# taz.de -- Roman „Das Birnenfeld“: Die Normalität der Abgeschobenen | |
> Lelas Zuhause ist ein georgisches Kinderheim. Ihre Perspektive gewährt | |
> intime Einblicke in ein System aus Gewalt und Erniedrigung. | |
Bild: Nana Ekvtimishvili erzählt in ihrem Roman auch von ihrer eigenen Heimat | |
In der von sozialistischen Einheitsbauten gesäumten Kertsch-Straße am Rand | |
der georgischen Hauptstadt kennt man das benachbarte Internat nur als | |
„Debilenschule“. In knapper, sehr bildhafter Sprache erzählt die in Tiflis | |
aufgewachsene Autorin und Filmemacherin [1][Nana Ekvtimishvili] in „Das | |
Birnenfeld“ von dem Leben an diesem abseitigen Ort. | |
Denn für die benachteiligten Schüler der Anstalt fühlt sich nach dem Ende | |
der Sowjetrepublik, Mitte der neunziger Jahre niemand zuständig. | |
Wie die meisten der Kinder dort weiß auch Lela nicht, wie sie in das Heim | |
kam und wer ihre Mutter ist. Inzwischen ist sie die älteste und stärkste | |
der Bewohner. | |
Nun hat die Achtzehnjährige die Stelle des Parkplatzwächters an der Schule | |
übernommen. Mit burschikoser Fürsorge kümmert sie sich besonders um den | |
neunjährigen Irakli. Der leidet unter der Trennung von seiner Mutter, die | |
ihn am Telefon immer nur vertröstet und irgendwann ohne Abschied nach | |
Griechenland verschwindet. | |
## Von der Gesellschaft isoliert | |
Für Lela kommen und gehen die Bewohner des Internats. Über einige der | |
ehemaligen Heimkinder kursieren heldenhafte Geschichten, andere sollen beim | |
Betteln am Bahnhof gesehen worden sein. Als der kleine Sergo für die | |
Internatsdirektorin Zizo mit einem Kleid zur Kioskbesitzerin rennt, wird er | |
auf der Straße von einem Auto überfahren. Der Fahrer kommt für die | |
Beerdigung des Jungen auf, und eine Nachbarin kommentiert das anerkennend: | |
„Ein anderer hätte sich nicht mal nach ihm erkundigt“. | |
Aus Lelas Perspektive und mit deren stoischer Haltung verfolgt | |
Ekvtimishvili in ihrem Romandebüt die Ereignisse auf dem Internatsgelände | |
zwischen Badehaus, Hauptgebäude und den Wohnblöcken der Nachbarschaft. | |
Erwachsene scheinen in der Welt der Heimkinder keine tragende Rolle zu | |
spielen. | |
Und umgekehrt nimmt die Außenwelt wenig Notiz von ihnen. So sind sie | |
weitgehend sich selbst überlassen und handeln nach ihren eigenen, erprobten | |
Gesetzen. | |
Nur Lelas unbändige Wut kontrastiert gleich zu Beginn der Handlung den | |
eingespielt wirkenden Internatsalltag: „Ich töte Wano.“ Obwohl die Autorin | |
die Hintergründe für den Plan erst im Verlauf der Erzählung durch kurze | |
Rückblenden offen legt, öffnet Lelas Mordfantasie sehr bald den Blick auf | |
ein System aus Gewalt und Erniedrigung, das die abgeschobenen Kinder als | |
Normalität kennengelernt haben. Dieser Realität begegnen sie mit Brutalität | |
genauso wie mit Mitgefühl. | |
10 Oct 2018 | |
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[1] /Autorin-Ekvtimishvili-ueber-Georgien/!5538067 | |
## AUTOREN | |
Eva-Christina Meier | |
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