# taz.de -- Streit zwischen USA und Türkei: Türkische Lira schmiert ab | |
> Die Lira-Krise erfasst auch die Währungen von Schwellenländern. Doch | |
> IWF-Hilfen lehnt Erdoğan im Streit mit den USA strikt ab. | |
Bild: Damit kann man immer weniger kaufen: türkische Lira | |
Berlin taz | Wie wenig der liebe Gott gegen das böse Geld hilft, zeigte | |
sich auch am Montag, als die türkische Lira weiter an Wert verlor. „Die USA | |
haben ihren Dollar, aber wir haben unseren Gott“, hatte Präsident Recep | |
Tayyip Erdoğan noch vor kurzem gesagt. Aber im Streit mit den USA zog die | |
Türkei vorerst weiter den Kürzeren: Nachdem die Lira bereits am Freitag 21 | |
Prozent ihres Wertes eingebüßt hatte, fiel sie auch am Montagmorgen ab – | |
und zog die Börsen sogar in Japan nach unten. | |
Erfasst von der Lira-Krise wurden auch Währungen von großen | |
Schwellenländern. Am Montagmorgen stand besonders der südafrikanische Rand | |
unter Druck, der zwischenzeitlich um 10 Prozent absackte. Auch der | |
mexikanische Peso gab nach. Der Dax startete den Handel am Montag 0,6 | |
Prozent schwächer. | |
Kurz zuvor waren drastisch erhöhte [1][US-Strafzölle gegen die Türkei in | |
Kraft] getreten. Nun wird Stahl aus der Türkei mit Abgaben in Höhe von 50 | |
Prozent statt bislang 25 Prozent belegt, wie das Weiße Haus zuvor verkündet | |
hatte. US-Präsident Donald Trump hatte die Verdoppelung am Freitag | |
angeordnet. | |
Im asiatischen Handel sank der Wert der türkischen Währung am frühen Montag | |
im Vergleich zum Euro und zum US-Dollar zeitweise erneut zweistellig. | |
Erstmals mussten mehr als sieben Lira für einen US-Dollar und mehr als acht | |
Lira für einen Euro gezahlt werden. Damit setzte sich der drastische | |
Kursverfall seit Jahresbeginn fort. | |
Hintergrund der Währungsturbulenzen ist ein Streit zwischen den | |
Nato-Partnern Türkei und USA um zwei Geistliche. Die USA fordern die | |
Freilassung des [2][evangelikalen US-Pastors Andrew Brunson, der wegen | |
Terrorvorwürfen in der Türkei festgehalten wird.] Die Türkei wiederum will, | |
dass die USA den dort lebenden türkischen Prediger Fethullah Gülen | |
ausliefern, diesen macht Erdogan für den Putschversuch von 2016 | |
verantwortlich. Am Wochenende verschärfte sich der Ton erneut: | |
Staatspräsident Erdoğan sprach in mehreren kämpferischen Reden von | |
„Kampagnen“ gegen sein Land und griff die USA erneut scharf an. | |
## Erdoğan: „Ganz klar ein Währungskrieg“ | |
„Ihr versucht, 81 Millionen Türken für einen Pastor zu opfern, der | |
Verbindungen zu Terroristen hat“, sagte er – ohne die USA direkt zu | |
erwähnen – am Sonntag in der Stadt Trabzon. „Aber wir haben euren Plot | |
durchschaut und fordern euch heraus.“ Was die USA mit Provokationen nicht | |
geschafft hätten, versuchten sie nun mit Geldpolitik zu erreichen. Es sei | |
„ganz klar ein Wirtschaftskrieg“. | |
Der türkische Finanzminister Berat Albayrak kündigte in einer Serie von | |
Tweets einen „Aktionsplan“, der von Montagmorgen an gelten sollte. Außerdem | |
versprach Albayrak der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge, dass | |
Einlagen nicht beschlagnahmt und Devisen auf Bankkonten nicht in Lira | |
umgewandelt würden. | |
Nach langem Schweigen meldeten sich auch die Währungshüter des Landes zu | |
Wort. Die türkische Zentralbank verkündete am Montagmorgen, den | |
Geldinstituten des Landes werde in der aktuellen Krise ausreichend | |
Liquidität zur Verfügung stehen. Dafür würden die Reserveanforderungen an | |
bestimmte Währungsgeschäfte verringert. | |
Zudem wurden den heimischen Banken zusätzliche Refinanzierungsgeschäfte | |
angeboten. Die Geldhäuser können sich zudem zusätzliche Mittel in | |
Fremdwährung leihen. Die Notenbank teilte mit, die Märkte genau zu | |
beobachten. Es würden alle Schritte ergriffen, um die Finanzstabilität zu | |
sichern. Das half der Lira aber nur kurzfristig. Die türkische Währung | |
legte zunächst zu, rutschte dann aber wieder ab. | |
Bereits am Wochenende hatte Finanzminister Albayrak Maßnahmen für die | |
Wirtschaft angekündigt, die die Märkte beruhigen und den starken | |
Kursverfall der Lira stoppen sollten. „Von Montagmorgen an werden unsere | |
Institutionen die notwendigen Schritte unternehmen und dies den Märkten | |
mitteilen“, sagte der in einem Interview der Zeitung Hürriyet. | |
Erdoğan geht derweil davon aus, dass die unter Druck geratene Lira wieder | |
auf ein vernünftiges Niveau klettert. Das Verbreiten von gegenteiligen | |
Nachrichten käme ihmzufolge Verrat gleich. Sein Innenministerium erklärte | |
am Montag, es habe Ermittlungen gegen 346 Accounts angeregt, die mit ihren | |
Inhalten zum Verfall der Lira beigetragen hätten. Die Staatsanwaltschaft in | |
Istanbul erklärte, sie habe Untersuchungen gegen jene eingeleitet, die mit | |
ihren Aktionen die wirtschaftliche Stabilität bedroht hätten. | |
## Ökonom hält die Krise für „hochgefährlich“ | |
Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, Clemens Fuest, hält die | |
Türkei-Krise für „hochgefährlich“ und rät dem Land dazu, Hilfen beim | |
Internationalen Währungsfonds (IWF) zu beantragen. „Wir müssen uns massiv | |
Sorgen machen“, kommentierte Fuest im Handelsblatt vom Montag den jüngsten | |
Absturz der türkischen Lira. Fuest sprach von einer „klassischen | |
Wirtschafts- und Währungskrise“. Die Ankündigung von US-Sanktionen gegen | |
die Türkei, die seit Montagmorgen gelten, seien der „Tropfen, der das Fass | |
zum Überlaufen gebracht hat“. Die Türken sollten nun um Hilfe beim IWF | |
nachsuchen. „Die Europäer sollten diesen Weg unterstützen.“ Letztlich hä… | |
Fuest eine Zinserhöhung der Notenbank für das Richtige, die aber das Risiko | |
einer Rezession mit sich bringe. | |
„Langfristig hilft der Türkei nur ein grundlegender Politikwechsel“, sagte | |
Fuest. Es sei auch im Interesse der Europäer, einen wirtschaftlichen | |
Absturz des Landes zu verhindern: „Die Türkei ist ein wichtiger | |
Handelspartner.“ Zudem habe das Land eine große geopolitische Bedeutung. | |
Theoretisch könnten die Europäer der Türkei auch mit Euro-Darlehen helfen | |
und dafür Bedingungen formulieren. Angesichts der aktuellen Politik von | |
Präsident Erdoğan wären solche europäische Hilfen aber wohl sehr unpopulär, | |
räumte der Ifo-Chef ein. | |
Die türkische Regierung hat auch bereits Hilfen des IWF strikt abgelehnt. | |
Dabei hatte Erdogan nach den Krisen Anfang der Nuller Jahre alle | |
Sparmaßnahmen, die der IWF dem Land im Gegenzug für Hilfen auferlegt hatte, | |
knallhart durchgezogen. Für Beobachter ein Grund für den Aufstieg des | |
Schwellenlandes Türkei – und den Erfolg Erdogans: Im ersten Jahrzehnt der | |
AKP-Herrschaft verdreifachte sich das Einkommen je Einwohner. | |
Die Wirkung der Türkei-Krise für Deutschland halten Experten für begrenzt: | |
Das Problem sei „überschaubar“, sagte Fuest. Das ökonomische Gewicht der | |
Türkei sei dann doch nicht so groß, als dass die dortige Krise eine | |
Rezession in Deutschland oder Europa auslösen müsse. Andererseits | |
verschärfe die dortige Entwicklung aber eine ohnehin schon schwierige Lage | |
für die Weltwirtschaft, die schon durch die US-Strafzölle und den Brexit | |
belastet sei. Auch in Europa sei die wirtschaftliche Lage fragil. Deshalb, | |
so Fuest, sei eine Stabilisierung der Türkei „in unserem Interesse.“ | |
(mit Reuters und AP) | |
13 Aug 2018 | |
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## AUTOREN | |
Kai Schöneberg | |
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