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# taz.de -- Die Wahrheit: Per Stechschritt in den Abgrund
> Wer eine Reise mit der Eisenbahn tut, tut auch in Irland gut dran, sich
> von Mitpassagieren erstmal nicht drangsalieren zu lassen.
Bürstenschnitt, starrer Blick, das Gewehr geschultert – so marschiert er im
Stechschritt an mir vorbei. Plötzlich bleibt er stehen, zählt bis acht,
macht auf dem Absatz kehrt und läuft in die entgegengesetzte Richtung. Zwei
Minuten später taucht er wieder auf. Bisweilen legt er das Gewehr an, zielt
auf irgendetwas und sieht mich dabei provozierend an. So geht das fast zwei
Stunden. Was für eine Energie! Was für eine Nervensäge!
Irgendwann platzt mir der Kragen. Als er gerade wieder an mir
vorbeimarschiert, schiebe ich meine Tasche in seinen Weg. Er fällt prompt
auf die Nase und rennt weinend zu seiner Mutter, die am anderen Ende des
Eisenbahnabteils sitzt. Sie saust den Gang entlang und schnauzt mich an.
Ihr Neunjähriger hat mich verpfiffen.
Ich erkläre, dass er mit seinem Gewehr auf mich gezielt und ich in Notwehr
gehandelt habe. Ich könne froh sein, erklärt sie mir, dass der Kindsvater
nicht mitgereist sei. Der sei nämlich Offizier in der irischen Armee und
habe ein echtes Gewehr. Zum Glück wendet sich die Soldatenbraut dann wieder
ihrem hochprozentigen Reiseproviant zu.
Eigentlich fahre ich gerne mit der Eisenbahn, die Fahrt von Dublin nach
Limerick dauert gut zwei Stunden, und normalerweise kann man in Ruhe
Zeitung lesen. Wenn man rechtzeitig bucht, ist die Fahrt sogar recht
preiswert. Iarnród Éireann, die staatliche Eisenbahngesellschaft,
interpretiert „online“ jedoch recht eigenwillig: Man zahlt zwar mit der
Kreditkarte, bekommt aber kein Ticket, sondern eine Buchungsnummer. Mit der
muss man sich am Bahnhof das Ticket holen.
Im Fahrpreis ist allerdings die Sitzplatzreservierung enthalten. Man hat
die Wahl, ob der Name oder die Ticketnummer im elektronischen Display über
dem Sitz angezeigt werden soll. Es ist einem freigestellt, welchen Namen
man angibt. Vor mir sitzt angeblich eine Mary Kate Furzkissen. Das nächste
Mal probiere ich es mit einer politischen Botschaft. „Destroy Capitalism“
oder so.
Die Züge sind ziemlich modern, an jedem Sitzplatz gibt es Steckdosen mit
dem Hinweis: „Nur für Handys und Laptops.“ Was denn, man darf keinen
Staubsauger oder eine elektrische Zahnbürste anschließen? Das kostenlose
WiFi funktioniert aber nicht. Es hat bisher in keinem Zug funktioniert.
Will man etwas luxuriöser reisen, nimmt man den Belmond Grand Hibernian.
Mit dem kann man eine Woche lang allerlei irische Sehenswürdigkeiten
genießen. Essen und Getränke sind kostenlos, die Betten sind mit
ägyptischer Baumwolle bezogen, die Kabinen mit privaten Badezimmern sind im
georgianischen Stil gehalten. Und an die Steckdose darf man sogar einen Fön
anschließen.
Man muss allerdings 9.910 Euro hinblättern. Das ist 500 Mal so teuer wie
meine Fahrt nach Limerick. Da nehme ich lieber den Mini-Soldaten und seine
Mutter in Kauf.
13 Aug 2018
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
## TAGS
Irland
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