# taz.de -- Queer Base zu Österreichs Asylpolitik: „Die Spitze des Eisbergs�… | |
> Der Beamte, der das Asylersuchen eines jungen Afghanen ablehnte, da er | |
> ihm nicht schwul genug auftrat, wurde entlassen. Rechtsberater Gluth über | |
> queere Refugees. | |
Bild: Keine Selbstverständlichkeit: Feiernde bei der Rainbow Parade 2014 in Wi… | |
taz: Herr Guth, einem Beamten in Österreich war [1][ein afghanischer | |
Aylsuchender nicht schwul genug], daher wies er seinen Antrag ab. Nach | |
großem Medienecho gaben die zuständigen österreichischen Behörden bekannt, | |
dass nach einer internen Prüfung dem Mitarbeiter des Bundesamtes für | |
Fremdenwesen und Asyl (BFA) bereits das Amt entzogen wurde. Aktivist*innen | |
feiern diese Meldung im Netz. Feiern Sie mit? | |
Ralph Guth: Nein, für uns ist das kein Grund zu feiern. Dieser Bescheid ist | |
kein Einzelfall, sondern nur die Spitze des Eisberges. Es gibt viel mehr | |
systematische und strukturelle Probleme im gesamten Asylverfahren in | |
Österreich. Es mangelt an Schulungen in den Behörden, an legalen | |
Fluchtwegen nach Österreich und die Absurdität die eigene sexuelle | |
Orientierung oder Geschlechtsidentität nachweisen zu müssen, ist – | |
unabhängig von diesem Einzelfall – ein großes Probleme für alle unsere | |
Klient*innen (Anm. d. Red.: Der Interviewpartner bezeichnet die | |
Asylsuchenden, mit denen der Verein Queer Base zusammenarbeitet als | |
Klienten.). | |
Was für Auswirkungen könnte die Suspendierung des Beamten im konkreten Fall | |
des afghanischen jungen Mannes haben? | |
Ich glaube unmittelbar wird es auf das Verfahren keinen großen Einfluss | |
haben. Der bereits erteilte Bescheid kann nicht mehr aufgehoben werden, ist | |
aber bereits angefochten worden. Der Fall liegt derzeit beim | |
Bundesverwaltungsgericht, es wird innerhalb dieses oder nächsten Jahres zu | |
einer Verhandlung kommen und natürlich werden die entsprechenden | |
Medienberichte dem Richter vorliegen. Letztlich wird sich der zuständige | |
Richter sein eigenes Bild machen müssen, das heißt der angesprochene | |
afghanische Asylsuchende muss den Richter von seiner Homosexualität | |
überzeugen. Ein unabhängiger Richter lässt sich von solch einem Medienecho | |
nicht beeindrucken, aber die Berichterstattung ist eventuell für so ein | |
Verfahren hilfreich. Es bleibt die Gerichtsverhandlung und die Entscheidung | |
des Richters abzuwarten. | |
Das BFA habe anlässlich dieses Einzelfalles eine umfangreiche Prüfung | |
vorgenommen und 500 Bescheide auf Mängel prüfen lassen. Die Behörde kam zum | |
Ergebnis, es liegen keine weiteren „strukturellen Defizite“ vor. Was sagen | |
Sie denn dazu? | |
2017 wurden in Österreich 42 Prozent [2][aller negativ ausgestellten | |
Asylbescheide] in zweiter Instanz vom Bundesverwaltungsgericht aufgehoben | |
oder abgeändert. Es ist eine sehr eigensinnige Selbstwahrnehmung, zu | |
glauben, dass keine strukturellen Probleme vorliegen, wenn die Fehlerquote | |
fast die Hälfte der Fälle betrifft. Es gibt auf jeden Fall strukturelle | |
Probleme. | |
Könnten Sie da ein konkretes Beispiel nennen? | |
Die Anhörungen von Asylbewerber*innen sind geprägt von Vorurteilen. | |
Ungeschulte Referentinnen und Referenten greifen in die Intimsphäre von | |
Menschen ein und stellen ihnen Fragen, die nicht mit der Menschenwürde | |
vereinbar sind. Für Geflüchtete, die aus Ländern kommen, in der Sexualität | |
ein Tabuthema und Homosexualität stigmatisiert sind, ist es eine besondere | |
Stresssituation vor einer Beamtin plus Übersetzerin über die eigene | |
sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität zu sprechen. | |
Auch dem jungen Afghanen hatte der suspendierte Beamte vorgeworfen, nicht | |
gleich beim ersten mal seine Homosexualität thematisiert zu haben. Den | |
Menschen fehlt offenbar das Vertrauen. Wie können Behörden diesem Problem | |
entgegenwirken? | |
Es bräuchte Schulungen, wo Referentinnen und Referenten lernen, wie man mit | |
schwer traumatisierten Menschen umgeht. Wie es gelingt eine Atmosphäre zu | |
schaffen, die es diesen Menschen ermöglicht, alles offen anzusprechen, was | |
für ihr Asylverfahren relevant ist. Ich sitze in vielen solcher Anhörungen. | |
Es gibt Referentinnen, die ihren Job wirklich gut machen. Aber leider auch | |
oft haarsträubende Situationen, wo es großen Handlungsbedarf gibt. | |
Allerdings ist es nicht das einzige Problem, dass Menschen ihre | |
homosexuelle Identität nicht abgenommen wird. Manchmal glauben die Behörden | |
den Klienten zwar, sagen aber ihre Herkunftsländer seien sicher für Homo- | |
oder Transsexuelle. | |
Und welche sollen diese sicheren Herkunftsländer sein? | |
Es gibt einen Richter beim Bundesverwaltungsgericht, der schwulen | |
irakischen Männern erklärte, dass es im Irak für schwule schon okay sei. Er | |
argumentierte, dass eine Fatwa eines schiitischen Geistlichen vorliege, die | |
Homosexuelle als krank bezeichne, aber von einer Ermordung abrät; und somit | |
Bagdad eine sichere Alternative darstellt. Das Urteil dieses Richters wurde | |
im letzten Jahr vom österreichischen Verfassungsgericht behoben, mit der | |
Begründung, dass die Aussagen des Richters nicht vereinbar mit den | |
Länderberichten waren und daher willkürlich erschienen. Oft wird auch | |
schwulen oder lesbischen muslimischen Tschetschenen häufig ein | |
Negativbescheid erteilt mit der Begründung in Moskau seien sie sicher. Was | |
absurd ist, da sich diese Menschen in Wien vor der teilweise gewaltbereiten | |
homophoben tschetschenischen Community verstecken müssen. | |
Hat der afghanische junge Mann ähnliche Sorgen? | |
In Österreich ist er nicht akut gefährdet, da die Berichterstattung keine | |
Rückschlüsse auf seine Person zulässt. Allerdings macht er sich natürlich | |
sorgen, so wie viele andere Klienten, die sich vor der Interviewsituation | |
in den Ämtern fürchten. Oft stammen die Dolmetscher aus den | |
Herkunftsländern, aus denen sie selbst geflüchtet sind. Auch wenn die | |
meisten Dolmetscher eine gute Arbeit leisten, haben die Klienten Angst | |
offen zu sein, da sie befürchten, diese könnten sie verraten. Wie in vielen | |
anderen Staaten geht in Afghanistan die Verfolgung nicht nur vom Staate | |
aus, sondern auch von der Familie. Die meisten unserer Klienten erhielten | |
von ihren eigenen Vätern und Brüdern Morddrohungen. Wenn der afghanische | |
Klient zurück in sein Herkunftsland geschickt wird, muss er mit | |
Gefängnisstrafe oder tödlicher Gewalt rechnen. Die andere konkrete Gefahr | |
ist, dass er seine sexuelle Identität verbergen müsste, um Verfolgung zu | |
entgehen, was in der europäischen Rechtsprechung eine | |
Menschenrechtsverletzung darstellt. | |
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, 42 | |
Prozent aller derzeit negativ ausgestellten Asylbescheide in Österreich, | |
die in zweiter Instanz aufgehoben wurden, gingen an afghanische | |
Staatsbürger. Das ist korrekt. Wir haben die Angabe dennoch durch die | |
Information ersetzt, dass 42 Prozent aller negativ ausgestellten | |
Asylbescheide in zweiter Instanz aufgehoben oder abgeändert wurden, da | |
Ralph Guths Aussage auf diesen Fakt abzielte. | |
17 Aug 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Negativer-Asylbescheid-in-Oesterreich/!5528496 | |
[2] https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/BR/AB-BR/AB-BR_03186/imfname_688721.pdf | |
## AUTOREN | |
Canset Icpinar | |
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