# taz.de -- Pfefferspray führt zu Herzversagen: Tödlicher Polizeieinsatz | |
> Nach einem Pfefferspray-Einsatz der Polizei bei Hannover stirbt ein Mann. | |
> Der Fall liegt bei der Staatsanwaltschaft, aber ermitteln will die erst | |
> mal nicht | |
Bild: Auf Demonstrationen häufig im Einsatz: Pfefferspray | |
Hamburg taz | Pfefferspray ist tausend Mal so scharf wie ein Jalapeño. Wer | |
es ins Auge bekommt, kann bis zu 30 Minuten lang erblinden, die Lider | |
krampfen und die Augen tränen, bei Kontaktlinsenträger*innen können | |
dauerhafte Schäden an der Hornhaut entstehen. Im Hals und der Lunge kratzt | |
es und führt zu Hustenanfällen und Atemnot, auf der Haut brennt und juckt | |
es noch Stunden nach einem Einsatz. Aber das sind nur die Folgen für | |
gesunde Menschen. Wer unter Asthma, Allergien oder psychischen Störungen | |
leidet, für den kann Pfefferspray tödlich sein. | |
Obwohl das pflanzliche Gift, der Reizstoff Oleoresin Capsicum (OC), seit | |
1972 als biologische Waffe für den Kriegseinsatz verboten ist, bleibt es in | |
Deutschland für den Einsatz im Inneren erlaubt. Verkauft werden darf das | |
Spray zwar nur für die Abwehr von Tieren, aber in Notwehr dürfen Menschen | |
es auch gegen andere Menschen einsetzen. Auf Demos oder in Fußballstadien | |
geht die Polizei häufig eher großzügig mit dem Reizgas um. Am Samstag | |
setzte sie Pfeffer gegen einen Mann ein, der auf der Straße randalierte – | |
am Ende war er tot. | |
Anwohner*innen hatten am Abend die Polizei alarmiert, weil der Mann auf der | |
Straße Autos beschädigt habe. Als die Polizei eintraf, habe der 39-Jährige | |
mit einer Eisenstange auf einen Einsatzwagen eingeschlagen. Außerdem habe | |
er Steine auf die Beamt*innen geworfen und sich heftig gegen die Festnahme | |
gewehrt, [1][berichtete die Polizei]. Die Beamt*innen hätten Pfefferspray | |
gegen ihn eingesetzt, woraufhin er zusammengesackt sei und das Bewusstsein | |
verloren habe. Er starb im Krankenhaus. | |
Der Fall liegt jetzt bei der Staatsanwaltschaft Hannover, aber ermitteln | |
will die erst einmal nicht: Es gebe keine Anhaltspunkte für ein | |
Fehlverhalten seitens der Polizei, sagte der Oberstaatsanwalt Thomas | |
Klinge. „Ermittlungen führt man nur, wenn zureichende Anhaltspunkte für | |
eine Straftat vorliegen.“ | |
Dass bei dem Polizeieinsatz jemand gestorben ist, reicht offenbar nicht als | |
Anhaltspunkt – ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Pfeffersprayeinsatz | |
und dem Tod des Betroffenen lasse ja noch nicht auf einen kausalen | |
Zusammenhang schließen, sagte Klinge. Allerdings wurde eine Obduktion des | |
Toten angeordnet. Ein vorläufiges Ergebnis ergab am Montag ein | |
Herz-Kreislauf-Versagen als Todesursache. Der Mann war offenbar herzkrank. | |
## Einsatz kann lebensgefährlich sein | |
Die Polizei vermutet, dass er auch unter Drogen stand. In einem | |
[2][Gutachten] kam der wissenschaftliche Dienst des Bundestags 2010 zu dem | |
Schluss: „Indirekte gesundheitliche Gefahren beim Einsatz von Pfefferspray | |
bestehen insbesondere für solche Personen, die unter Drogeneinfluss stehen | |
oder Psychopharmaka eingenommen haben. So beschrieb etwa das | |
US-amerikanische Justizministerium im Jahre 2003 zahlreiche Todesfälle in | |
diesem Zusammenhang.“ Wenn der Körper ohnehin unter Stress steht, kann das | |
Reizgas der Tropfen sein, der dass Fass zum Überlaufen bringt. | |
Der Direktor des toxikologischen Instituts Hannover, Ingo Just, will sich | |
zwar vor einem ausführlichen Obduktionsbericht nicht festlegen, hält aber | |
aufgrund der Schilderungen der Polizei eine Wechselwirkung mit Drogen für | |
eher unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher sei, dass der Betroffene eine | |
Angststörung gehabt habe. | |
Das allerdings sei der noch größere Skandal, sagt Thomas Feltes, Professor | |
für Kriminologie an der Ruhr-Universität Bochum. „Auf Seiten der Polizei | |
müssten bei jedem Kontakt mit jemandem, der Symptome für psychische | |
Störungen zeigt, die Alarmglocken klingeln“, sagt er. Anstatt dann Pfeffer | |
einzusetzen, müssten die Beamt*innen externe Hilfe etwa vom | |
sozialpsychiatrischen Dienst oder dem SEK anfordern. | |
Häufig entstehe stattdessen aber eine Gruppendynamik. Das führe dazu, dass | |
die Beamt*innen sofort die Situation unter Kontrolle bekommen wollten und | |
nicht mehr rational, sondern nur noch emotional handelten. Er vermutet, | |
dass die Polizei viel öfter Reizgas einsetzt, als es das Gesetz erlaubt. | |
Der Verbrauch wird nicht dokumentiert. | |
Dass die Staatsanwaltschaft nicht ermittelt, sondern erst die Obduktion | |
abwarten will, hält der Kriminologe für eine „sehr falsche Ausrede“. Wo es | |
einen nicht-natürlichen Todesfall gebe, würden normalerweise Beweismittel | |
gesichert, der Tatort untersucht, Zeug*innen befragt. Selbst bei einem | |
schweren Verkehrsunfall sei es nicht selten, dass ein Vertreter der | |
Staatsanwaltschaft den Ort des Geschehens begutachte. „Das nicht zu tun, | |
ist ein geeignetes Mittel, um Beweise zu vertuschen“, sagt Feltes. | |
20 Aug 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/66841/4038261 | |
[2] http://www.bundestag.de/blob/191580/%20825a5997105f8aede09106fe71b92bce/pfe… | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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