# taz.de -- Radfahren auf dem Land: Schutzstreifen wieder abgekratzt | |
> Weil der Modellversuch vorbei ist, wurden Radfahrer-Schutzstreifen in | |
> Stormarn „demarkiert“. Gutachter empfahlen, sie zu lassen. Doch deren | |
> Bericht verzögert sich. | |
Bild: Vom Rad-Symbol bleibt auf dem Asphalt nur ein Rest zu sehen: Straße nach… | |
HAMBURG taz | Rennradfahrer aus Hamburg haben diese Strecken geliebt: Raus | |
aus der Stadt und dann zwischen den Dörfchen Siek und Hoisdorf oder | |
Lütjensee und Oetjendorf ruhige Landstraßen, auf denen es Radstreifen gibt. | |
Doch seit Mitte Juli sind sie weg, nur hier und da schimmert ein Farbrest | |
vom Fahrradsymbol auf dem Asphalt. | |
Ginge es nach Lütjensees Bürgermeisterin Ulrike Stentzler, wären die | |
Streifen geblieben. Sie seien „ein Segen für die Radfahrer“, sagte sie | |
schon 2016, als der ursprünglich 2013 begonnene Modellversuch | |
„Schutzstreifen außerorts“ beendet war. | |
Ein Jahr lang hatten drei Ingenieurbüros diese und 16 weitere Strecken im | |
Bundesgebiet beforscht. Merkmal all dieser Teststraßen, die es zum Beispiel | |
in der Grafschaft Bentheim noch gibt: Sie sind nur wenig befahren und | |
zwischen 5,25 und 7,50 Meter breit. Dort, wo bisher je eine Autospur in | |
beide Richtungen führte, gibt es nur noch eine „Kernfahrbahn“, die sich | |
entgegenkommende Autos teilen. Gewonnen wird so Platz für Radschutzstreifen | |
mit gestrichelten Linien, die die Autos zum Ausweichen befahren dürfen, | |
wenn dort kein Radler fährt. | |
Dieses Prinzip gibt es bereits in Frankreich, in der Schweiz und in den | |
Niederlanden. Doch in der deutschen Straßenverkehrsordnung sind solche | |
„Schutzstreifen“ bislang nur in Orten erlaubt. Unter der Federführung | |
Mecklenburg-Vorpommerns startete deshalb 2013 besagtes Pilotprojekt, das | |
neben Sicherheitsaspekten auch prüfen sollte, ob so der Radverkehr | |
attraktiver wird. | |
Um die Deutung der Ergebnisse wurde hinter den Kulissen gerungen. Gutachter | |
Peter Krausse vom Lübecker Planungsbüro Urbanus zieht ein positives Fazit: | |
„Wir haben festgestellt, dass die Interaktion zwischen Auto- und Radfahrern | |
viel bewusster ist.“ Radfahrer fühlten sich wieder gleichberechtigt, viele | |
trauten sich erst dank der Streifen wieder auf die Kreisstraßen. | |
„Am Anfang gab es Beschwerden von Autofahrern. Aber das hat sich komplett | |
gewandelt“, sagt Dagmar Fockenga vom Verkehrsamt Stormarn. Bei der | |
Befragung habe sich auch die Mehrheit der Autofahrer positiv geäußert. „Wir | |
hätten die Streifen gern länger behalten“, sagt sie. Radfahrer fühlten sich | |
sicherer, was zu einer Attraktivitätssteigerung führe. | |
Doch der Landkreis war abhängig von einer Ausnahmegenehmigung des | |
schleswig-holsteinischen Verkehrsministeriums. Und der neue | |
FDP-Verkehrsminister Bernd Buchholz wollte diese zuletzt nicht mehr | |
erteilen. Das Problem: Das Bundesverkehrsministerium in Berlin ist dagegen. | |
Obwohl im Koalitionsvertrag steht, Radfahrer-Schutzstreifen „wollen wir | |
unterstützen“. | |
Das Gutachten, das Krausse und Kollegen schon im Frühjahr 2016 abgaben, ist | |
zwei Jahre später immer noch nicht offiziell veröffentlicht. Der | |
Abschlussbericht liege als Entwurf vor, teilt das dafür zuständige | |
Mecklenburgische Verkehrsministerium mit. „Eine abschließende Prüfung steht | |
jedoch noch aus.“ | |
Laut der [1][Berichtsversion], die der Deutsche Städte- und Gemeindebund | |
(DStGB) online stellte, ist das Fazit positiv. Demnach sollten alle | |
Versuchsstrecken bestehen bleiben. Auf allen Strecken wurden mehr Radfahrer | |
gesichtet. Und verunglückte Radfahrer gab es auf allen 15 Strecken in drei | |
Beobachtungsjahren vor der Markierung neun, in den zwei Testjahren jedoch | |
nur zwei. Es war kein Radler „in erkennbarem Zusammenhang mit dem | |
Schutzstreifen verunfallt“, so der Bericht. | |
## Mehr Radfahrer, weniger Unfälle | |
Der Eindruck, dass die Streifen positive Wirkungen haben, solle durch | |
weitere Untersuchungen erhärtet werden, so die Experten. Deshalb solle der | |
Versuch zeitlich verlängert und auf weitere Strecken erweitert werden. Und | |
schließlich solle der mit „mangelndem Kenntnisstand begründete generelle | |
Ausschluss von Schutzstreifen außerorts“ in der Straßenverkehrsordnung | |
„aufgehoben“ werden. | |
Das Bundesverkehrsministerium gibt eine andere Antwort. Der | |
Forschungsbericht belege, dass sich die Anlage so eines Schutzstreifens | |
„nicht förderlich auf die Verkehrssicherheit auswirkt“, sagte das | |
Ministerium der taz. Weil sich Autofahrer an der Leitlinie orientierten und | |
„dadurch oftmals näher an die Radfahrer heranfahren“. Deshalb werde Berlin | |
auch keine weiteren Untersuchungen in Auftrag geben. | |
## Thema im Bundes-Verkehrsausschuss | |
Peter Krausse nennt den Einwand „nicht haltbar“. Dass Autos Radfahrer | |
dichter als mit dem vorgeschriebenen Abstand von anderthalb Metern | |
überholten, liege daran, dass sie sich nicht trauten, den links liegenden | |
Radstreifen zu befahren, weil Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung fehle. | |
Ein großes Schild könne da schon helfen. Der Versuch habe jedoch ergeben, | |
dass Autos Radler langsamer überholen. „Und sie tun dies auch seltener, | |
wenn ein anderes Auto entgegenkommt“, sagt Krausse. | |
Für Unverständnis sorgt die Berliner Haltung auch in Landkreisen, die ihre | |
Streifen noch nicht „demarkiert“ haben, und jetzt vor der Frage stehen, wie | |
sie weiter verfahren. Der Kieler SPD-Bundestagsabgeordnete Mathias Stein, | |
zuständiger Berichterstatter seiner Fraktion für die Themen | |
Elektromobilität und Radverkehr, will das Thema im Herbst im | |
Verkehrsausschuss des Bundestags zur Sprache bringen. „Mich wundert, dass | |
das Gutachten bisher weder veröffentlicht noch mit der Fachöffentlichkeit | |
erörtert wurde“, sagt er. Denn die Streifen stünden ja im | |
Koalitionsvertrag. | |
10 Aug 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.dstgb.de/dstgb/Homepage/Schwerpunkte/Radverkehr%20in%20St%C3%A4… | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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