# taz.de -- Die Wahrheit: Der Leisezutreter | |
> Schurken, die die Welt beherrschen wollen. In unserer beliebten Reihe | |
> wird diesmal der Eurobayer Manfred „Essiggurke“ Weber ins rechte Licht | |
> gerückt. | |
Bild: Manfred Weber im Daumenhoch-Modus | |
Ein prall gefüllter Wirtshaussaal im tiefsten Niederbayern. An langen | |
Bänken sitzen stämmige Mannsbilder und stark geformte Frauenzimmer, | |
überlebensgroße Schweinshaxen verschwinden in ihren weit aufgespannten | |
Mäulern, dazu dampfende Knödel. In den Krügen schäumt das Bier, auf dem | |
Podium ein Redner. Aufgeheizt trampelt er auf anderen Meinungen herum, | |
schimpft auf die Preißn in Berlin – und als er schnaubend und fauchend auf | |
die Zielgerade einbiegt und auf Brüssel kommt, geht seine Rede durch die | |
Decke. Wäre Europa jetzt nicht tausend Kilometer entfernt, würde die Menge | |
Messer und Gabel beiseite werfen, sich das Maul am Hemd abwischen, | |
aufstehen und die EU in Schutt und Asche legen. | |
Das ist die CSU, wie sie ganz unten im deutschen Bewusstsein leibt und | |
lebt. Doch eine Menschenseele gibt es, die anders geschnitten ist: Manfred | |
Weber aus Niederhatzkofen, der seit 2004 in Europa lebt und sich dort so | |
wohlfühlt, dass er nun sogar nach ganz oben greift. Er will sich als | |
Anführer der Europäischen Volkspartei 2019 zum neuen, mit dann gerade | |
einmal 48 Jahren ewig jungen Kommissionspräsidenten und Nach-Juncker | |
ausrufen lassen. | |
In der CSU mit ihren dreizehn Millionen Bayern steht Weber mit seiner | |
europaweiten Gesinnung allein. Das bekam er faustdick zu spüren, als er | |
sich 2002 sowohl in den Kreistag von Kelheim als auch in den Landtag von | |
München verirrte. Schon schnelle zwei Jahre später floh er nach Straßburg | |
und fand Asyl im Europaparlament, wo er gleich von der EVP-Fraktion | |
toleriert, 2006 in ihren Vorstand integriert und 2014, nachdem er sich | |
durch die Mitarbeit in diversen Ausschüssen vollständig assimiliert hatte, | |
als ihr Chef eingebürgert wurde. | |
## Gschwerl in Bajuwarien | |
Statt mit Stallgeruch um sich werfenden Lokalpatrioten und bloß außen | |
gekämmten Provinzfürsten verkehrt Manfred Weber mit echten Politikern, die | |
auf dem Globus zu Hause sind: ob auf dem Wiener Ballhausplatz zentimeternah | |
neben Sebastian Kurz oder, die Hände brüderlich verknüpft, mit Emmanuel | |
Macron vor dem Élysée-Palast – Weber vermisst in keiner noch so langen | |
Sekunde das Gschwerl in Bajuwarien. | |
In der CSU ist der Exilant ein Außenseiter. Das Fingerhakeln um Posten auf | |
kommunaler Ebene war ihm ein Graus, die Raufereien im Landtag um | |
Staatsaufträge für die Spezln ihm bereits vom Hörensagen z’wider. Sein | |
Streben war ein höheres! Für ein Wirken in Bayern ist sein Wesen ohnehin | |
nicht krachledern genug, es mangelt an der gemeinsam gelebten Trunksucht, | |
und bei seinem unauffälligen Äußeren muss man zweimal hinschauen, um ihn | |
wahrzunehmen. Und hinhören können, ohne einzuschlafen, denn seine Rede ist | |
wie Wasser, kein umwerfendes Starkbier: „Ich will Europa zurück zu den | |
Menschen bringen“ bla bla und „den Menschen den Weg für ein besseres Europa | |
zeigen“ bla bla … | |
Doch sosehr Weber auf leisen Sohlen daherrudert – um nach gewonnener Wahl | |
zum Kommissionspräsidenten gekrönt zu werden, muss er in Straßburg offen | |
Verbündete in grün und rot gewickelten Parteien suchen, und da gibt es ein | |
Hindernis: Manfred Weber. Denn so sanftmütig er sich ausstellt und vor | |
einem öffentlichen Auftritt Kreide schluckt, hinter vorgehaltener Hand | |
segelt er doch auf harter christsozialer Linie. | |
## Festgebackene Werte | |
Er verhalf Berlusconis Schoßhund Antonio Tajani zum Posten des Straßburger | |
Parlamentspräsidenten, wirft sich schützend in die Bahn, wenn Ungarns | |
Möchtegerndiktator Viktor Orbán ins Schussfeld gerät, und bläst die Backen | |
für die „finale Lösung“ der vom wilden, ungezähmten Afrika verursachten | |
Flüchtlingsfrage auf; er streitet für die historisch festgebackenen Werte | |
in Familie, Gesellschaft und Pipapo und glaubt als erwachsener Mensch an | |
Religion, auch und gerade als rutschfeste Unterlage der Politik; er | |
votierte gegen das Antidiskriminierungsgesetz, das die Bürokratie weiter | |
würde aufblühen lassen. Zugleich stimmte er für die | |
Vorratsdatenspeicherung, durch die die Bürokratie weiter aufblühte, weil | |
Logik biegsam sein muss. | |
Zu guter Letzt ist es Stolz, der ihn aufpumpt: auf Europa, das endlich dem | |
Chines, dem Russ, dem Türk, dem Ami und dem ganzen Gschmeiß Furcht | |
einimpfen muss; aufs Vaterland, das seit dem Sommermärchen 2006 | |
unverkrampft andere Völker zerlegen darf; und am Ende doch auch auf sein | |
Niederbayern, das, so Webers selbstverfertigte Worte, „deutscher Meister im | |
Anbau von Essiggurken ist“. | |
Wenn Manfred Weber nicht zu viele Gurken erntet, kann er 2019 den Kontinent | |
in Besitz nehmen. Dass jemand aus dem untersten Niederhatzkofen König von | |
Europa würde, ohne jemals ein Dorf, einen Landkreis oder ein Ministerium | |
geritten zu haben, spricht nicht gegen ihn. Es bedeutet schlicht, dass er | |
sich noch nicht nach Strich und Faden disqualifiziert hat. Obwohl das für | |
einen CSU-Politiker kein Grund wäre. | |
18 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Peter Köhler | |
## TAGS | |
EU-Kommission | |
Schurken | |
Manfred Weber | |
Sprachkritik | |
Sprachkritik | |
Peter Tauber | |
Christian Lindner | |
Sprache | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Sich die Haare rauf! | |
Sprachkritik: Eine neue Zeit schlägt sich offenbar grammatikalisch im | |
Tempus nieder. Jetzt gibt es schon ein Futur III. | |
Die Wahrheit: Ortokarvieh dut Noht | |
Richtige Rechtschreibung kann nicht ganz falsch sein, zu unterhaltsameren | |
Ergebnissen kommt aber die frei improvisierte. Eine Sprachkritik. | |
Die Wahrheit: Kein halber Kerl | |
Schurken, die die Welt beherrschen wollen. In unserer beliebten Reihe wird | |
diesmal der CDU-Reservist Peter „Tarzan“ Tauber verarztet. | |
Die Wahrheit: Der Substanzielle | |
Schurken, die die Welt beherrschen wollen. In unserer beliebten Reihe wird | |
diesmal der FDP-Vorsitzende Christian „Hui“ Lindner gewürdigt. | |
Die Wahrheit: Woraus Gündogan erwächst | |
Sprachkritik: Schreiben Journalisten, ahnt man oft, was gemeint ist. Und | |
wenn nicht? Dann hilft eben nur noch Fühlen. |