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# taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Linke gegen Linke
> Rechte greifen die Idee gesellschaftlicher Liberalität an. Auch manche
> Linke tun das – jene, für die echtes Linkssein Umverteilung bedeutet.
Bild: Ist gesellschaftliche Liberalisierung ein Feigenblatt des neoliberalen Ka…
Welchen politischen Stellenwert hat eigentlich gesellschaftliche
Liberalität – Feminismus, Antirassismus, LGBTI-Rechte, das gesamte Paket?
Wo ist das auf der politischen Skala einzuordnen? Eindeutig ist nur, dass
diese Zuordnung nicht eindeutig ist. Es handelt sich vielmehr um ein
äußerst ambivalentes Phänomen.
Von rechts erfährt solche gesellschaftliche Offenheit heftige Angriffe, die
sie als weltfremd, sprich linke Hegemonie denunzieren. Hier wird dies also
der Linken zugeschrieben. (Wir lassen einmal beiseite, dass Weltfremdheit
und Hegemonie sich irgendwie widersprechen.) Von linker Seite sehen sich
aber die unterschiedlichen Phänomene, die wir unter gesellschaftlicher
Liberalisierung zusammenfassen, [1][auch massiven Angriffen ausgesetzt].
Da werden sie als „Feigenblatt“ des neoliberalen Kapitalismus bezeichnet,
hinter dem die wahren Ausbeutungsverhältnisse nur umso ungenierter
betrieben werden. Als „Herrschaftsideologie einer globalisierten Klasse“.
Als Klassenkampf der „neuen Mittelschichten“ gegen „die da unten“. Die
Liste ließe sich fortsetzen. Klar ist, dass diese Kritik auch die
Antriebsenergie jener ist, die nun #aufstehen wollen.
„Echtes“ Linkssein [2][hieße dann ökonomische Umverteilung] – nicht
gesellschaftliche Antidiskriminierung. Hieße das im Umkehrschluss: links
bedeutet nicht tolerant, rassistisch, antisemitisch, frauenfeindlich,
homophob? Nicht internationalistisch, sondern protektionistisch? Oder noch
komplexer: Was ist links: #metoo als Aufbegehren der unterdrückten, sexuell
diskriminierten Frauen – oder Ablehnung von #metoo [3][als Elitenphänomen]?
Als Inszenierung von Upper-Class-Frauen, die um Aufmerksamkeit ringen?
## Arbeiterklasse oder Rechte für Miranten und LGBTI?
Es sind schon Freundschaften an dieser Frage zerbrochen. Steht die Linke
für die Arbeiterklasse – oder für Rechte von Migranten und LGBTI? Alte oder
neue Linke? Proletarische oder Kulturlinke? Klassenkampf oder
Identitätspolitik? Ist das tatsächlich noch oder wieder ein brauchbarer
Gegensatz?
Treffen da nicht zwei Exzesse aufeinander? Der Exzess der
Hypersensibilisierung, in den die gesellschaftliche Liberalisierung zu
kippen droht – mit all jenen weidlich ausgeschlachteten Phänomenen der
Campuskultur und ihren Mimosenblüten, die sich von Befreiungs- in neue
Ordnungsphänomene verkehren.
Und der Exzess einer puristischen Reökonomisierung der Linken – eine
Reduktion, wo es Jahrzehnte gebraucht hat, sich von dieser zu befreien. Und
die zudem übersieht, dass sie auf Prämissen aufbaut, die heute nicht mehr
unschuldig zu haben sind. Etwa dichte Grenzen. Oder ein einheitlicher
Nationalstaat.
Und wer sind die Träger des Linksseins, wer sind die Linken – wenn nun das
proletarische Milieu nach rechts tendiert? Dann wäre die alte, die
Klassenkampf-Linke heute rechts. Was die Rechten ja auch für sich
reklamieren, wenn sie sich, wie etwa die FPÖ, als neue Partei der
Arbeiterschaft deklarieren – nicht ganz zu Unrecht, weil sie dort
tatsächlich einen Teil ihrer Anhängerschaft rekrutieren. Und ganz zu
Unrecht, weil sie diese nicht als „Arbeiter“, sondern als „Nationale“
adressiert und formiert.
## Ist Linkssein heute noch möglich?
Wer aber sind dann die neuen Linken – die Parteigänger der
gesellschaftlichen Liberalisierung? Das sind die „neuen Mittelschichten“ –
jene, die zwar nicht notwendigerweise ökonomisch, aber kulturell die Eliten
der Modernisierung bilden. Wir haben also die paradoxe Situation, dass
neues Linkssein heute ein Elitenphänomen ist.
Wurden also die Ausgebeuteten ihres Linksseins enteignet? Und wenn nun
Linkssein oder linke Gesellschaftspolitik von einer neuen Mittelschicht
getragen wird – wäre dann nicht gerade Linkssein die Gegenposition zum
authentischen Sprecher – also der Einheit von Identität und Inhalt (sodass
etwa nur Frauen über Frauenthemen oder Migranten über migrantische Belange
authentisch sprechen können)? Dann wären es aber gerade Linke, die diesem
neuen linken Dogma widersprechen würden.
Kurzum – ist Linkssein heute noch möglich oder ist es zu einer unmöglichen,
zu einer aporetischen Position geworden?
31 Aug 2018
## LINKS
[1] /Debatte-Schwulenhass-unter-Linken/!5492949
[2] /Debatte-Umverteilung/!5161403
[3] /meTwo-Debatte/!5524188
## AUTOREN
Isolde Charim
## TAGS
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Umverteilung
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Bedingungsloses Grundeinkommen
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