinander
korrespondierende Liebeserklärungen an seine Eltern.
## Poetische Trauerrede
In „Mamapapamamapapa“ rekapituliert er, offenbar gestützt auf Interviews
mit seinem Vater, dessen allmähliches An- und Fortkommen als
Flüchtlingskind in der Bundesrepublik, die Klempnerlehre, die
Wochenenauftritte als Schlagzeuger in einer Tanzband – eine
kleinbürgerliche Sozialisation auf dem Dorf in den frühen Fünfzigern. Die
Geschichte endet mit dem „Wunder von Hagen“, dem Kennenlernen der beiden
Eltern.
„Rotkehlchen“ dagegen, die erste dieser beiden privathistorischen
Exerzitien, ist ein erschütterndes Klagelied. Die Mutter stürzt schlimm und
verletzt sich tödlich. Schulz beschreibt schmerzhaft intim, quälend
detailgenau den kurzen Todeskampf der Mutter, die Verwirrung, Verzweiflung,
Wut, das ganze Grauen der Angehörigen, nicht zuletzt des Vaters, und die
anschließende Schattenwelt der Trauer. Man wird hier ungefragt Zeuge, wie
es diesen Menschen das Herz bricht, und ohne sich auch nur einen Moment wie
ein Voyeur vorzukommen, möchte man sie alle in den Arm nehmen.
Frank Schulz rapportiert seine Skrupel über die „ganze Unschicklichkeit,
Ungehörigkeit“ seines Berufes gleich mit, fragt sich, ob er dieses
familiäre Leid literarisch ausschlachten darf und warum er es überhaupt
will. Er findet so recht keine Erklärung dafür. Als Leser fällt die Antwort
womöglich leichter: Weil so eine poetische Trauerrede letztlich doch auch
eine Tröstung bereithält, die den „Glauben“ an die Literatur weiterhin
rechtfertigt. Das gehört zu den kaum erklärlichen, metaphysischen
Qualitäten von Kunst. Die poetologischen Bedenken des Autors haben jedoch
Spuren in der Feinstruktur hinterlassen. Schulz verzichtet ganz auf
Amplifikation und rhetorische Effekthascherei. Diese Prosa übt sich in
demütiger Schlichtheit. Die Sätze sind mitunter fast ungelenk. Ein
Regenschirm bleibt ein Regenschirm. Und trotzdem hat man nie einen Zweifel
daran, dass es sich hier um große Literatur handelt.
21 Oct 2018
## AUTOREN
Frank Schäfer
## TAGS
Erzählungen
Osnabrück
Generationen
Plagiat
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