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# taz.de -- „Säuberungsbrigade“ in Katalonien: Die Bändchenabschneider
> In Katalonien hinterlassen Unabhängigkeitsaktivisten gelbe Schleifen.
> Unterwegs mit deren Gegnern, die sich provoziert fühlen und sie
> entfernen.
Bild: In den frühen Morgenstunden machen sich die Gruppen auf den Weg
Canet de Mar taz | Die Szene wirkt wie ein Bild der alten Meister. Ein
Dutzend weiß gekleideter, völlig vermummter Gestalten mit Messern und
Sicheln ziehen im spärlichen Licht der Kirchenbeleuchtung die Allee von
Canet de Mar hinunter. Die Gestalten sind in den katalanischen Badeort
gekommen, um die gelben Bänder zu entfernen, die Befürworter der
Unabhängigkeitsbewegung an Bäume und Zäune gebunden haben. Gelb steht für
die Solidarität mit den Politikern und Aktivisten, die im Laufe des letzten
Jahres wegen Rebellion inhaftiert wurden oder, wie der ehemalige
katalanische Regierungschef Carles Puigdemont, im Ausland leben, um
ebendiesen Schicksal zu entgehen.
„Säubern“ – „aufräumen“- „dekontaminieren“ nennen die Vermummte…
sie da machen. Deshalb haben sie die weißen Anzüge, die Brillen und
Atemschutzmasken gewählt, die einst auch diejenigen trugen, die nach einem
Tankerunglück Spaniens Nordwestküste säuberten.
## Unruhige Brigade
Es ist morgens um halb drei am 11. September, dem katalanischen
Nationalfeiertag „La Diada“. Sie heißen Natali, Deray, Paco, José Manuel …
zumindest nennen sie sich so. „Nachnamen gibt es keine, aus
Sicherheitsgründen“, erklärt einer von ihnen, der nicht einmal will, dass
ein Radiojournalist seine Stimme aufnimmt. „Danach identifizieren sie mich
und verfolgen mich“, fügt er hinzu. „Sie“, das sind die Befürworter der
Unabhängigkeit, die „Independendistas“.
Die Truppe nennt sich „Säuberungsbrigaden“. Ihr Anliegen: „Der öffentli…
Raum muss neutral sein.“ Deshalb sammelten sie „den gelben Müll“ ein. �…
Liebe zu Spanien und der Verfassung“, sagt eine Frau, die sich als Viki
vorstellt, angeblich 63 sei und als Wohnungsmaklerin arbeite.
Die Aktion begann drei Stunden zuvor auf einer abgelegenen Tankstelle
unweit der Autobahn in Mataró, einer Stadt 30 Kilometer vor den Toren
Barcelonas. Niemand aus der Putzbrigade kommt direkt aus dem Ort. Sie sind
alle bis zu 20 Minuten angereist. Zwei von ihnen teilen die Truppe ein,
geben Anweisungen, wer Bändchen und Transparente schneiden darf und wer den
„gelben Müll“ anschließend einsammeln muss.
„Wir kommen aus unterschiedlichsten politischen Richtungen. Uns eint, dass
wir die spanische Verfassung verteidigen“, erklärt der Koordinator, der
sich als „Paco“ vorstellt, aber von allen „Manel“ gerufen wird. Er selb…
komme von den rechtsliberalen Ciudadanos (Bürgerpartei). Andere aus der
Gruppe kämen aus dem Umfeld der konservativen Partido Popular (PP) sowie
von Vox und Partit per Catalunya (Partei für Katalonien). Die beiden
Letzteren stehen so weit rechts außen, dass selbst der Chef der PP in
Katalonien, Xavier Albiol, selbst so etwas wie ein katalanischer Le Pen,
der Bürgerpartei Ciudadanos vorwirft, sich mit „Rechtsradikalen gemein zu
machen“.
Der Putzkoordinator freilich sieht darin kein Problem. „Wir alle lieben die
Verfassung und Spanien“, beendet er die unangenehme Fragerei. „Wir leben
hier wie die Juden im Nazideutschland“, fügt er noch hinzu. „Ständig
verfolgt.“ Die gelben Bändchen überall seien Zeichen eines autoritären
Konzeptes einer „Einheitsgesellschaft“ und ihnen deshalb verhasst.
Es sind die vor über zehn Jahren in Katalonien entstandenen Ciudadanos, die
hinter den „Säuberungsbrigaden“ oder „Gruppen für Verteidigung und
Widerstand“, wie sie sich auch nennen, stecken. Parteichef Albert Rivera
und die katalanische Parteiführerin Inés Arrimadas selbst ließen sich vor
wenigen Tagen beim Bändchenschneiden filmen.
Die Aktionen gegen die Farbe Gelb nahmen zu, als Ciudadanos in den Umfragen
unter Druck geriet. Nach dem spektakulären Ergebnis bei den katalanischen
Wahlen im vergangenen September, bei denen die Rechtsliberalen stärkste
Kraft wurden, stiegen sie auch im restlichen Spanien unaufhaltsam in der
Wählergunst. Parteichef Rivera sah sich bereits als kommender
Regierungschef in Madrid. Doch dann kam alles ganz anders.
Die gesamte Opposition, mit Ausnahme von Ciudadanos, stürzte Anfang Juni
mit einem Misstrauensvotum die konservative Regierung von Mariano Rajoy und
wählte den Sozialisten Pedro Sánchez in den Regierungspalast Moncloa –
unter ihnen auch die Abgeordneten der Unabhängigkeitsparteien Kataloniens.
Mit den Säuberungsbrigaden und mit Besuchen in kleinen Orten, in denen die
Befürworter der Loslösung von Spanien die überwältigende Mehrheit haben,
geriet die Partei Riveras wieder in die Schlagzeilen. In den Umfragen
verlieren sie dennoch stetig.
Was wie ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen denen aussieht, die gelbe Bändchen
in Solidarität mit den „politischen Gefangenen und Exilierten“ aufhängen,
und denen, die sie abschneiden, hat sozialen Sprengstoff. Immer wieder kam
es den Sommer über zu heftigen Wortgefechten und teils auch zu
Handgreiflichkeiten. Das ging so weit, dass im Juli ein Pkw über den
belebten Platz der Stadt Vich raste und dort mehrere Reihen von gelben
Kreuzen ummähte, die ebenfalls an die Gefangenen und Exilierten erinnerten.
„Wir können doch nicht von den gelben Schleifen zu schwarzen Schleifen
übergehen“, mahnte selbst der Vorsitzende der PP, Pablo Casado, in Madrid.
## Ruhige Nacht
Die Nacht der Säuberungstruppe sollte ruhig bleiben. Auch wenn sie bei
jedem Passanten, der den geparkten Pkws zu nahe kam, Independendistas
befürchteten, die sich „unsere Kennzeichen aufschreiben, um
herauszubekommen, wer wir sind“.
Ein Gruppe von Jugendlichen, die die frühen Morgenstunden eines
arbeitsfreien Feiertages auf einer Parkbank in Canet de Mar genoss, wurde
von der weißen Truppe überrascht. „Zuerst dachten wir, die würden die Bäu…
mit Pflanzenschutzmitteln besprühen, dann sahen wir die Kameras und
vermuteten Dreharbeiten für ein Musikvideo“, erklärt einer.
Erst dann stellten sie fest, dass es um das Abhängen der gelben Schleifen
ging. Wirklich verstehen kann das keiner: „Ich würde keine Schleifen
aufhängen, aber abhängen würde ich sie auch nicht. Schließlich herrscht
doch Meinungsfreiheit“, sagt einer von ihnen.
11 Sep 2018
## AUTOREN
Reiner Wandler
## TAGS
Katalonien
Unabhängigkeit
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