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# taz.de -- Debatte Umverteilung: Wer gerne gibt
> Ohne eine abgabenbereite Mittelschicht gibt es keine gerechte
> Gesellschaft. Die linken Parteien haben damit ein Problem.
Es ist in diesen Wochen schwierig auszumachen, wer denn nun die ärmste Sau
ist in Deutschland, die dringend der Hilfe der Allgemeinheit bedarf. Sind
es die Opel-Facharbeiter? Verkäuferinnen? Mittelständische Unternehmer? Wie
geht es eigentlich den Ärzten? Und sind wir nicht alle benachteiligt?
Erst recht seit der umstrittenen Rettungsaktion für Opel ist die
Umverteilung zugunsten der vermeintlich "Schwachen" in eine
Legitimationskrise geraten. Das ist ein Problem im beginnenden Wahlkampf,
in dem immerhin drei linksgerichtete Parteien um Wählerstimmen
konkurrieren.
Es wirkt auch nicht mehr seriös, die Lasten öffentlicher Hilfen durch
Staatsverschuldung in die Zukunft zu verlagern, auf kommende Generationen.
Wollen die Parteien glaubwürdig sein, müssen sie eine Umverteilung auch in
der Gegenwart vertreten. Doch woher soll das Geld kommen?
Interessante Erkenntnisse liefert ein Blick in die Wahlprogramme von SPD,
Grünen und Linken. Hier wird versucht, die Abgaben auf weiter entfernte
Bevölkerungsteile zu verschieben. Die Reichen! Nur ist es offenbar mühsam,
diese Gruppe einzugrenzen.
Wer ist reich?
Bei der SPD fangen die Reichen ab einem Bruttoeinkommen von 10.000 Euro im
Monat an. Wer mehr verdient, dessen überschießendes Einkommen soll mit
einem erhöhten Spitzensteuersatz von 47 Prozent belegt werden. Eine solch
kleine Gruppe von Hochverdienern ein bisschen mehr zu belasten, bringt aber
wenig Geld, sondern vor allem Gerechtigkeitssymbolik.
Die Grünen, sich ihrer Bionade-Klientel bewusst, wollen den
Spitzensteuersatz nur auf 45 Prozent anheben und gleichfalls erst ab
höheren Verdiensten, "um mittlere Einkommen nicht zusätzlich zu belasten",
wie es im Wahlprogramm heißt.
Die Linke fordert forsch einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent. Sie weist
in ihrem Wahlprogramm aber auch beruhigend darauf hin, dass dies nur
bedeute, dass dann "Steuerpflichtige von jedem Euro, den sie über 84.000
Euro pro Jahr verdienen, 53 Cent abführen müssen". Auch das betrifft nicht
allzu viele.
Die Mittelschicht soll geschont werden. Das Problem ist nur: Ohne die
mittleren Einkommen funktioniert sie nicht, die Umverteilung im
Sozialstaat.
Wir können nämlich in Deutschland gar keine aggressive Enteignungspolitik
gegen die Reichen betreiben: Eine starke Substanzbesteuerung, wie die Linke
sie vorschlägt, verbietet das Bundesverfassungsgericht, weil dies einer
"Teilenteignung" gleichkäme. Eine befristete niedrigprozentige
Vermögensteuer kann und sollte man machen, ebenso wie eine Erhöhung der
Spitzensteuersätze beim Einkommen. Aber das wird nicht ausreichend Geld
bringen. Und nicht das Problem lösen: Wie umgehen mit der Mittelschicht?
Die Verteilungsfrage ist heikel, denn Metallfacharbeiter, VerkäuferInnen,
Lehrer befinden sich in einer Doppelrolle: Sie sind Beitrags- und
Steuerzahler einerseits und Leistungsempfänger andererseits. Auch
Geringverdiener mit einem Einkommen von monatlich 2.500 Euro brutto müssen
im internationalen Vergleich hierzulande relativ hohe Abgaben aus
Sozialbeiträgen und Steuern berappen, stellte die Wirtschaftsorganisation
OECD fest.
Die linken Parteien versuchen, diese Gerechtigkeitsprobleme zu lösen, in
dem man erwägt, von bestimmten Privilegiertengruppen Geld abzuschöpfen. Man
könnte beispielsweise die privat Krankenversicherten und deren Privatkassen
in eine Bürgerversicherung eingemeinden, wie es alle drei linksgerichteten
Parteien vage in Aussicht stellen. Man könnte auch die
Beitragsbemessungsgrenzen in den Sozialversicherungen erhöhen und so die
Besserverdiener stärker belasten.
Das kann man machen, doch es schafft neue Spaltungen quer durch die
bürgerlichen Milieus, wenn die Höherverdienenden mehr für Leute mit
geringerem Einkommen und die Armen zahlen sollen. Denn erstens haben höhere
Abgaben derzeit einen schlechten Ruf. Und zweitens gibt es Ambivalenzen bei
den Ausgaben.
Eine Verkäuferin beispielsweise, die vielleicht sogar Linkspartei wählen
würde, weil die Linke eine Millionärssteuer fordert, sieht andererseits
vielleicht nicht ein, dass genau diese Partei den Regelsatz für Hartz IV
hochschrauben will, damit ein Arbeitsloser 850 Euro im Monat bekommt.
Gerade Wenigverdiener haben etwas dagegen, wenn es das gleiche Geld wie ihr
Gehalt auch ohne Arbeit gibt.
In dieser schwierigen Gemengelage brauchen die linksgerichteten Parteien
vor allem eines: Glaubwürdigkeit. Auf große Wahlversprechen verzichten, den
Leuten weder Steuererleichterungen noch breite Wohltaten versprechen, das
wäre ein erster Schritt.
Sozialmoralische Ressourcen
Im Wahlkampf sollten die linken Parteien auf begrenzte Projekte setzen. Wir
brauchen eine neue Überschaubarkeit in der Sozialpolitik. Glaubwürdiger
wäre es zum Beispiel, nicht vage eine allgemeine "Bürgerversicherung" zu
versprechen, sondern konkret erst mal nur in der Pflege die Zusammenlegung
von Privat- und gesetzlichen Kassen zu fordern und zu bewerben. Damit wäre
die Versorgung auf viele Jahre hinaus finanziert.
Auch eine Hartz-IV-Erhöhung wird eher akzeptiert, wenn der Regelsatz offen
neu berechnet wird unter Berücksichtigung der gestiegenen Gesundheits- und
Energiekosten. Vielleicht sollte man die zusätzliche punktuelle Abrechnung
von Sachleistungen erwägen, damit sich auch Langzeitarbeitslose und
Alleinerziehende wieder Brillen, nicht rezeptpflichtige Medikamente und
Ersatzkühlschränke leisten können. Eine neue Überschaubarkeit kann auch in
andere Gebiete einziehen, in die Bildungsförderung, die
Gesundheitsversorgung.
Die globale Wirtschaftskrise hat bekanntlich ihre Ursache in bestimmten
Fehlsteuerungen des Kapitalismus und nicht in einem Übermaß an
Umverteilung. Es wäre deshalb absurd, wenn als Folge der Krise gerade die
Parteien, die sich um sozialen Ausgleich bemühen, von den Erwerbstätigen
gemieden würden.
Es gibt ja Abgabenbereitschaft, Großzügigkeit, "sozialmoralische
Ressourcen", wie der Soziologe Heinz Bude sagt. Die Politik muss nur
sorgsam damit umgehen.
15 Jun 2009
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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