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# taz.de -- Gewalt gegen Lehrer in Frankreich: Lange angestauter Ärger
> Unter dem Hashtag #PasDeVague berichten immer mehr Lehrer in Frankreich
> von Gewalt und Beschimpfungen durch Schüler. Und von ihrer Isolation.
Bild: Knarre an den Kopf der Lehrerin: Ein Video von dieser Schule brachte das …
Paris taz | Es ist ein Donnerstag. In dem Pariser Vorort Créteil hält ein
16-jähriger Schüler eine sehr echt aussehende Druckluft-Pistole an den Kopf
seiner Lehrerin und blafft: „Tragen Sie mich abwesend ein. Nein, tragen Sie
mich anwesend ein.“ Ein Schüler läuft ins Bild und zeigt beide Mittelfinger
in die Kamera.
Das [1][Video], das seitdem in sozialen Netzwerken mit und ohne verpixelte
Gesichter zirkuliert, war der Tropfen, der das Fass für viele Lehrer in
Frankreich zum Überlaufen brachte. Genug verbale, genug körperliche Gewalt!
Unter dem Hashtag [2][#PasDeVague], keine Welle, twittern seitdem Lehrer
über ihre Erfahrungen mit Gewalt in Schulen. Und darüber, wie wenig ihnen
von Seiten der Schulleitungen geholfen wird.
Denn „Pas De Vague“, bloß keine Wellen schlagen, keine Aufmerksamkeit auf
sich ziehen, das bekommen französische Lehrer oft in verschiedenen
Versionen zu hören. Eine Französischlehrerin twittert: „Ich unterrichte bei
offener Tür, ein Schüler läuft vorbei und schreit vom Gang aus,Frau M.,
dreckige Schlampe!' Erste Reaktion des Schulleiters:,Sie haben sich
vielleicht verhört. Er erzählt nämlich eine andere Version der Geschichte.'
Ein Glück hatte ich ein dutzend Schüler als Zeugen.“ In ihrem Tweet
verlinkt die Lehrerin neben dem Hashtag auch den französischen
Bildungsminister Jean-Michel Blanquet.
Eine andere Lehrerin schreibt: „Ich wäre gerne unterstützt worden, als ein
Schüler vor ein paar Jahren im Schulgang auf mich eingeschlagen hat. Aber
der Disziplinar-Rat hat ihn nicht mal mehr ausgeschlossen. Man sagte mir,
ich solle mir solche Sachen weniger zu Herzen nehmen.“
## Angst ums Image: Schulleiter vertuschen die Vorfälle
Viele der Tweets unter dem Hashtag „Pas De Vague“ erzählen kurze Anekdoten,
darüber wie Lehrer beschimpft oder sogar tätlich angegriffen wurden. Für
Mitgefühl für die Schicksale der Schüler ist da kein Platz. Dafür ist die
Wut auch schon zu lange da.
Béatrize, Lehrerin in dem 90 Kilometer von Paris entferntem Vorort Provins,
kann lange über sie sprechen. Ihr Departement kämpft mit den gleichen
Problemen wie Créteil. Armut, Verwahrlosung, fehlende Mittel.
Als Mitglied der linken Gewerkschaft SUD Éducation hat sie etliche Briefe
an Rektoren, Staatssekretäre und Ministerien geschrieben. Doch nicht nur
ihr Département ist betroffen. „Das strukturelle Problem ist, dass die
Leiter der Schulen die Funktion eines Unternehmenschefs innehaben. Sie
klettern die Karriereleiter hoch, wenn in ihrem Etablissement alles gut
läuft und es so wenig wie möglich Vorfälle gibt. Deswegen empfehlen sie
manchen Lehrern, ihre Auseinandersetzungen zu berichten. Den meisten raten
sie aber ab, weil es für sie und ihre Schule einen schlechten Ruf
bedeutet.“
Béatrize spricht von Suiziden unter Lehrern, von immer wieder versprochenen
aber nicht umgesetzten Maßnahmen, von Geldern, die nicht bewilligt wurden
und fehlenden Sozialhilfskräften. Gerade in den umliegenden Départements
Seine Saint-Denis und Val-de-Marne wechseln Lehrer häufig die Schulen.
Warum? „Weil es hier einfach schwierig ist. Den Kindern geht es oft nicht
gut. Manche bringen noch ganz andere soziale Probleme mit. Ich spreche von
Drogenhandel, Armut, Prostitution. Da gibt es schwierige Fälle.“
## Viele Kollegen fühlen sich isoliert
Doch gerade der häufige Wechsel der Lehrer an andere Schulen ist Teil des
Problems. Denn Lehrer, die mehrere Jahre mit einem gut funktionierenden
Team zusammenarbeiten, fühlen sich weniger isoliert und treten gegen
Aggressionen von Schülern anders auf. „Ich sehe die jungen Lehrer an meiner
Schule“, meint Béatrize. „Sie wissen, dass es der Schule nicht gut geht und
fühlen sich schuldig, wenn sie etwas sagen. Viele meiner Kollegen fühlen
sich isoliert und alleine gelassen. Sie bekommen keinen Rückhalt vom
Institut.“
Noch so ein strukturelles Problem. Denn gerade die Départements Seine
Saint-Denis und Val-de-Marne, in dem Créteil liegt, müssen viel öfter als
Schulen in Paris und besser gestellten Vororten auf Aushilfslehrer oder
jüngere Lehrer zurückgreifen. Die haben oft weniger Erfahrung, sind
teilweise weniger qualifiziert. Das wirkt sich auf die Schulnoten der
Schüler aus.
Tatsächlich steigt die Gewalt in französischen Schulen gar nicht an, wie
eine Studie von 2013 zeigt. 18.000 Unterrichtende wurden dazu in ganz
Frankreich befragt. Der Soziologe und Co-Autor der Studie, Benjamin
Moignard von der Universität Paris-Est-Créteil, erklärte der Zeitung Le
Monde, dass nur 1 Prozent der Lehrer schon mal tätlich angegriffen wurden,
ein Drittel jedoch Beschimpfungen aushalten musste.
Die Zahlen verbaler und körperlicher Gewalt, so Moignard, stagnieren seit
den 2000er Jahren. Doch auch er sieht das Problem: „Dass die Lehrerin erst
Anklage erhoben hat, als das Video im Netz war, daraus sollte wir
vielleicht schließen, dass sie sich – zu Unrecht oder nicht – isoliert
fühlt, wie viele ihrer Kollegen“.
Frankreich muss jetzt eine Lösung finden, wie es auf dieses uralte Problem
der sozialen Ungleichheiten antwortet, ohne dabei wieder in alte Muster zu
fallen. (Mehr Sanktionen anstatt effizienter Förderungen.) Die
Staatssekretärin des Bildungsministeriums Gabriel Attal kündigte an, mehr
Transparenz zu schaffen und Sanktionsschritte auf Ihre Effizienz zu
überprüfen. Denn jeder weiß: Wellen werden, je länger sie sich aufbauen,
immer größer.
26 Oct 2018
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=my3OF0W3mGw
[2] https://twitter.com/search?q=%23PasDeVague&src=typd
## AUTOREN
Klara Fröhlich
## TAGS
Schwerpunkt Frankreich
Bildung
Gewalt in der Schule
Kolumne Stadtgespräch
Homophobie
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