| # taz.de -- Bundesweiter Netzausbau: Land unter Strom | |
| > Der alternative Strom steht bereit, doch der Netzausbau von Nord nach Süd | |
| > stockt. Jetzt kümmert sich der Wirtschaftsminister selbst darum. | |
| Bild: Wirtschaftsminister Peter Altmaier posiert mit einer seiner Trassen | |
| Bornheim/Haren/Cloppenburg taz | Protest schreckt den Wirtschaftsminister | |
| nicht ab. Im Gegenteil: Als vor der Umspannanlage Sechtem nahe der | |
| nordrhein-westfälichen Kleinstadt Bornheim eine Handvoll Landwirte mit | |
| selbst gemalten Plakaten die Pläne für eine neue Stromleitung kritisiert, | |
| stürmt Peter Altmaier als Erstes direkt auf sie zu. Seine Gastgeber vom | |
| Netzbetreiber Amprion, die die Leitung bauen wollen, müssen erst mal | |
| warten. | |
| „Schneller Ausbau – aber fair“ steht auf einem Plakat. „Unser Land gibt… | |
| nicht für lau!“ auf einem anderen. Die Bauern wollen mehr Geld, wenn | |
| Leitungen über ihre Felder führen. „Ich kann Ihr Anliegen verstehen“, sagt | |
| der Minister. „Aber ich kann Ihnen kein Versprechen machen.“ Das ist | |
| maximal unkonkret, aber die Landwirte sind trotzdem zufrieden. Sie fühlen | |
| sich immerhin ernst genommen. | |
| Auch in der gut gefüllten Stadthalle von Cloppenburg hält Altmaier als | |
| Erstes auf die Gruppe derer zu, die mit großen Buchstaben auf ihren | |
| T-Shirts „E R D K A B E L“ verlangen, gibt jedem Einzelnen die Hand – und | |
| bekommt am Ende auch von ihnen Applaus. Einige wollen sogar ein Selfie mit | |
| dem Minister. | |
| Das ist das Hauptziel der dreitägigen Tour, die CDU-Mann Altmaier durch | |
| Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen führt: zeigen, dass er das Thema | |
| Netzausbau ernst nimmt. „Das ist jetzt Chefsache“, sagt er. | |
| Keine Tricks beim Netzausbau | |
| Um das zu beweisen, ist dem Minister keine Inszenierung zu albern. Altmaier | |
| posiert mit Helm und Warnweste auf einer penibel aufgebauten, sauber | |
| geharkten Baustelle, auf der extra fürs Foto schon ein Stück Erdkabel | |
| bereitliegt, obwohl die Leitung eigentlich erst in ein paar Wochen durch | |
| die Rohre geführt wird. Altmaier bewundert mit hochgerecktem Daumen | |
| Arbeiter, die vor seinen Augen einen neuen Strommast montieren. Altmaier | |
| drückt einen Knopf, der angeblich eine neue Konverterstation für Windstrom | |
| in Betrieb setzt – aber gar nicht an ein Kabel angeschlossen ist. | |
| In der Wirklichkeit lässt sich beim Netzausbau nicht so leicht tricksen. | |
| Dort muss jeder Kilometer Kabel tatsächlich auf die Masten gehängt oder in | |
| den Boden gelegt werden. Und das dauert. Von 1.800 Kilometern neuer | |
| Leitungen, die 2009 beschlossen wurden und eigentlich schon bis 2015 fertig | |
| sein sollten, ist bisher nicht mal die Hälfte fertig. Bei vier weiteren | |
| neuen Kabeln, mit denen spätestens im Jahr 2025 Windstrom aus dem Norden | |
| mit geringen Verlusten in den Süden transportiert werden soll, wurde die | |
| Planung komplett neu gestartet – um, als Reaktion auf die zahlreichen | |
| Proteste, eine überwiegend unterirdische Verlegung zu ermöglichen. | |
| Das ist ein Problem – gerade und vor allem für die Energiewende. Zwar gibt | |
| es auch Energiewendefreunde, die die Notwendigkeit neuer Leitungen | |
| bezweifeln – etwa die Energiewissenschaftlerin Claudia Kemfert oder der | |
| Verein Eurosolar. Doch die allermeisten ExpertInnen sind sich einig, dass | |
| die neuen Leitungen dringend gebraucht werden, um Windstrom aus | |
| Norddeutschland sowie aus Nord- und Ostsee zu den Verbrauchszentren im | |
| Westen und Süden zu schaffen. Erst recht, wenn 2023 alle Atomkraftwerke und | |
| ein Teil der Kohlekraftwerke stillgelegt werden. Schon heute ist die | |
| installierte Kapazität erneuerbarer Energien im Norden weit höher als der | |
| maximale Stromverbrauch. | |
| An Tagen mit besonders viel Wind muss darum schon heute im Norden ein Teil | |
| der Windräder abgeschaltet werden. Stattdessen gehen im Süden zusätzliche | |
| konventionelle Kraftwerke ans Netz. Redispatch, zu Deutsch Neulieferung, | |
| nennen die Netzbetreiber dieses Vorgehen, das viel Geld kostet. Denn zum | |
| einen bekommen die Besitzer der Windräder eine Entschädigung für den Strom, | |
| den sie, weil Netze fehlen, nicht liefern durften; zum anderen muss der | |
| stattdessen produzierte Strom vergütet werden. Auf 1,4 Milliarden Euro | |
| sind die Gesamtkosten für den Redispatch im letzten Jahr gestiegen. Bezahlt | |
| werden auch diese Kosten über die Stromrechnung, pro Haushalt macht das | |
| derzeit etwa 15 Euro im Jahr. Mit jedem Windpark, der im Norden | |
| fertiggestellt wird, verschärft sich das Problem. Ohne Netzausbau könnten | |
| sich die Kosten in den nächsten Jahren vervierfachen, warnt darum Jochen | |
| Homann, Chef der Bundesnetzagentur. | |
| Proteste gegen „Monstertrassen“ | |
| Doch auch dieser Ausbau verursacht Kosten. Und zwar weitaus mehr als in der | |
| Vergangenheit. Denn als Reaktion auf die wachsenden Proteste gegen neue | |
| „Monstertrassen“, wie Bürgerinitiativen die Stromleitungen mit ihren Masten | |
| nennen, hat die Bundesregierung im Jahr 2015 beschlossen, dass künftig mehr | |
| Stromleitungen unter die Erde gelegt werden sollen. Das kostet nach Angaben | |
| der Netzbetreiber je nach geologischen Gegebenheiten fünf- bis zehnmal so | |
| viel wie eine Freileitung an Masten – t bis zu 10 Millionen Euro pro | |
| Kilometer. | |
| Wie diese Kosten zustande kommen, erschließt sich auf der | |
| Erdkabelbaustelle, die der Minister im emsländischen Haren besichtigt, | |
| nicht unmittelbar. Mit Baggern wird ein knapp zwei Meter tiefer Graben | |
| ausgehoben, auf ein Sandbett werden erst sechs und im nächsten Schritt noch | |
| einmal sechs Kunststoffrohre gelegt. Dann wird die Trasse wieder | |
| zugeschüttet. So weit, so normal. | |
| Teuer ist vor allem das Kabel, das durch die Rohre gezogen wird. Anders als | |
| Freileitungen besteht es aus reinem Kupfer und braucht eine dicke | |
| Isolierschicht. Die Kabel sind so massiv, dass maximal ein Kilometer am | |
| Stück verlegt werden kann – größere Rollen lassen sich auf der Straße | |
| schlicht nicht transportieren. | |
| Für die meisten betroffenen BürgerInnen sind die Erdkabel aber die erste | |
| Wahl. Sofern sie die Leitungen nicht komplett infrage stellen, wollen sie | |
| sie wenigstens unter der Erde haben. Doch dieser Wunsch wird oft nicht | |
| erfüllt. Die gesetzliche Vorgabe, dass Kabel in Zukunft standardmäßig | |
| vergraben werden, gilt nur für die geplanten Fernleitungen von Norden nach | |
| Süden. Im Fachjargon: HGÜ-Leitungen, weil sie Hochspannungsgleichstrom | |
| übertragen. In dieser Form lässt sich der Strom mit sehr geringen Verlusten | |
| über große Strecken transportieren. Produziert und verbraucht wird die | |
| Elektrizität jedoch als Wechselstrom. Für den Transport als Gleichstrom | |
| sind Konverter erforderlich. HGÜ-Leitungen lohnen sich daher nur für lange | |
| Strecken. | |
| „Es gibt individuelle Lösungen“ | |
| Im normalen Netz fließt hingegen Wechselstrom. Der kann aus technischen | |
| Gründen nur über wenige Kilometer am Stück unterirdisch transportiert | |
| werden. Und zulässig ist das wegen der Kosten bisher auch nur als Ausnahme, | |
| wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind – etwa dass der Mindestabstand von | |
| 400 Metern zu Siedlungen unterschritten wird. | |
| Und das ist meist nicht der Fall. In Niedersachsen etwa plant Netzbetreiber | |
| Tennet nur 80 von 615 geplanten Kilometern als Erdkabel. „Das sind | |
| homöopathische Dosen“, klagt ein Vertreter einer Bürgerinitiative in der | |
| Stadthalle Cloppenburg bei der Diskussion mit Peter Altmaier. „Die Trassen | |
| werden extra um die Ecke geführt, damit kein Erdkabel gebaut werden muss“, | |
| beschwert sich ein Anwohner und überreicht dem Minister ein Fotoalbum, das | |
| die bedrohte Idylle des Dorfes zeigt. | |
| In manchen Fällen zahlen die Netzbetreiber einzelnen Anwohnern auch Geld, | |
| damit diese einen geringeren Abstand der Leitungen von ihren Häusern | |
| akzeptieren und die Projekte schneller vorankommen. „Es gibt individuelle | |
| Lösungen“, bestätigt Tennet-Chef Lex Hartmann. | |
| Auch bei den Landwirten wecken die Leitungen neuen Begehrlichkeiten. Sie | |
| bekommen bisher neben einer Entschädigung für Ernteverluste beim Bau eine | |
| einmalige Zahlung in Höhe von 20 Prozent des Verkehrswerts ihrer Äcker, | |
| wenn Stromleitungen darüber führen. „Das sorgt für Akzeptanz, aber nicht | |
| für Euphorie“, sagt Lambert Hurink vom Landvolk – zumal die Entschädigung | |
| der Bauern bei Erdkabeln wegen der schmaleren Trassen sogar geringer | |
| ausfällt als bei Freileitungen. In Zukunft hätten sie lieber eine | |
| wiederkehrende Zahlung, wie sie Betreiber von Windrädern bekommen. Der | |
| Wirtschaftsminister zeigt Verständnis, allzu viel Hoffnung macht er den | |
| Bauern aber nicht. „Auch das müsste schließlich von den Stromkunden bezahlt | |
| werden“, sagt er. Realistischer sei eine Entlastung der Bauern durch | |
| Verzicht auf Kompensationsmaßnahmen, die Ackerland verknappen. | |
| Jede Beschwerde, jede Forderung hört der Minister geduldig an und | |
| verspricht, dass am Ende die Variante realisiert wird, die insgesamt am | |
| verträglichsten sei. Eine Grenze ist nur erreicht, wenn der Ausbau | |
| insgesamt infrage gestellt wird. „Wenn die Leitungen nirgendwo gebaut | |
| werden“, stellt Altmaier klar, „kann die Energiewende nicht gelingen.“ | |
| 18 Aug 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Malte Kreutzfeldt | |
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