# taz.de -- Die Wahrheit: Puscheliges St. Georg | |
> Die Georgien-Woche der Wahrheit: Zu Recht ist der Hamburger Stadtteil in | |
> diesem Jahr endlich Partner der Frankfurter Buchmesse. | |
Als Gastland bei der Frankfurter Buchmesse wurde diesmal, wie schon lange | |
von mir gefordert, Hamburg-St. Georg eingeladen. Damit bringt es ein oft | |
unterschätzter Stadtteil endlich zur verdienten Würdigung. Er ist vorne | |
geleckt und hinten schietig, wie das Leben, die Buchmesse und die ganze | |
übrige Welt auch. | |
Die Kulturschaffenden überschlagen sich angesichts des georgischen | |
Messezeitalters vor Begeisterung, weil sie auf niedliche, kleine, | |
puschelige, unterdrückte Gastländer stehen. Nur dafür können sie | |
Engagement-Punkte einheimsen, die ihrer DeutschlandCard gutgeschrieben | |
werden, womit auch erklärt wäre, warum die Vereinigten Staaten von Amerika | |
in Frankfurt keine Chance haben. | |
Die jahrzehntelange hanseatische Besatzung konnte den 10.000 Einwohnern des | |
zwischen Außenalster und Hauptbahnhof hübsch gelegenen Stadtteils St. Georg | |
nichts anhaben, sie überlebten tapfer in ihrer Enklave des | |
Lumpenproletariats mitten in der feinen Hansestadt. Der Urbevölkerung war | |
es verboten, die Muttersprachen Sanktisch und Georgisch zu sprechen, beides | |
übrigens interessante Varianten des Niederhochaltdeutschen, die sich nur in | |
dem winzigen Areal bis 1990 erhalten konnten. Inzwischen müssen beide | |
Dialekte als ausgestorben gelten. St. Georger sagen heute, nach der | |
gelungenen Durchkapitalisierung, gar nichts mehr außer: „Hier ist Ihre | |
Rechnung.“ | |
Es kann nicht verwundern, dass die angestammten Berufe in diesem uralten | |
Siechenviertel ebenfalls der Vergangenheit angehören: Die schwierige | |
Ausbildung zum Pestkranken wollte schon seit 500 Jahren niemand mehr | |
antreten. In der Neuzeit wurde sie durch das Gentrifizierer-Diplom | |
abgelöst, das in der einzigen Universität des Viertels großzügig verteilt | |
wird. Drogenhändler und Körperteilverkäuferinnen treten allmählich den | |
Rückzug ins 20. Jahrhundert an, wo sie hingehören, weil sie durch das | |
Internet obsolet wurden (alles wegen Porno). | |
Der berühmteste Sohn dieses seltenen Stadtteils ist der unvergessene Hans | |
Albers, der in der „Langen Reihe“, der bekanntesten Straße St. Georgs, | |
geboren wurde. Das wäre heute nicht mehr möglich (wegen Internet und | |
Porno). Doch wurde er trotz „La Paloma“ niemals zum Kulturbotschafter des | |
Viertels gewählt, weil er sich gegen den großen, unliebenswürdigen Götz | |
George nicht durchsetzen konnte. Götz George muss seit einigen Jahren | |
ebenfalls als ausgestorben gelten, da Versuche der Nachzüchtung mit | |
Anabolika, Internet und Porno misslangen. Hans Albers segelte dagegen schon | |
vor Urzeiten auf der „Padua“ davon. | |
Literarisch vermag der ambitionierte Stadtteil einiges: „Gayles St. Georg | |
Spezial“ (Sonder-edition für 3,99 Euro) wird das Frankfurter Publikum | |
ebenso zum Sieden bringen wie die Kochbücher „Die hundert besten | |
Alsterwasser-Rezepte“ (Verlag Käpt’n Prüsse) und „Wie ich lernte, gefü… | |
Därme zu lieben“ (Würstchenbude Hauptbahnhof). Wir wünschen eine spannende | |
Buchmesse. | |
10 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Susanne Fischer | |
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