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# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Der Konzern am Kabinettstisch
> Wie eine Nebenregierung führt sich der Total-Konzern in Frankreich auf.
> Die US-Sanktionen gegen Handelspartner des Iran machen ihm aber zu
> schaffen.
Bild: Der Großkonzern konnte 2017 einen Umsatz von 170 Milliarden Dollar vorwe…
Bleibt Total französisch? Die jüngste Kraftprobe des Unternehmens mit
Washington hat gezeigt, wie abhängig der Ölkonzern von
Auslandsinvestitionen insbesondere aus den Vereinigten Staaten ist. Total
war das erste Unternehmen, das einen Vertrag über die Förderung von Erdgas
mit Iran abgeschlossen hat.
Das war im Juli 2017, ein halbes Jahr nach dem Amtsantritt von Donald
Trump. Das machte die Erstinvestition von einer Milliarde Dollar zu einem
Risiko. Tatsächlich beschloss der iranfeindliche Präsident im Mai 2018,
dass sich die USA aus dem Atomabkommen mit Teheran zurückziehen. Damit kam
Total auf die schwarze Liste Washingtons.
Die exterritoriale Anwendung von US-Gesetzen ermöglicht einschneidende
Strafmaßnahmen gegen ausländische Unternehmen, die Handel mit einem Land
treiben, das die US-Regierung mit Sanktionen belegt hat. Dabei reicht es
bereits aus, dass die ausländische Firma einen Server in den USA nutzt oder
ihre Geschäfte in Dollar abwickelt.
Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron forderte die Europäische Union
zwar auf, „den Unternehmen, die dies wünschen, Garantien für die
Fortsetzung ihrer Aktivitäten im Iran zu geben“. Gleichzeitig ließ er in
einer weiteren Erklärung die Ohnmacht der EU in diesem Konflikt erkennen,
definierte er doch eine „Grenze“ der unternehmerischen Freiheit: sich den
Entscheidungen der USA nicht zu widersetzen.
Total gehört zu den Unternehmen, die Washington mit seinen Sanktionen im
Auge hat. Der Konzern wickelt 90 Prozent seiner Finanzierungsgeschäfte über
US-Banken ab. US-amerikanische Investoren halten 30 Prozent seines
Aktienvolumens. Der multinationale Vermögensverwalter BlackRock mit Sitz
in New York ist mit einem Aktienanteil von 6,3 Prozent der größte
Anteilseigner von Total. Zudem ist der französische Energieriese an
verschiedenen Tiefseebohrungen im Golf von Mexiko beteiligt und engagiert
sich bei der Förderung von Schiefergas in Texas und Ohio.
## Total setzt auf die Unterstützung Frankreich
Dass sich das Unternehmen dem Iran-Diktat des Weißen Hauses nun fügt,
erklärt sich auch aus den schlechten Erfahrungen, die Total bei früheren
Konflikten mit Washington gemacht hat. Unter Bill Clinton hatte die
US-Regierung 1996 den „Iran and Libya Sanctions Act“ verabschiedet, der
Unternehmen, die in irgendeiner Form US-amerikanischen Gesetzen
unterstanden, jeglichen Handel mit diesen beiden Ländern untersagte. Damals
eröffnete Washington einen Nervenkrieg gegen Christophe de Margerie, den
damaligen Repräsentanten von Total im Nahen Osten. In dieser Funktion wurde
gegen ihn von US-Behörden wegen des Vorwurfs der Bestechung ausländischer
Beamter ermittelt. Das Unternehmen musste 300 Millionen Dollar zahlen, um
sich – wie nach US-Recht möglich – „auf gütlichem Wege“ aus der Klemm…
befreien.
Doch damit war das Katz-und-Maus-Spiel noch lange nicht zu Ende. 2016
umging der Konzern, der an einem großen Erdgasförderprojekt in Russland
beteiligt war, die Strafmaßnahmen, die Washington gegen Moskau verhängt
hatte, um die russische Ukraine-Politik zu sanktionieren. Um den Bau einer
riesigen Anlage zur Produktion von Flüssiggas durch das Joint Venture Yamal
LNG ohne Dollarfinanzierung angehen zu können, behalf sich Total damals mit
chinesischem Kapital.
Trotz seiner starken Präsenz in den USA setzt Total bei der Verfolgung
seiner Interessen in aller Welt nach wie vor auf die Unterstützung durch
Paris. Seit der 1999 und 2000 vollzogenen Fusion von Elf, Petrofina und der
ehemaligen Compagnie française des pétroles (CFP) sprechen Total und der
französische Staat mit einer Stimme – zumindest, wenn ihre Interessen nicht
kollidieren. So erklärte der aktuelle Konzernchef Patrick Pouyanné: „Unsere
Nationalität ist ein Faktum. Wir sind der einzige große Player, der nicht
aus dem angelsächsischen Raum stammt. Frankreich hat einen ständigen Sitz
im UN-Sicherheitsrat. Und unsere Aktivitäten im Erdgas- und Erdölgeschäft
werden von den produzierenden Ländern als hoheitliche Aufgabe gesehen.
Total ist Teil der Beziehungen, die Frankreich mit diesen Staaten
unterhält, und zwar zu seinem Vorteil.“
Mitunter vermittelt der Total-Chef sogar den Eindruck, der französischen
Politik vorauszueilen. So lassen sich zumindest die Aussagen Pouyannés
interpretieren, die nach einem Treffen mit Wladimir Putin in einer
Pressemitteilung des Kremls veröffentlicht wurden: „Total ist zwar eine
Privatgesellschaft, repräsentiert aber als größtes französisches
Unternehmen gewissermaßen das Land selbst.“
Dazu passt, dass die Französische Republik einen Total-Manager mit der
Aufgabe betraute, die Nation bei einer Sitzung der UNO zu vertreten. Und in
einem Nachruf auf de Margerie, der 2007 zum Vorstandsvorsitzenden
aufgerückt war, bevor er im Oktober 2014 bei einem Flugzeugunglück
verstarb, hieß es, er sei „ebenso mächtig wie der Quai d’Orsay“ (also w…
der französische Außenminister) gewesen.
## Der Ex-Staatskonzern agiert wie ein Superministerium
Die Symbiose zwischen dem Unternehmen und dem französischen Staatsapparat
ist zuweilen beängstigend. Vor Kurzem ist Romaric Roignan, vormals
Kabinettschef der Staatssekretärin für Entwicklungszusammenarbeit Annick
Girardin, als Projektleiter für Exploration und Produktion zu Total
zurückgekehrt. Schon 2006 hatte er den Posten als Vizesprecher von
Außenminister Dominique de Villepin aufgegeben, um bei Total als
stellvertretender Leiter der Abteilung für internationale Beziehungen
einzusteigen. Danach war er als Berater des französischen Botschafters in
Washington tätig, später auch bei Premierminister Jean-Marc Ayrault.
Patrick Pouyanné wiederum fungierte von 1993 bis 1995 als technischer
Berater von Premierminister Édouard Balladur, bevor er zum Kabinettschef
des damaligen Ministers für Informationstechnologie und Postwesen François
Fillon avancierte, dem späteren Premierminister (2007–2012) und
Präsidentschaftskandidaten (2017). Fillon sitzt mittlerweile wieder als
Abgeordneter im Parlament, wo er sich als Lobbyist des libanesischen
Milliardärs und Investors Fouad Makhzoumi profiliert, für den er Treffen
mit Patrick Pouyanné und mit Wladimir Putin arrangiert haben soll.
In seiner Rolle als Premierminister war François Fillon 2009 zu einer
Förderstätte von Total in Nigeria gereist und hatte dem afrikanischen Land
französische Militärhilfe angeboten, um die Konzessionen von Total
abzusichern. Und das, obwohl im Nigerdelta schon damals ein Ökozid in
vollem Gange war.
Politisch redet der einflussreiche Konzern mit einem Umsatz von 170
Milliarden Dollar (2017) bei allen wichtigen Themen mit: vom Handelsembargo
gegen Russland über die Reform des Arbeitsrechts in Frankreich bis hin zur
Wahl eines neuen französischen Staatspräsidenten. Total investiert in den
Plan zur Förderung der lokalen Industrie in den Regionen
Provence-Alpes-Côte d’Azur und Occitanie, finanziert universitäre
Forschungsprogramme und unterstützt Firmen, die sich in der
Hochtechnologie-Forschung engagieren. Neuerdings subventioniert der Konzern
auch die Stiftung „La France s’engage“, mit deren Hilfe sich der
abgehalfterte Staatspräsident François Hollande um die Zivilgesellschaft
verdient machen will.
Der Energieriese beteiligt sich außerdem am Kampf gegen Diabetes,
finanziert Ausstellungen im Louvre, bemüht sich um die Restaurierung der
Klosterburg der Abtei Lérins in Südfrankreich und des Fort de la Conchée in
der Bretagne.
Bei der 21. Weltklimakonferenz (COP21) hat Total, als wäre das Unternehmen
ein souveräner Staat, eine eigene Klimaerklärung abgegeben. Und wenn die
Total Foundation ihre Unterstützung für den Erhalt der „Meeresgesundheit
und -biodiversität“ ankündigt, tritt sie wie eine Art Superministerium
auf, das für Kultur, Umwelt und Gesundheit gleichermaßen zuständig ist.
Dennoch wird das Großunternehmen, das sich in Frankreich wie eine
Nebenregierung aufführt, von internationalen Aktionären bestimmt. Für sie
ist dieses Land nur eines unter vielen. Total ist in mehr als 30 Staaten
präsent und betätigt sich in immer mehr Branchen: Zu den ursprünglichen
Bereichen Erdöl- und Gasförderung sind längst die Sparten Solarenergie,
Hochleistungsbatterien, Agrokraftstoffe und Stromerzeugung hinzugekommen.
## Nur 28,3 Prozent der Aktionäre sind Franzosen
Darüber vernachlässigt Total seine französischen Raffinerien (von ehemals
acht sind nur noch fünf übrig geblieben), baut jedoch gleichzeitig in
Saudi-Arabien eine hochmoderne Anlage auf. 70 Prozent der
Unternehmensaktivitäten spielen sich heute in Asien und im Nahen Osten ab,
was sich auch in der breiten Streuung des Unternehmenskapitals
widerspiegelt. Zu den Großaktionären gehören – außer der schon erwähnten
US-amerikanischen Fondsgesellschaft BlackRock – der chinesische Staat, das
Königshaus von Katar, der norwegische Staatsfonds und die Pargesa Holding.8
Weitere Anteilseigner sitzen in Großbritannien, Belgien, Schweden und in
diversen Steuerparadiesen.
Da lediglich 28,3 Prozent der Aktionäre französische Staatsbürger sind,
stellt sich die Frage, weshalb Frankreich sich derart für ein Unternehmen
engagiert, das vorwiegend von ausländischen Interessengruppen gesteuert
wird. In der Gruppe der institutionellen Anleger, die maßgeblich die
Geschicke des Konzerns bestimmen, liegt der Anteil der französischen
Aktionäre sogar nur bei 16,7 Prozent.
Von der Veräußerung der ersten Aktien 1986 (unter der Regierung Chirac) bis
zum vollständigen Verkauf 1998 (unter der Regierung Jospin) hatte sich der
französische Staat schrittweise aus den Unternehmen Elf und CFP
zurückgezogen und so den Weg für die Fusion mit Petrofina im Jahr 2000
freigemacht.
Die drei Unternehmen brachten unterschiedliches, aber komplementäres
Know-how in den fusionierten Konzern ein. Die CFP steuerte seit ihrer
Gründung 1924 gesammelte Kenntnisse im Bereich der internationalen
Ölkartelle bei. Elf war ein Eckpfeiler der neokolonialen Politik, die
Frankreich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in Afrika verfolgt
hatte, und verfügte über Erfahrung mit Geheimdienstpraktiken,
missbräuchlicher Einflussnahme, Korruption, Gewalt und politischer
Manipulation. Petrofina schließlich brachte eine große Zahl internationaler
Aktionäre mit.
Die Privatisierung und Fusion dieser drei Unternehmen bedeutete keineswegs
das Ende der alten Praktiken: Nach wie vor ist nicht transparent, wie die
Kraftstoffpreise an den Tankstellen zustande kommen und mit welchen
Methoden Total Zugriff auf Erdöl- und Erdgasvorkommen erlangt.
Provisionszahlungen und die (informelle) Gängelung politischer Amtsträger
insbesondere in Afrika sind auch nach dem Ende der „Françafrique“ nicht
verschwunden. Nur profitiert heute nicht mehr der französische Staat,
sondern private Akteure sind die Nutznießer.
Total gibt einen Vorgeschmack auf eine Zukunft, in der multinationale
Unternehmen wie souveräne Staaten agieren und Verträge mit politischen
Regimen aushandeln, ohne wie früher mit einem globalen Gegenspieler rechnen
zu müssen. Die Kapitulation von Total im Fall Iran dürfte eher eine
Ausnahme als die Regel darstellen. Gleichzeitig ist es auch vorstellbar,
dass staatliche Akteure die Multis künftig weniger entgegenkommend
behandeln. Gute Gründe dafür hätten sie.
Aus dem Französischen von Markus Greiß
15 Aug 2018
## AUTOREN
Alain Deneault
## TAGS
Total
US-Sanktionen
Schwerpunkt Frankreich
Erdöl
Erdgas
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Handelsstreit
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