| # taz.de -- Die Wahrheit: Wie ein bayerischer Orkan | |
| > Am Donnerstag wäre Horst Tomayer 80 Jahre alt geworden. Eine Erinnerung | |
| > an den Schwerdichter, Fahrradfürst und Urschauspieler. | |
| Bild: Horst Tomayer mit den Wahrheitistas Ringel und Rönneburg (r.) | |
| Am Donnerstag, dem 1. November 2018, wäre Horst Tomayer 80 Jahre alt | |
| geworden. Aus diesem Grund erinnert die Wahrheit an den vor fünf Jahren | |
| verstorbenen einzigartigen Schauspieler, leidenschaftlichen Radfahrer und | |
| energischen Dichter, der jahrelang auch für diese Seite seine | |
| außergewöhnlich wuchtigen Verse schmiedete. | |
| Im Sommer 1987 besuchte Horst Tomayer die Redaktion des Hamburger | |
| Satiremagazins Kowalski. Als frisch aus der Provinz rekrutiertem | |
| Jungredakteur hatten mir die Kowalski-Kollegen den Besucher vorab als einen | |
| stadtbekannten Kauz, stets kurzbehosten Krakeeler und zuweilen recht | |
| anstrengenden Nervensäger geschildert, den man aber seiner „witzigen | |
| Schreibe“ wegen unbedingt als Mitarbeiter gewinnen wollte. Als Horst dann | |
| in den Redaktionsräumen erschien, trug er tatsächlich kurze Hosen und | |
| überdies ein Rennrad über der Schulter, erwies sich jedoch als überhaupt | |
| nicht aufdringlicher oder nervtötender Schwadroneur. Ich erlebte ihn als | |
| eher sanften, leisen, dem jungen Kollegen neugierig zugetanen freundlichen | |
| Mann, der mir, angeregt durch meinen Vornamen, auf eine sehr anrührende | |
| Weise von der großen Zuneigung zu seinem lange verstorbenen Vater Fritz | |
| beziehungsweise seinem „Vati“, wie er ihn ganz ungeniert zärtlich nannte, | |
| erzählte. | |
| Horst Tomayer hat nie ein Wort für Kowalski geschrieben. Erst als ich Jahre | |
| später zum Witzfernsehen wechselte, ergab sich die Gelegenheit zur | |
| regelmäßigen Zusammenarbeit mit diesem einzigartigen Kollegen. Ursprünglich | |
| wollte ich Ernst Kahl als Darsteller für jenen Dreiminüter gewinnen, den | |
| ich 1994 zusammen mit meinem Kollegen Michael Höft für „Extra Drei“ dreht… | |
| Doch Ernst hatte keine rechte Lust. Und als er die Gage genannt bekam, auch | |
| plötzlich keine Zeit mehr. Er sagte: „Fragt mal den Tomayer! Der macht das | |
| bestimmt!“ | |
| Als Horst zum Dreh erschien, hatten wir zunächst einen Heidenrespekt vor | |
| dem damals bereits gestandenen Ottofilm- und Fernsehserienprofi; dies um so | |
| mehr, als wir ihm nach den ersten hingewurschtelten Aufnahmen gestehen | |
| mussten, überhaupt keinen rechten Plan für unseren Film zu haben. Dazu | |
| streikte immer wieder die Technik. Kurzum: Es war mehr ein Chaos als ein | |
| Dreh, aus dem jeder andere längst ausgestiegen wäre – und trotzdem die | |
| Rechnung geschickt hätte. Nicht so Horst Tomayer. Als unsere Planlosigkeit | |
| allmählich drohte in Verzweiflung umzuschlagen, hieß er uns, das | |
| nächstbeste Lokal anzusteuern, wo wir uns – „bei einem Getränk nach Wahl | |
| und einem Imbiss, was beides selbstverständlich auf mich geht“ – besprechen | |
| sollten, um dann mit neuen Kräften den Dreh frisch anzugehen. Und so | |
| geschah es, und wir brachten noch ein ansehnliches Filmchen zustande, in | |
| dem der von mittlerweile drei Dosen Bier inspirierte Horst brillierte. | |
| Wann immer sich nun eine Rolle für Horst anbot, fragten wir ihn. Und er | |
| lehnte nur selten ab. „Ich biet mal was an“, lautete für gewöhnlich seine | |
| Ansage, wenn er dann – „tock, tock, tock!“ – vor der Kamera ein, wie er… | |
| selbst gern auslobte, „Spitzenmaterial“ lieferte. | |
| Unmöglich, hier alle Filme zu skizzieren, die Horst für uns adelte. | |
| Unbedingt erwähnen will ich aber „Hitler privat“, eine Parodie auf eine | |
| dieser Hitlereien à la „Spiegel TV“. Horst gab darin einen ehemaligen | |
| Angehörigen der SS-Leibwäschestandarte Adolf Hitler. Ein Film, der nur | |
| deshalb rechtzeitig fertig werden konnte, weil uns Horst, in unserer akuten | |
| Raum- und Zeitnot, kurzentschlossen dazu einlud, einige Passagen in seinem | |
| Einraumapartment zu drehen. | |
| Dieses Angebot kann in seiner Großzügigkeit nur ermessen, wer weiß, wie | |
| sehr Horst auf die Wahrung seiner Privatsphäre bedacht war. Wenn man | |
| außerdem weiß, dass – noch während wir alle Mann das beengte Apartment | |
| enterten –, die großformatige Milchglasscheibe seiner Zimmertür zu Bruch | |
| ging, wird man sogar vom Edelmut Tomayers sprechen müssen, zumal er sich | |
| hinterher beharrlich weigerte, den immensen Glasschaden durch uns beheben | |
| zu lassen. Noch Wochen später berichtete er vergnügt, dass er immer noch | |
| einzelne Splitter aus irgendwelchen Ecken klaube. Die offene Türfüllung | |
| aber hatte er da längst mit einem Pappkarton vernagelt, und dieses | |
| Provisorium blieb bis zu seinem Tod die von ihm favorisierte Lösung. | |
| In die offiziellen Rechnungen, die Horst uns schrieb, rückte er häufig | |
| Sätze wie diesen ein: „Diese Rechnungslegung verbinde ich mit dem Dank für | |
| Ihre bisherigen Engagierungen meinerwärz und dem Ausdruck der Hoffnung auch | |
| künftiger Einteilung meiner Wenigkeit in Ihre teils hochgeachteten, teils | |
| bewunderten, teils einfach lediglich entzückenden Bildschirmhäppchen und | |
| -happen. Und freue mich demnächst gerne einmal wieder zu hören: Hotte, | |
| bitte zum Set!“ | |
| 31 Oct 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Fritz Tietz | |
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