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# taz.de -- Sport für Windhunde: Von Hasenziehern und Hundesöhnen
> Ein Windhundrennen ist ein uneinholbarer Kontrollverlust und für die
> Halter eine Lebensaufgabe. Ein Besuch auf der Rennbahn.
Bild: Ihr Hetztrieb ist nicht abtrainierbar: Windhunde beim Überwinden des Cha…
Mit siebzig Sachen donnern sie dahin, sagt Frau R., manche sagen sogar: mit
achtzig. Frau R., eine Frau knapp unter 50 mit grauem Kurzhaarschnitt, ist
Vorsitzende des Windhund-Rennvereins Untertaunus-Hünstetten, der die Bahn
betreibt, auf der die Hunde laufen, in Hünstetten-Limbach, einem Dorf
zwischen Wiesbaden und Limburg. Ihr Kollege erzählt, es sei die beste Bahn
in ganz Deutschland.
Frau R. arbeitet als Kauffrau in der Ingenieursbranche und hat selbst einen
Windhund. Greyhound nennt sich ihre Rasse. Sie sind die schnellsten, sagt
Frau R.. So schnell sind sie, dass sie einen extra langen Auslauf brauchen,
um nicht zu abrupt zu bremsen und sich dadurch zu verletzen. Weitere Rassen
sind unter anderem: Afghanischer Windhund, Barsoi, Chart Polski, Deerhound,
Galgo Espanol, Irish Wolfhound, Saluki, Sloughi, Whippet und Windspiel.
Sinn der Tiere war die Jagd. „Sie sollten früher einfach den Braten auf den
Tisch bringen“, sagt Frau R.. Je nach Braten haben die Rassen verschiedene
Features. „Whippets“ zum Beispiel sind sehr klein, da englische Bergleute
sie zur Kaninchenjagd züchteten und weder Platz noch viel Futter für sie
hatten. Heute würden die Hunde für Rassenschauen zum Teil auch opulenter
und massiger gezüchtet, sodass sie nicht mehr so schnell jagen können.
„Aber irgendwann ist das dann einfach kein Windhund mehr.“
Um dem fremdländischen Blut gerecht zu werden, das in den Adern ihrer Hunde
fließt, greifen die meist Meier oder Schmidt heißenden Besitzer zu
ungewöhnlichen Namen: „Dervisch Daydreamer“, „Mutabaruga’s Sunsplash�…
„Nyakigláb Go-Go Girl“, „ElwëSingollo iz mira älf“, „Keen Ice vom …
Meer“, „Aristoteles vom Meatloaf“. Der Ansager hat Probleme mit der
Silbentrennung.
## Futuristische Häuser
[1][Windhunde orientieren sich, anders als alle anderen Hunde, nicht am
Geruch – sie sind „Sichtjäger“.] Beim Rennen auf der Sandbahn laufen sie
einem gelben flatternden Pappmachébündel hinterher, das einen Hasen
imitieren soll. Über eine Stange ist es an einer umgebauten Kettensäge
befestigt, die es laut röhrend auf einer Art Leitplanke an der Innenseite
der als „Endlosanlage System Egger“ klassifizierten Bahn gegen den
Uhrzeigersinn durch die Runde zieht.
Es wird mit einer Fernbedienung gesteuert; die Person, die das macht, heißt
„Hasenzieher“. Der „Hetztrieb“ der Hunde sei nicht abtrainierbar. Das
entspreche vollkommen ihrem Naturell, sagt Frau R. immer wieder. „Die sind
einfach geboren, um zu laufen.“
Mit ihrem langen, schmalen Maul und ihrem langen, schmalen Körper sehen
Windhunde fast aus wie Vögel, oder kleine, futuristische Häuser. Wie
Ballonhunde, aber in echt.
Windhunde schlabbern nicht herum wie andere Hunde. Sie sind ruhig, außer
wenn der Kettensägenhase läuft und sie selbst nicht dürfen. Dann jaulen sie
in seine Richtung und springen auf die dürren Hinterbeine, sodass sie fast
so groß sind wie ein Mensch. „Das is ebbe denne ihr Leben“, sagen die
Besitzer, die sich auf ihren T-Shirts gerne mit der Folgsamkeit ihrer Hunde
rühmen, dann oft zur Beschwichtigung.
## Ironie der Geschichte
[2][Ein Windhundrennen zu veranstalten ist paranoid], wie jedes Unternehmen
der Vernunft. Ordnung und Kausalität will sie erkennen dort, wo Kontingenz
herrscht und unentwegt Chaos droht. Wo die Suche nach Gründen bestenfalls
in Tautologien endet: Ein Hund gewinnt ein Rennen, weil er schneller rennt
als die anderen Hunde.
Die Vernunft, die in diesen Verfolgungswahn gebracht werden soll, besteht
aus Kontrollen: Rassekontrollen, Beitragskontrollen, Tierarztkontrollen.
Überall riecht es nach Desinfektionsmittel. In „Lizenzläufen“ muss jeder
Hund zu Beginn seiner Karriere zeigen, dass er die anderen Hunde nicht
umschubst, nicht angreift, nicht aufisst. Passiert das später doch einmal,
wird er disqualifiziert. Gleich morgens am Renntag bricht sich ein Hund das
Sprunggelenk. Die Angst vor solchen Verletzungen ist bei den Besitzern
gewaltig.
Maulkörbe stellen sicher, dass kein Blut fließt. Im Freien reißt so ein
Windhund schon mal ein Reh, wenn man nicht aufpasst, sagt Frau R.. Da
braucht man sich nichts vormachen. Einige Rassen wurden sogar zur Wolfsjagd
gezüchtet – Ironie der Geschichte. Um ihre Pfoten zu schonen, wird den
Hunden die Sandbahn ständig gewässert und glattgestrichen; bei mehr als
dreißig Grad wird das Rennen sofort beendet. Und Wetten, sagt Rennleiter
Heiko H.: Wetten auf Hunderennen sind in Deutschland verboten.
Anders in Irland oder Großbritannien, wo 30.000 Greyhounds pro Jahr
gezüchtet würden für einen professionellen Rennbetrieb in großem Stil, mit
sechsstelligen Preisgeldern. Ein Halter habe dort häufig mehrere Dutzend
Tiere; die, die keine Leistung bringen, seien da „unnütze Esser“ und würd…
einfach umgebracht. Massentierhaltung, schimpft Frau R., Laufbänder,
Zwinger.
## Wohin der Hase läuft
Heiko H. ist sehr groß, trägt einen Schnurrbart und Crocs-Schuhe, in denen
er gemütlich durch die Gegend schlurft. Er hat mehrere Sloughis, die zum
Teil von „Isra Mahanajim“ abstammen. „Isra Mahanajim“ gehört Dr. Sabin…
die als Ärztin arbeitet, und den Reporter beim Training dazu auffordert,
ihren Hund in die Startbox zu drücken. Auch sie schimpft über die
anglo-irischen Windhundbetriebe: In Irland erhielten sie sogar
EU-Subventionen! Ihr Sloughi hat wenige Wochen zuvor in Dänemark den
EM-Titel im „Coursing“ geholt, worauf sie sehr stolz ist.
„Coursing“ sei, erklärt Heiko H., etwas komplizierter als das normale
Im-Kreis-Rennen. Der „Hase“ werde dabei über eine Rolle gezogen, die an
verschiedene kleine Haken im Feld gewickelt sei, und imitiere so das
Hakenschlagen. „Viel näher kann man der Jagd legal nicht kommen.“ Kluge
Hunde wüssten allerdings häufig schon, wohin der Hase läuft – und kürzten
ab. „Das gibt dann Punktabzug.“
In Spanien, da würden noch echte Hasen gejagt, sagt Frau R.. Aber auch dort
würden diejenigen Hunde umgebracht, die nichts erwischen. Es gibt keinen
Ausbruch aus der Immanenz.
„Rassismus“ ist verpönt. Auch Nicht-Windhund-Hunde dürfen, zumindest an
Trainingstagen, auf der Bahn laufen – zeigen allerdings meist kein
Interesse an dem ratternden Pappmaché-Büschel. Die Windhundmenschen bleiben
ohnehin eher unter sich; eine eingeschworene Gemeinschaft, jeder kennt
jeden. Nicht nur die Hunde sind miteinander verwandt, sondern auch die
Halter. Neben den Männern, Typ „Grillmeister“, sind auch ihre Frauen und
Kinder dabei.
## Überholen, gewinnen, verlieren
Schon früh werden Letztere herangeführt an den Hundebetrieb, dürfen
manchmal sogar den „Hasen“ drapieren oder die Fernbedienung steuern, mit
der er gezogen wird. Zwischendurch gibt es Bratwurst mit Eigensalaten,
später dann leckeren Kuchen.
Der Rennwettbewerb besteht aus unverständlich schallenden Mikrofonansagen
und, da jede Hundeunterrasse ihr eigenes separates Rennen bestreitet, aus
unendlicher Wiederholung und Warten. Das gibt dem Ganzen etwas
Maschinelles; so, als würde man einer Waschmaschine beim Waschen zusehen.
Einzig die Entfernung wechselt: Einige Hunde laufen 280 Meter weit, andere
350 oder 480 Meter.
[3][Anders als Rennpferde sind Windhunde völlig autonom darin, wie sie
laufen,] wohin sie laufen, ob sie überholen, gewinnen, verlieren. Ein
uneinholbarer Kontrollverlust, der höchstens mit dem Verweis auf den „Spaß�…
rationalisiert werden kann, den die Tiere dabei hätten.
Manch ein Hund läuft nicht hinter dem „Hasen“ her, sondern hinter der
Kettensäge, bellt sozusagen den falschen Baum an. Einige stoppen nicht ab,
nachdem der „Hase“ einige Meter hinter dem Ziel fallengelassen wird,
sondern rennen einfach weiter, manchmal ganze Runden. Andere hingegen
kommen nicht mal ins Ziel. „Stehen, damit es weitergeht“ hieß einmal eine
Rubrik im Privatfernsehen.
Den Hunden sei es egal, welchen Platz sie belegen, spekuliert Heiko H.. Den
Besitzern ist es das jedenfalls nicht. Die Windhundhaltung ist ein teures
Hobby und, sozusagen, ebbe denne ihr Leben. Einer berichtet von 5.000 Euro
Tierarztkosten pro Jahr. Fast jedes Wochenende sind irgendwo in Deutschland
Rennen; viele fahren mit dem Wohnmobil umher. Als Schiedsrichter werde H.
oft angefeindet, berichtet er. „Da ist teilweise ein enormer Ehrgeiz mit im
Spiel, obwohl es nur um die goldene Ananas geht.“
Eine goldene Ananas gab es beim Rennen in Hünstetten nicht zu gewinnen;
dafür Futtertüten, Näpfe, Statuen, Windlichter, USB-Sticks. „Ilyada
Mahanajim“, die Hündin von Heiko H., hat ihre Rennen gewonnen. Es ist wie
im Casino: Das Belohnungszentrum sprüht Funken.
***
Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes wurde Dr. Sabine S. als
Tierärztin ausgewiesen, sie ist aber Allgemeinmedizinerin. Außerdem wurde
beschrieben, dass sich ein Windhund den Knöchel bei einer Kollision
gebrochen hätte, das war aber nicht der Fall. Wir bitten, diese Fehler zu
entschuldigen.
14 Aug 2018
## LINKS
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[2] /Die-taz-laesst-laufen-Jedermann-Rennen-fuer-Hunde/!5298873
[3] /Galoppsport-in-Leipzig/!5444771
## AUTOREN
Adrian Schulz
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Alkohol
Hunde
Jagd
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