# taz.de -- Interview mit dem neuen Fahrradbeauftragten: "Radfahren muss schnel… | |
> Arvid Krenz will eine Stadt, durch die Radfahrer sicher und zügig rollen | |
> - mit sicheren Kreuzungen und eigenen Spuren. Er kritisiert, dass es | |
> dafür noch an einer übergreifenden Strategie fehle. | |
Bild: Jedes Jahr werden die Berlin 20 Kilometer Radwege gebaut - Zu wenig, find… | |
taz: Herr Krenz, Sie sind der neue Fahrradbeauftragte des Senats - eine | |
ehrenamtliche Tätigkeit, bei der Konflikte programmiert sind. Warum machen | |
Sie das? | |
Arvid Krenz: Zum einen bin ich Verkehrsplaner und habe schon von daher | |
Interesse, die Planung in der Stadt mitzugestalten. Zum anderen bin ich | |
selbst oft unzufrieden, wenn ich als Radfahrer in Berlin unterwegs bin - | |
das passiert an vielen kleinen Stellen über die Stadt verteilt, und es sind | |
Schwachpunkte, die man angehen muss. Ich handele also auch aus | |
Eigeninteresse. | |
Was genau stört Sie? | |
Das geht von Radwegebreiten und den Zustand des Weges über die Führung von | |
Wegen bis hin zum fehlenden Netz. Man merkt, dass der Radverkehr noch nicht | |
den Stellenwert hat, den er haben sollte. | |
Was macht ein Fahrradbeauftragter konkret? | |
Ich komme ja neu von außen dazu, muss also erst einmal alle Akteure kennen | |
lernen - sowohl auf Senats- und Bezirksebene als auch bei der Polizei, bei | |
den Verkehrsunternehmen und den Lobbyverbänden. Dann möchte ich mir die | |
Abläufe anschauen. Meiner Meinung nach dauert die Umsetzung von Zielen zu | |
lange. | |
Zum Beispiel? | |
Seit es die Radverkehrsstrategie gibt, sind pro Jahr durchschnittlich 20 | |
Kilometer Radwege gebaut worden. Das finde ich für eine Stadt wie Berlin | |
relativ wenig. | |
Die Defizite sind ja bekannt, wirklich geändert hat sich aber bisher | |
nichts. | |
Ich weiß nicht, ob ich den Durchbruch schaffe. Es braucht einen langen | |
Atem. Ich möchte kleine, konkrete Schritte gehen - in diesem Jahr etwa in | |
der Unfallkommission mitarbeiten. Wenn Kreuzungen aufgrund von Unfällen | |
umgestaltet werden, will ich mich für die Belange von Radfahrern | |
starkmachen. An der neuen Radverkehrsstrategie möchte ich natürlich | |
mitwirken. Ich finde, dort müssen die Ziele höher gesteckt und | |
überprüfbarer werden. | |
Haben Sie das Gefühl, dass Ihre bisherigen Gesprächspartner in der | |
Senatsverwaltung - die Referatsleiter und Staatssekretärin Maria | |
Krautzberger - tatsächlich etwas ändern wollen? | |
Sie sind gewillt, etwas für den Radverkehr zu tun, so viel wurde in den | |
kurzen Gesprächen klar. Ob mir das weit genug geht, kann ich jetzt noch | |
nicht einschätzen. | |
Es gibt ja Symbolprojekte, die nahelegen, dass sich das Gesamtsystem weiter | |
am Autoverkehr ausrichtet - etwa der geplante Ausbau der A 100. | |
Das kann man als Symbol sehen, man kann es aber auch als Chance nutzen - | |
wenn man die A 100 ausbaut, macht man das sicherlich auch, um Viertel von | |
Verkehr zu entlasten. Man muss dort aber gleich umgestalten und ein Zeichen | |
setzen: Hier ist mehr Rad- und Fußverkehr gewünscht. Dann geht es in die | |
richtige Richtung, dann kann man trotzdem von einer fahrradfreundlichen | |
Politik sprechen. Nur wenn das nicht stattfindet, geht es in die falsche | |
Richtung. Das ist also sicherlich ein Projekt, auf das man kritisch schauen | |
muss. | |
Was halten Sie als Verkehrsplaner von den Autobahnplänen? | |
Das ist schwierig. Vom subjektiven Empfinden her glaube ich, dass Berlin | |
kein Problem mit dem Autoverkehr hat und es dieses Teilstücks nicht bedarf. | |
Wie leicht ist es für Sie, den Senat zu kritisieren? | |
Ich bin ja nicht angestellt, es ist ein Ehrenamt. Ich bin berufen vom | |
Senat, aber trotzdem frei in meiner Entscheidung. Ich würde immer zunächst | |
das Gespräch suchen, auch wenn man unterschiedlicher Auffassung ist, und da | |
bin ich offensiv. Wenn ich den Senat nicht überzeugen kann, muss ich sehen, | |
ob ich mehr an die Öffentlichkeit gehe und so den Druck erhöhe. | |
Grüne Welle für Radfahrer? | |
Das ist eine Idee. Das Erste, was ich mir wünsche, ist eine sichere | |
Radverkehrsanlage an jeder Kreuzung. Davon ist Berlin noch weit entfernt. | |
Es gibt das Fahrradroutennetz vom Senat, aber das reicht nicht aus. Ich | |
möchte nicht auf Wegweiser achten müssen, sondern die Hauptstrecken müssen | |
in den Zustand gebracht werden, dass sie attraktiv und durchgehend sind. | |
Hier sehe ich bislang keine Strategie. | |
Bietet sich das Modell "Shared Space" - also gemeinsam genutzter | |
Verkehrsraum ohne Regeln - für Berlin an? | |
"Shared Space" ist eine Planungsphilosophie: Der Straßenraum soll wieder | |
erkennbar werden in seiner Funktion. Der Begründer hat gesagt: Wenn wir | |
wollen, dass sich die Leute wie in einer Kirche verhalten, müssen wir | |
Kirchen bauen - aber im Moment bauen wir Discos. Für Berlin ist "Shared | |
Space" schwer umzusetzen, weil versucht werden muss, den ruhenden Verkehr | |
herauszuhalten. Das wird meist mit Pollern gelöst und dann geht es doch | |
wieder in die Richtung, Verkehrsteilnehmer zu separieren - also genau nicht | |
die Fläche mit anderen zu teilen. | |
Wie kann man denn eine Straße so bauen, dass Autofahrer sich rücksichtsvoll | |
verhält, etwa vor einem Kindergarten? | |
Nach "Shared Space" soll die Gestaltung für Unsicherheit sorgen, sodass der | |
Verkehrsteilnehmer nicht weiß, wie genau die Straßenführung verläuft. Damit | |
wird er automatisch langsamer fahren - so weit jedenfalls die Philosophie. | |
Braucht es einen Mentalitätswandel? | |
Es sind immer subjektive Gründe, warum Menschen mit dem Auto fahren. Ich | |
kann nicht in die Köpfe schauen. Es hat Vorteile, wenn man den | |
Fahrradverkehr positiv darstellt - mit einem Netz von Hauptstrecken, auf | |
dem Radfahrer schlicht Zeit sparen. Dann brauchen wir keinen | |
Mentalitätswandel, dann fahren die Leute aus rationalen Gründen Fahrrad. | |
Radfahren muss schnell und bequem sein. Bis wir dahin kommen, dauert es | |
aber noch. | |
Zum Saisonstart wird indes deutlich, dass die Mentalität auf den Straßen | |
immer noch ist: Ich zuerst. Gut zu beobachten ist das ja bei den Konflikten | |
zwischen Bus- und Radfahrern auf den BVG-Spuren. Sehen Sie eine Lösung? | |
Wo viel Platz ist, sollte man für Radfahrer eine Extraspur legen. | |
Busstreifen generell als Ersatz für eine Radverkehrsanlage sehe ich als | |
schwierig an. | |
Das dauert wieder Jahre. Was kann man kurzfristig tun? | |
Ich bin sehr für ein Miteinander. Ansonsten macht man sich das Leben nur | |
gegenseitig schwer. Ausrasten von Busfahrern ist wie Kapitulieren, und | |
Radfahrer müssen sich ja nicht unnötig breit machen. Ich selbst habe mich | |
früher viel mehr aufgeregt im Straßenverkehr, das mache ich nicht mehr. Ich | |
fahre offensiv und schnell, aber rücksichtsvoll. Manchmal kann ich | |
verstehen, warum Radfahrer sich nicht an Regeln halten. Was nicht heißt, | |
dass ich das gut finde. Aber es gibt Punkte, in denen ich nachvollziehen | |
kann, dass man zum Beispiel über einen Bürgersteig abkürzt - etwa wenn man | |
nur 200 Meter in eine Richtung will und die Straße sehr breit ist. Kaum | |
einer wird da zweimal queren, um auf der korrekten Seite zu fahren. | |
Genau solche Verkehrssünden will die Polizei in diesen Wochen gezielt | |
kontrollieren und bestrafen. | |
Ich finde es gut, dass die Polizei kontrolliert. Die Frage ist: Steht sie | |
immer an den richtigen Stellen? Denn die Polizei sollte die | |
Verkehrsteilnehmer auch überzeugen. Gelingt es ihr also, mich aufzuklären, | |
oder habe ich als Radfahrer das Gefühl, nur bestraft zu werden, weil es ums | |
Abkassieren geht? Wenn das passiert, erweist sich die Polizei einen | |
Bärendienst. Bei manchen Orten, an denen in der Vergangenheit kontrolliert | |
wurde, frage ich mich schon, ob die Polizei wirklich dort stehen musste. | |
Kontrollen sind sinnvoll, es hilft zu überzeugen, wenn die Präsenz in alle | |
Richtungen spürbar ist: wenn Radfahrer zum Beispiel auch sehen, dass die | |
Polizei Radstreifen-Parker kontrolliert und Autofahrer stoppt, die beim | |
Rechtsabbiegen die Vorfahrt missachten. | |
3 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Kristina Pezzei | |
## TAGS | |
Verkehrswende | |
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