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# taz.de -- Deutsche Meisterin im Para-Karate: Ein Kampf mit Atempause
> Fünf Mal ist sie Deutsche Meisterin im Karate für Menschen mit Handicap
> geworden. Nun will Petra Lenz die nächste Meisterschaft und den schwarzen
> Gürtel.
Bild: Meditative Ruhe und eine eruptive Energie: Petra Lenz beim Training
Lübeck taz | Sie ist fast so weit. Petra Lenz hat Uwagi und Zubon, Jacke
und Hose des Karate-Trainingsanzugs Keigoki angezogen. Um die Hüften trägt
sie einen Gürtel, er ist braun. Danach kommt nur noch der schwarze. Es ist
noch still an diesem Winterabend.
Lenz greift zu einem schwarzen Kasten. Er erinnert etwas an einen
Kassettenrekorder aus den achtziger Jahren. Es handelt sich um ein mobiles
Sauerstoffgerät, ohne das könnte sie keinen Sport machen. Sie hat starkes
Rheuma. Das hat ihre Lunge und Nieren geschädigt.
Dennoch ist Lenz, die 49-jährige Bad Schwartauerin, fünf Mal Deutsche
Meisterin im Para-Karate geworden. Jetzt legt sie einen Kunststoffschlauch
an ihre Nase, der Sauerstoff in ihre Lungen strömen lässt.
Nach wenigen Sekunden legt sie die Sonde wieder ab, schaltet das Gerät aus,
geht mit ihm unter ihrem Arm zur Tür und schreitet aus dem Halbdunkel der
Umkleidekabine in die helle Trainingshalle des Karate-Dojo in Lübeck. „Los
geht’s“, sagt sie.
Pünktlich um 19 Uhr steht sie auf der blau-roten Matte, zusammen mit drei
weiteren Athleten des Vereins – bereit, den Anweisungen von Trainer Sven
Ferner, der auch Vorsitzender des Clubs ist, zu folgen.
Anders als Karate früher oftmals dargestellt wurde, finden heute keine
„Tameshiwari“ mehr statt, das sind Tests, bei denen Bretter oder Ziegel
zerschlagen werden. Die asiatische Kampfkunst, deren japanischer Name sich
mit „leere Hand“ übersetzen lässt, besteht aus drei Säulen: beim Kihon g…
es um das Erlernen der Grundtechniken, das Kumite ist der Kampf zweier
Gegner ohne vorherige Absprache der Techniken. Und schließlich gibt es noch
die Kata – auf die bereiten sich Lenz und ihre Dojo-Kollegen gerade vor.
Bei der Kata handelt es sich um eine Art Kür – vergleichbar mit einer beim
Eiskunstlauf oder Kunstturnen. Die Übungsform, die aus einzelnen
Kampfelementen besteht, wird gegen imaginäre Gegner ausgeführt. Sie bietet
dem Zuschauer ein Zusammenwirken zweier Extreme: eine fast schon
meditative Ruhe und eine eruptive Energie, die sich mit furchteinflößenden
Kampfschreien Bahn bricht.
Dabei beginnt alles ganz gemächlich, beinahe tänzerisch. Die Fußsohlen
gleiten über die Matte, während sich die Körper um die eigene Achse drehen.
Trainer Ferner beginnt zu zählen, auf Japanisch. „Itsch, ni“, das heißt
eins und zwei. Die Arme der Karateka bewegen sich schnell, die Hände formen
sich mal zu Tigerkrallen, zu Fäusten, dann ist die „leere Hand“ zu sehen,
die in vertikaler Position bedrohlich wirkt. „San“ und „Schi“ tönt es …
die kleine Halle, drei und vier. Die Bewegungen der Arme, Beine und Füße
nehmen an Tempo zu, bringen sich in Position. Trainer Ferner ruft „Gooo“,
fünf, und nun schreien die Kämpfer.
## Karate als Ausgleich
Eine halbe Stunde später glänzt Lenz’ Gesicht, der Schweiß rinnt ihr von
der Stirn. „Pause“, sagt sie. „Ich brauche eine Pause.“ Sie greift zu i…
Trinkflasche. Das Sauerstoffgerät steht neben ihren Füßen. Noch braucht sie
es nicht. Anders als bei den Wettkämpfen der Deutschen Meisterschaft, die
sie bereits fünfmal gewonnen hat. Da ging es ganz anders zu. „Das läuft
nach dem Motto: Zwei Minuten sterben und dann wieder lebendig werden“, sagt
Lenz.
Sie ist schon lange dabei. 1989 hat sie mit Karate angefangen. „Ich wollte
das mal ausprobieren, als Ausgleich zum stressigen Job als
Krankenschwester“, sagt sie. Fünf Jahre später hörte sie auf. „Mir ging …
gesundheitlich nicht so gut.“ Seit 2009 übt sie Para-Karate aus. „Ich habe
eine Beinbehinderung“, erklärt sie. Früher habe sie im Training und bei
Wettkämpfen Orthesen an den Kniegelenken getragen, zur Stabilisation. 2016
erhielt sie das erste, 2017 das zweite künstliche Kniegelenk. „Für Phasen
des längeren Stehens habe ich einen Rollstuhl, doch bei den Katas geht es
ohne“, sagt Lenz.
Es ist die Wettkampfform, auf die sie wegen ihrer Behinderung festgelegt
ist. Das Kumite, der direkte Kampf zwischen Athletinnen und Athleten, ist
im Para-Karate hierzulande nicht erlaubt. „In Deutschland sind sie noch
nicht so weit“, sagt sie. Man habe Angst, „dass sich die geistig
Behinderten die Köppe einschlagen“.
## Gleichbehandlung für alle
Einmal habe sie an einem Kumite teilgenommen. In der kleinen französischen
Rhône-Gemeinde Lentilly war das. „Ich hatte von anderen Sportlern erfahren,
dass es das Turnier dort gibt.“ Also sei sie 2015 dahin gefahren. Plötzlich
war sie mittendrin und wurde als Kämpferin aufgerufen. Schon damals hat sie
gewonnen. „Zwei Kumite habe ich bestritten, am Ende hieß es jeweils 8:0“,
sagt Lenz.
Trainer Ferner will, dass sie weitermacht. „Er ist streng, aber fair“, sagt
sie. „Ich muss meinen Trainer ja auch nicht lieben.“ Sie probt die nächsten
Kata. 26 gibt es im Shotokan, der weitverbreitesten Stilrichtung. Einige
davon kann sie nicht ausüben, weil sie ihre Knie nicht so stark belasten
kann. Vom Hinfallen auf die Matte ganz zu schweigen.
„Bei den Wettkämpfen wissen die Juroren um die körperliche
Beeinträchtigung“, erklärt der Trainer. Das werde in der Bewertung
berücksichtigt. Rücksichtnahme lasse er natürlich auch walten – etwa, wenn
Lenz nach den Übungen etwas Zeit zum Luftholen benötige. „Aber eine
Extrawurst bekommt sie hier nicht gebraten.“ Ferner macht sein Training im
Sinne der Inklusion. Das heißt für ihn, sie bekommt kein Mitleid, sondern
wird behandelt wie die anderen auch.
## Keine Starterlaubnis bei den Paralympischen Spielen
Nach einer Stunde ist die Einheit beendet. Lenz geht mit zurück zur Bank.
Sie legt die Nasenschlauch an, atmet tief ein. Wie lange sie den Sport noch
ausüben will, weiß sie noch nicht. Eine Teilnahme an den Paralympischen
Spielen 2024, wenn sich Karate erstmals im Programm finden wird, ist für
sie sowieso kein Thema. „Da darf ich nicht starten, weil ich nicht im
Rollstuhl sitze“, erklärt sie.
Klar sei das schade. Doch dann ist sie schon Mitte fünfzig. Andere Ziele
sind da greifbarer. Die nächsten sind klar: der sechste Titel zur Deutschen
Meisterin und der schwarze Gürtel. Lenz steht auf, trägt das
Sauerstoffgerät unter ihrem linken Arm, und geht aus der Sporthalle.
8 Jan 2019
## AUTOREN
Christian Görtzen
## TAGS
Karate Kid
Inklusion
Menschen mit Behinderung
Leben mit Behinderung
Schwerpunkt Paralympics 2024
Para-EM
Segeln
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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