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# taz.de -- Prozess gegen Tierschützer: Keine Nothilfe für die Puten
> Massentierhaltung rechtfertigt keine Straftaten, meint das OLG Stuttgart.
> Tierquälerei sei wegen des Wunschs nach billigem Fleisch „sozial
> adäquat“.
Bild: Dicht an dicht: So müssen Puten zum Teil leben (Symbolbild)
Der Tübinger Tierschützer Jonathan Steinhauser, der in einem Putenstall die
Missstände der Massentierhaltung filmen wollte, ist jetzt rechtskräftig
wegen Hausfriedensbruch verurteilt. Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart
wies vorige Woche seine Revision zurück und bestätigte ein Urteil des
Landgerichts Heilbronn. Der Bundesverband der Geflügelwirtschaft begrüßte
die „Signalwirkung“ der Entscheidung.
Im Mai 2016 war Steinhauser in Ilshofen (bei Schwäbisch Hall) gemeinsam mit
zwei weiteren Aktivisten nachts in einen Putenmastbetrieb eingedrungen, um
dort Misstände zu dokumentieren. Nach Feststellung des Landgerichts
Heilbronn hatten sie den Betrieb zufällig ausgewählt, weil sie bei
Massentierhaltung stets mit verletzten Tieren rechneten. Als sie vor den
Ställen in Ilshofen mehrere Mülltonnen mit toten Puten entdeckten, fühlten
sich die Aktivisten in ihrem Vorhaben bestätigt. Eine Alarmanlage warnte
jedoch den Inhaber des Betriebs, der die Tierschützer überraschte.
Vor Gericht argumentierten die Aktivisten, ihr Handeln sei als Nothilfe für
die Puten rechtmäßig gewesen. Das ließ das Landgericht Heilbronn aber nicht
gelten, denn es liege schon kein rechtswidriger Angriff auf die Tiere vor.
Zwar sei „allgemein anerkannt, dass die Mast in Massentierhaltungen nicht
artgerecht erfolgen kann“ und dass Tieren dabei „auch Schmerzen und
Unwohlsein zugefügt“ werde, so die Richter.
Dennoch sei Massentierhaltung nicht verboten. Sie werde zumindest derzeit
noch als „sozial adäquat“ angesehen. Es sei „von der Mehrheit
gesellschaftlich erwünscht, dass große Mengen an Fleisch günstig angeboten
werden“. Dies sei ein „vernünftiger Grund“, der laut Tierschutzgesetz
erlaubt, dass Tieren Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden.
Zudem hätten die Aktivisten gar nicht versucht, den konkreten Puten zu
helfen, so das Landgericht Heilbronn. Denn sie hätten ja nur Filme drehen
wollen, um die Öffentlichkeit allgemein aufzurütteln. Die Tierschützer
müssten akzeptieren, dass die Massentierhaltung derzeit noch mehrheitlich
akzeptiert werde und dürften sich nicht mit Straftaten für ihre Abschaffung
einsetzen. Sonst drohe die Anarchie. Einbrüche in Tierställe seien
inzwischen ohnehin unnötig, schließlich gebe es schon genug Bildmaterial.
Das Landgericht Heilbronn verurteilte Steinhauser deshalb im Mai 2017 zu
einer Geldstrafe (25 Tagessätze à 10 Euro).
## Kein rechtfertigender Notstand
Steinhausers Fall steht deshalb im Mittelpunkt, weil er als einziger der
drei Tierschützer in Revision ging. Anwalt Hans-Georg Kluge legte dabei den
Begriff der „vernünftigen Gründe“ ganz anders aus. Der Mensch dürfe zwar
Tiere töten, um sie zu essen oder um sich gegen Angriffe zu wehren. Aber er
dürfe Tieren kein Leid zufügen, um möglichst billig Fleisch zu produzieren.
Rein ökonomische Gründe könnten Tierqualen nicht rechtfertigen. Weil 2002
der Tierschutz im Grundgesetz zum Staatsziel erklärt wurde, hält Kluge die
Auslegung des Landgerichts Heilbronn für völlig abwegig.
Doch das OLG Stuttgart hat nun die Revision in einem dürren zweiseitigen
Beschluss als „offensichtlich unbegründet“ zurückgewiesen. Das Landgericht
Heilbronn habe keine Rechtsfehler gemacht. Es gebe auch keine Abweichung zu
einem Urteil des OLG Naumburg, das im Februar 2018 für Furore sorgte. Dort
war man von einem „rechtfertigenden Notstand“ ausgegangen, nachdem
Tierschützer in Schweineställe bei Magdeburg eingebrochen waren.
Das OLG Stuttgart sah dort aber „eine wesentlich andere
Sachverhaltskonstellation“. Gemeint ist wohl, dass die Aktivisten im
Magdeburger Fall konkrete Hinweise hatten, dass in der dortigen Anlage
spezielle gesetzliche Vorgaben, etwa zur Breite der Kastenstände,
missachtet wurden. Derartige konkrete Hinweise hattte Jonathan Steinhauser
nicht.
Anwalt Kluge will den Fall Steinhauser dennoch zum Bundesverfassungsgericht
bringen, um eine Grundsatzentscheidung zu erreichen.
23 Sep 2018
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Tierschutz
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