# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Public Video-Blues | |
> Es ist immer schwieriger, sich den Bildschirmen dieser Welt zu entziehen. | |
> Aber mit welchem Recht werden wir im öffentlichen Nahverkehr mit Bildern | |
> und Tönen überschüttet? | |
Bild: Hat die Bahnsteige der Großstädte erobert: Der öffentliche Bildschirm | |
Ich bin viel mit dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs, und da ist es so, | |
dass die Leute alle auf ihr Handy starren. Sie sitzen und starren und das | |
Gute daran ist, dass sie sich nicht gegenseitig anstarren müssen, weil das | |
oft zu Missverständnissen führt. Wer nun aber nicht auf sein Handy starrt, | |
wie ich, der starrt auf Menschen, die auf ihr Handy starren. Das ist etwas | |
surreal, aber immerhin starre ich auf eine echte Umgebung mit echten | |
Menschen, die sich auch gar nicht angestarrt fühlen, weil sie ja ihrerseits | |
auf ihr Handy starren. | |
Ich kritisiere diese Welt, in der die Menschen wertvolle Lebenszeit mit | |
ihrem Handy verbringen und das Zwischenmenschliche verloren geht. Aber auch | |
ich kann mich immer weniger den Bildschirmen entziehen. Denn für die | |
Menschen, die in der Bahn oder auf den Bahnsteigen nicht auf ihr Handy | |
starren, hat man die Bildschirmwerbung erfunden. In Hamburg-Altona zum | |
Beispiel, da sind dicht an dicht Bildschirme aufgereiht, riesige, | |
überdimensionale Bildschirme, und da wird mir ein Programm vorgespielt, | |
dass ich nicht sehen will, aber soll ich die Augen schließen? | |
Auf der Homepage der Firma Ströer liest sich das zum Beispiel so: „Public | |
Video: Digitale Erlebniswelten. Bundesweit mit emotionalisierenden | |
Bewegtbild-Werbespots in hochwertigem redaktionellem Umfeld die mobile, | |
kaufkräftige Out-of-Home-Zielgruppe an wichtigen Touchpoints erreichen – | |
das ist Public Video.“ | |
Das Programm besteht dann hauptsächlich aus Werbung, aber es gibt auch | |
kurze Nachrichten, Wetterbericht, Rätsel, Sinnsprüche. Die | |
Bildschirmwerbung in den öffentlichen Verkehrsmitteln entspricht in etwa | |
dem Inhalt der Zeitschrift Das neue Blatt oder Die Freizeitwoche oder Super | |
TV oder Ähnlichem. Es könnten Opern angespielt, Theaterstücke an den Mann | |
gebracht werden, es könnte Literatur angelesen oder Kunst dargebracht | |
werden, es könnte auf die Eintrittszeiten der öffentlichen Museen und | |
Theater hingewiesen werden, aber es wird für Konsumartikel geworben. | |
Denn der Mensch, der eine jährlich sich verteuernde Fahrkarte eines | |
öffentlich subventionierten Verkehrsunternehmens erworben hat, der soll | |
während dieser Zeit nicht unnütz auf dem Bahnsteig herumstehen oder in der | |
Bahn herumfahren, der soll auch noch beeinflusst werden, dem soll ein | |
Bedürfnis eingepflanzt werden, man will von diesem Menschen, der ja schon | |
dafür bezahlt hat, auch noch etwas anderes haben. Man will sein Gehirn. Er | |
soll kaufen. Man will an dieser Beeinflussung verdienen. | |
„Wir sind laut, weil ihr nur aufs Handy schaut“, so stand es auf Plakaten | |
einiger Kinder, die am Samstag in Hamburg gegen den Handykonsum ihrer | |
Eltern demonstrierten. Diese Kinder aber, und schon die Kleinsten, die | |
Zweijährigen, die Einjährigen, ja die ganz kleinen Babys, die sind der | |
Bildschirmwerbung in den öffentlichen Verkehrsmitteln ausgesetzt. Ob ihre | |
Eltern das wollen oder nicht. Können sie verstehen, was sie da sehen? Tut | |
es ihnen gut? Was ist schon ein Handy? | |
Ein Handy kann man ausschalten, Public Video nicht. Es werden aber nicht | |
nur Werbefilmchen gezeigt, auch Nachrichten, bei denen ich mich frage, wer | |
hat die ausgesucht, warum, wie sind sie formuliert? | |
## Unerträgliche Unruhe | |
Was sind das für Menschen, die diese kurzen Sätze, in denen komplexe | |
Sachverhalte zusammengefasst werden sollen, formulieren? Wie wird die | |
Auswahl getroffen? Ist sie legitim? Wird nicht politisch Einfluss genommen? | |
Wird nicht allein durch die Auswahl einer Nachricht, die ich dann mehrmals | |
täglich lese, möglicherweise unterbewusst, während ich U-Bahn fahre, ein | |
unzulässiges Gewicht auf diese Nachricht gelegt? | |
Mit welchem Recht wird im öffentlichen Nahverkehr der Bürger derart | |
belästigt? Auch wenn ich zur „kaufkräftigen Out-of-Home-Zielgruppe“ gehö… | |
sollte: Wie können sie es wagen, mich, die ich in der Großstadt sowieso | |
schon einer fast unerträglichen Unruhe ausgesetzt bin, zusätzlich mit | |
Informationen, Bildern und Tönen zu überschütten? | |
Im nächsten Jahr übrigens will der HVV die Ticketgebühren erneut anheben. | |
12 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Katrin Seddig | |
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