# taz.de -- Rollstuhlfahrer über Para-EM: „Integration ist harte Arbeit“ | |
> Alhassane Baldé ist Deutschlands schnellster Rollifahrer. Er will bei der | |
> Para-EM noch eine Medaille gewinnen. Wie gewunden sein Weg war, darüber | |
> spricht er. | |
Bild: Voller Hoffnung: Alhassane Baldé | |
taz: Herr Baldé, wie hoch ist denn momentan Ihr Stresspegel? | |
Alhassane Baldé: Gemäßigt. Warum fragen Sie? | |
Früher verunsicherte Sie der Anblick eines starken Konkurrenten und setzte | |
Sie unter Stress. | |
Das war früher so. Ich gucke schon noch, was die Konkurrenz macht, aber ich | |
verstecke mich nicht mehr. Durch die Erfolge der letzten Jahre habe ich | |
mehr Selbstbewusstsein gewonnen. Ich kann mich auf mich und mein Training | |
verlassen. | |
Ihre Lieblingsstrecke sind die 1.500 Meter, die am Sonntag gefahren werden. | |
Warum? | |
Das ist die Königsdisziplin. Da ist Action drin. Man weiß nicht, was | |
passiert. Das Feld ist extrem ausgeglichen, die Leistungsdichte hoch. Wir | |
werden auch zu den großen Diamond-League-Meetings in Lausanne oder Zürich | |
eingeladen, um zu demonstrieren, wie stark die Rennen in der Schadensklasse | |
T54 sind. Anderswo in der Para-Leichtathletik mag es relativ einfach sein, | |
Medaillen zu gewinnen, bei uns ist das definitiv nicht der Fall. | |
Mit den Rennrollstühlen werden bis zu 40 km/h erreicht. Sie haben einen | |
leichten Nachteil, weil Ihr Sportgerät nicht aus Karbon, sondern aus Alu | |
ist. Wie sehr fällt das ins Gewicht? | |
Da könnte man definitiv noch mal aufrüsten, weil die Konkurrenz aus | |
Amerika, England oder Japan mit Karbonrennstühlen fährt. Die werden zum | |
Teil von namhaften Autoherstellern gebaut wie Honda, Toyota oder BMW. | |
Ihre Konkurrenz ist stark, allen voran der Schweizer Marcel Hug. | |
Nicht nur er ist sehr stark. Das Niveau ist in den vergangenen Jahren enorm | |
angestiegen. Es gibt einen regelrechten Boom in unserem Bereich. Viele | |
Weltrekorde wurden zuletzt gebrochen, zum Beispiel vom US-Amerikaner Daniel | |
Romanchuk über 5.000 Meter. Ich habe in diesem Jahr auch schon zwei neue | |
deutsche Rekorde aufgestellt. Mit meiner Leistung aus dem Jahr 2015 käme | |
ich heute nicht mehr weit. | |
So richtig viele EM-Zuschauer haben Ihre Rennen im Jahn-Sportpark [1][aber | |
nicht gesehen]. Eine Enttäuschung? | |
Ja, vor allem, wenn man bedenkt, wie das im Vorjahr bei der WM in London | |
war. Da herrschte eine ganz andere Stimmung. Wir sind in Deutschland | |
offenbar noch nicht so weit. Leider. Die Akzeptanz ist in England viel | |
höher. In Deutschland wird nur über bestimmte Athleten berichtet, der Rest | |
fällt meist hinten runter. | |
Sie kämpfen gegen diese Unsichtbarkeit auch mit einer eigenen Website an, | |
die ziemlich professionell gemacht ist. | |
Man muss heutzutage visibel sein. Das ist wichtig. Ein paar lokale | |
Sponsoren unterstützen mich schon. Allein mein Stuhl kostet ja 6.000 Euro. | |
Auch mein Arbeitgeber, die Bundesagentur für Arbeit, unterstützt mich. Sie | |
hat mich weitestgehend freigestellt fürs Training. Ich halte aber Vorträge | |
für sie zum Thema Inklusion und Motivation. | |
Oftmals erzählen Sie vor Publikum einfach Ihre Lebensgeschichte. Sie sind | |
in Guineas Hauptstadt Conakry geboren worden und wurden mit vier von Ihrem | |
in Deutschland lebenden Onkel adoptiert. Wie oft waren Sie seitdem in Ihrer | |
Geburtsstadt? | |
Zweimal, 1995 und 2002. Es ist extrem beschwerlich für mich, ich kann mich | |
dort nicht so gut fortbewegen. Das ist vierte Welt, ein richtig armes Land, | |
geprägt von Korruption und den klassischen Mustern eines solchen Landes. | |
Wie ist der Bezug zu Ihrem leiblichen Vater? | |
Ich habe ihn jetzt nach 16 Jahren in Deutschland wiedergesehen. | |
Zwischendurch hatten wir natürlich Kontakt. Das Verhältnis ist nicht so | |
eng. Mein leiblicher Vater ist eher ein Verwandter für mich. Die Bindung | |
ist nicht so groß wie zu meinen Eltern. | |
Erwartet er, dass Sie die Familie in Guinea finanziell unterstützen? | |
Ja klar, das wird nicht nur erwartet, das ist ein ungeschriebenes Gesetz. | |
Schauen Sie, mein Onkel hat mich damals aufgenommen, obwohl er Student war | |
und keine Ahnung hatte, wie man ein behindertes Kind großzieht. Das zeigt | |
doch, wie Familienbande in meiner Welt funktionieren. | |
Für Sie war die Ankunft in Deutschland überlebenswichtig. | |
Ich hätte mit meiner Behinderung in Guinea nicht überlebt. Ärzte haben | |
Fehler gemacht. Sie haben bei der Geburt meines Zwillingsbruders nicht | |
erkannt, dass da noch einer im Bauch ist, noch dazu in Steißlage. Als sie | |
mich mit Gewalt herausholten, ging die Wirbelsäule kaputt. | |
In Deutschland erkannten Ärzte dann, dass Sie ab dem 8. Brustwirbel abwärts | |
gelähmt sind. | |
Ich habe noch „Glück“ gehabt, weil ich das Gespür in den Beinen voll habe. | |
Die Sensorik ist da, die Motorik nicht. | |
Wie ist Ihr Stiefvater nach Deutschland gekommen? | |
Er ist 1978 mit 23 vor politischer Verfolgung geflüchtet. Er lief Gefahr, | |
gefangen genommen und gefoltert zu werden. Er hat es geschafft, sich zu | |
etablieren. Er hat Deutsch gelernt, BWL in Münster studiert, im Studium | |
seine spätere deutsche Frau kennengelernt. Heute ist er Controller bei | |
einem Versicherungsunternehmen. | |
Das ist eine sehr aktuelle Geschichte. | |
Ich hatte Glück, in so eine Familie hineinzuwachsen. Für ihn war | |
Integration sehr wichtig, harte Arbeit. Er wollte, dass ich in der Schule | |
gut bin. Er hat mir vermittelt: Auch wenn ich schwarz und behindert bin, | |
kann ich es hier schaffen und solle mich bloß nicht hängen lassen. Nur | |
deutscher Staatsbürger ist er noch nicht geworden. Das wollte er nicht. Er | |
sagt, er sei ein „echter Guinese“ und ich ein falscher. | |
Und Sie? | |
Ich habe den deutschen Pass schon als Kind bekommen. Mein Vater (gemeint | |
ist sein Stiefvater; d. Red.) hat sich angepasst an Deutschland, er hat | |
sich durchgebissen. Er ist viel härter als ich. Er hätte ja auch bitter | |
werden können und sich nur mit Afrikanern umgeben können, aber nein, er hat | |
die Kultur hier umarmt, ohne seine eigene zu vergessen. Das ist, finde ich, | |
auch ein ganz guter Leitfaden für andere Flüchtlinge. Es würde zumindest | |
für mehr Akzeptanz sorgen. | |
Können Ihrer Meinung nach Fluchtursachen in Guinea mit europäischem Geld | |
wirksam bekämpft und kann das Land so stabilisiert werden? | |
Nein, das sind nur Bekenntnisse. Es gibt so viele Probleme: Bildung, | |
Korruption, tradierte Familienverhältnisse, Armut. Diejenigen, die so | |
leichtfertig daherreden, sollten mal ein halbes Jahr vor Ort leben. Im | |
Grunde müsste alles von rechts auf links gedreht werden. | |
Auf Twitter haben in der letzten Zeit viele Migranten unter dem Hashtag | |
#MeTwo über Alltagsrassismus in Deutschland berichtet. Hätten Sie da | |
mitmachen können? | |
Ich war nicht so krass davon betroffen. Explizit habe ich Rassismus nicht | |
erlebt. | |
Wirklich? | |
Doch, einmal ist was passiert. Wir haben in Düsseldorf in einer Gegend | |
gewohnt, wo es nicht gern gesehen war, dass eine deutsche Frau mit einem | |
Schwarzen zusammenlebt. Sie haben dann „Hure“ an die Hauswand gesprüht. Das | |
habe ich als Kind natürlich nicht richtig einordnen können. | |
25 Aug 2018 | |
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## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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