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# taz.de -- Ausrichtung der Grünen: Die Möchtegern-Liberalen
> Sind die Grünen wirklich eine liberale Partei? Bundesgeschäftsführer
> Michael Kellner warnt vor einer „selbstgewählten Verzwergung“.
Bild: Sehen die Grünen als linksliberale Kraft: Parteichefs Robert Habeck und …
Berlin taz | Vielleicht sollte die Grünen misstrauisch machen, dass es
ausgerechnet Sigmar Gabriel war, der sie zu den neuen Liberalen erklärte.
Nicht die FDP, sondern sie seien „die eigentlichen Erben des Liberalismus
im besten Sinn des Wortes und die eigentlich liberale Partei in
Deutschland“, gab der damalige SPD-Chef im Frühjahr 2013 zu Protokoll.
Wer Gabriels Hang zu abgründiger Bosheit kennt, schmeckte sofort das Gift,
das in dem Lob steckte. Schließlich steht der Liberalismus in Deutschland
unter dem fortgesetzten Verdacht der Beliebigkeit. Und auch das Erbe der
FDP wirkte damals nicht wirklich attraktiv. Die Ära Guido Westerwelle wurde
am ehesten mit obszönen Steuernachlässen für Besserverdiener verbunden.
Sind die Grünen also eine liberale Partei? Eine Öko-FDP mit
Weltrettungs-Gen? Fest steht: Sie haben immer mal wieder damit
geliebäugelt, in diese Lücke zu stoßen.
2014 veranstaltete die Fraktion einen Freiheitskongress, auch, um das
Veggieday-Trauma abzuschütteln. Plötzlich schrieben Grüne besinnliche
Papiere darüber, was sie unter Freiheit verstehen. Ein Hintergedanke war,
in der Wählerschaft der aus dem Bundestag geflogenen FDP zu wildern.
## Suche nach der grünen Erzählung
Die alte Debatte flackert nun neu auf. Anlass ist eine Tagung der
Heinrich-Böll-Stiftung am Freitag und Samstag, bei der es um die grüne
Erzählung gehen soll. Also um eine eingängige Story, mit der die Partei die
Öffentlichkeit von sich überzeugen will.
Linke Grüne ärgern sich über den Fokus des Thinktank-Treffens auf
Liberalität. „Was kann ein grüner Linksliberalismus dazu beitragen, die
offene Gesellschaft zu verteidigen?“, hieß es zum Beispiel in der
Einladung. Und ein Gespräch am Freitagabend ist überschrieben mit der
suggestiv formulierten Frage: „Eine Erzählung von der politischen Freiheit:
Nicht links, nicht liberal, sondern linksliberal?“ Referieren werden dazu
der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit und die Fraktionsgeschäftsführerin
Britta Haßelmann.
Dem Politischen Bundesgeschäftsführer Michael Kellner ist das zu viel des
Lobes für den Liberalismus. „Die Verengung der Grünen auf den Begriff des
Linksliberalismus wäre eine selbstgewählte Verzwergung meiner Partei“,
sagte Kellner am Dienstag der taz. „Für mich klingt das nach alter Rest-FDP
und Bildungsbürgertum.“ Grün verbinde Ökologie mit Gerechtigkeit und
Selbstbestimmung und wende sich gegen autoritäre Geisteshaltungen. „Grün
ist die progressive Kraft und braucht keine abgelaufenen Etiketten.“
Mit dieser Kritik ist er nicht allein. Jürgen Trittin, der einflussreiche
Parteilinke, veröffentlichte Ende Juli eine böse Polemik gegen die
Böll-Stiftung. Darin dekliniert er durch, dass grüne Politik vieles ist –
aber nicht liberal. Wer die grüne Erzählung in eine liberale transformiere,
so das Argument, verzichte auf „die revolutionäre Idee der Ökologie.“
## Böse Polemik von Trittin
Den Grünen gehe es um die grundlegende Transformation des demokratischen
Kapitalismus, schreibt Trittin. Die Globalisierung müsse so reguliert
werden, dass Meere, Atmosphäre, Artenvielfalt auch künftigen Generationen
global gleiche Lebenschancen böten. „Dafür muss ein zerstörerischer
Wachstumszwang überwunden werden“, argumentiert Trittin. „Dies wird nur mit
mehr Gleichheit gelingen. Ein solches Programm ist nicht liberal.“
Kurz: Wer für Ökologie kämpft, muss sich mit dem Kapitalismus anlegen. An
diesem Prinzip ist nicht zu rütteln, ob es nun die Betrugsskandale der
Autoindustrie sind, die Auswüchse der industriellen Landwirtschaft oder die
der Finanzmärkte. Und mit dem Liberalitätsbegriff einer FDP, die auf freie
Märkte setzt, hat das nichts zu tun. Mit Christian Lindners Kurs geht
Trittin sowieso hart ins Gericht: In der FDP habe sich die Linie, mit einem
wirtschaftsliberalen Rechtspopulismus zu liebäugeln, „weitgehend
durchgesetzt“.
Trittins Beitrag, in der Sommerpause platziert, erntete wenig
Aufmerksamkeit. Auffällig war aber, dass Reinhard Bütikofer auf Twitter der
Kernthese zustimmte, grün sei nicht liberal. Bütikofer, der erfahrene Chef
der Europa-Grünen, gehört zum Realo-Flügel und liegt oft mit Trittin
überquer. Dieses Mal wies er darauf hin, dass Sigmar Gabriel die Grünen
zuerst liberal genannt habe. „Um uns zu bekämpfen.“
Die Böll-Stiftung verteidigt sich gegen den Vorwurf, die Grünen auf
Linksliberalismus zu verengen. Das Panel schließe an die Formulierung von
Parteichef Robert Habeck an, die Grünen zur „führenden linksliberalen
Kraft“ machen zu wollen, sagte Referent Ole Meinefeld, der die Tagung
mitkonzipiert hat. „Die Art der Verbindung von Gleichheit und Freiheit ist
eine der entscheidenden Herausforderungen für jede progressive Politik –
auch mit Blick auf die möglichen Wertehaltungen zur Ökologie.“ Außerdem
gebe es Panels zu Demokratie, sozialer Teilhabe und Ökologie.
Kritik an Habeck?
Nun könnte man das Ganze abtun als Ärger über eine mittelwichtige Tagung,
die sich an ein kleines Fachpublikum richtet. Doch dass ein
Bundesgeschäftsführer und Vorstandsmitglied die eigene Parteistiftung
kritisiert, ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Darin drückt sich wohl auch
grundsätzliche Kritik an der Böll-Stiftung aus. Sie steht bei linken Grünen
unter permanentem Verdacht, die Partei in die bürgerliche Mitte rücken zu
wollen. Es sei ärgerlich, dass die Stiftung ihre Ressourcen nicht anders
nutze, heißt es bei Linksgrünen.
Außerdem könnte die Kritik an der Veranstaltung indirekt auch auf Habeck
zielen. Jener betont das Liberale auffällig, wenn er die Grünen verortet.
„Ich würde links immer mit liberal kombinieren“, sagte er im Mai der Zeit.
Manchmal äußern sich die ersten Warnschüsse bei scheinbaren
Nebensächlichkeiten.
26 Sep 2018
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
Bündnis 90/Die Grünen
Antje Kapek
Schwerpunkt Türkei
Annalena Baerbock
Rechtsextremismus
Lesestück Recherche und Reportage
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